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Kulturpolitik

Künstler kommen und gehen

Ein Gespräch mit Plácido Domingo · Von Christoph Forsthoff

Plácido Domingo, Legende und einer der „glorreichen Drei“: Während Luciano Pavarotti 2007 verstarb, Kollege José Carreras heute vor allem mit seiner Leukämie-Stiftung in Verbindung gebracht wird, wird Domingo auf den Bühnen dieser Welt noch immer ernst genommen. Dabei widmet sich der 72-Jährige als Sänger nun verstärkt dem Bariton-Repertoire wie auch dem Dirigat. Als Chef der Opernhäuser in Washington und Los Angeles hat sich der Spanier auch auf der anderen Seite des Grabens versucht – und setzt sich bis heute für vergessene Werke des Musiktheaters ein. Christoph Forsthoff hat den letzten Riesen der Opernwelt getroffen.

Plácido Domingo. Foto: Sheila Rock

Plácido Domingo. Foto: Sheila Rock

Oper&Tanz: Das Publikum kennt Sie aus vielen berühmten Opern – gibt es da Partien, die Sie heute nicht mehr singen?
Plácido Domingo: Selbstverständlich – praktisch mein gesamtes Tenor-Repertoire singe ich inzwischen nicht mehr. Nachdem ich früher vor allem französische und italienische Opern gesungen habe, mich anschließend deutschen und russischen Werken gewidmet und auch die Barockopern für mich entdeckt habe, widme ich mich nun dem Bariton-Repertoire. So habe ich auch meinem Publikum immer etwas Neues zu bieten…

O&T: …und eben auch immer mal wieder eine Gala wie Anfang des Jahres in Berlin oder im Sommer, wenn Sie sich auf der Freilichtbühne am Fuße des berühmten Loreley-Felsens den Jubilaren Wagner und Verdi widmen. Nun ist ja das Häppchenprogramm bei solch einem Open-Air-Konzert künstlerisch eine andere Klasse als ein Opernabend – stört Sie das nicht?
Domingo: Ich habe in meinem Leben so viel für die klassische Musik getan. Natürlich ist es sehr beglückend, einen ganzen Abend lang einen Opern-Charakter formen zu können – aber es kann auch sehr packend sein, wenn das Publikum alle fünf Minuten begeistert applaudiert, weil man eine bekannte Opern- oder Operetten-Nummer gesungen hat, eine Zarzuela oder einen Musical-Hit. Das ist einfach eine andere Form des Glücks.

O&T: Nun kommt das Publikum ja zu solchen Open-Air-Konzerten wie auch zu Ihren Galas kaum wegen des Programms, sondern weil die Menschen Plácido Domingo erleben wollen – oder sehen Sie das anders?
Domingo: Ich bin sehr glücklich, wenn die Menschen zu Konzerten oder auch in die Oper kommen, um mich zu hören. Doch zugleich hoffe ich natürlich, dadurch Menschen anzuregen, sich künftig auch weitere Konzerte oder Opernaufführungen mit anderen Künstlern anzuhören. Denn Künstler kommen und gehen, doch großartige Musik bleibt.

O&T: Verspüren Sie selbst bei solchen, stark vom Event-Charakter geprägten Konzerten noch einen künstlerischen Ehrgeiz?
Domingo: Menschen besuchen solche Events aus ganz unterschiedlichen Beweggründen: Einige sind sehr ernsthafte Klassik-Liebhaber, die einfach Musik einmal etwas anders erleben möchten; andere hören vielleicht erstmals solch großartige Musik – ich versuche, in meinen Konzerten all diese Zuhörer zu beglücken, aus diesem Grund biete ich auch diese Mischung aus Oper, Operette, Musical und Zarzuela an.

O&T: Lässt sich durch solche Konzerte ein neues Publikum für die Oper gewinnen?
Domingo: Aber ja doch – es gibt ein neues Publikum, das aufgrund solcher Konzerte die Oper für sich entdeckt.

O&T: Sie sehen also für die Zukunft der Oper nicht so schwarz wie mancher Kritiker, der im klassischen Musiktheater ein aussterbendes Genre sieht?
Domingo: Ich weiß nicht, wer behauptet, die Oper würde sterben – die Oper lebt! Jeden Tag werden mehr neue Talente entdeckt – und das Publikum stört es auch nicht, wenn solch ein junger, unbekannter Sänger plötzlich einspringt, denn es möchte einfach die Oper hören. Überall auf der Welt kommt das Publikum mehr und mehr wegen der Werke selbst: Da gibt es eine Veränderung im Denken.

O&T: Und doch denkt heute, wenn über Tenöre gesprochen wird, fast jeder sofort an Sie, Carreras und Pavarotti oder auch an Sänger vergangener Zeiten wie Caruso oder di Stefano. Von den jungen Tenören ist dagegen vor allem im Zusammenhang mit der Krise Rolando Villazóns die Rede – geht mit Ihnen auch das Zeitalter der großen Tenöre vorbei?
Domingo: Natürlich nicht! Es wird immer wieder neue, talentierte Sänger geben, und jeder von ihnen besticht durch andere Fähigkeiten.

O&T: Wo früher Konzerte und Opernbesuche als etwas Besonderes galten, mit dem sich die Hörer vor- und nachher auseinandergesetzt haben, dient die Klassik heute oft nur noch als pure Unterhaltung. Stört Sie dieser Imagewandel nicht?
Domingo: Ich halte nichts von diesem Ansatz, früher sei alles besser gewesen. Es hat immer Menschen gegeben, die Musik allein zur Unterhaltung gehört und andere, die ihr voller Leidenschaft und tiefer Hingabe gelauscht haben – heute wie vor 50, 100 oder 200 Jahren. Zudem gibt es heute weit mehr Menschen, die voller Ernst und Aufmerksamkeit Klassik hören, als etwa zu Mozarts oder Verdis Zeiten – auch wenn die elektronischen Medien zweifellos dazu geführt haben, dass Musik heute auch einfach nur als Beschallung im Hintergrund läuft, ohne dass dieser wirklich zugehört wird.

O&T: Mit den Auftritten der „Drei Tenöre“ sind auch die Gagen im Klassik-Bereich nach oben geschnellt und erreichen heute bisweilen astronomische Höhen. Kann ein zweistündiger Auftritt einer Cecilia Bartoli oder auch anderer namhafter Kollegen tatsächlich mehr als 100.000 Euro wert sein?
Domingo: Ich glaube nicht, dass sich Talent in Zahlen messen lässt. Können Fußballspieler wirklich Millionen wert sein? Offenbar ja, denn entsprechende Gehälter und Ablösesummen werden gezahlt. Wäre es gerecht, wenn die Besitzer von Fußball-Mannschaften Millionen verdienten und diese nicht mit den Spielern teilten, die ihnen das Geld erwirtschaften? Diese Fragen lassen sich auch auf das Feld der Künste übertragen: Künstler sind ja nicht mit einem bestimmten Preisschild versehen, sondern es hängt von der Größe der Aufführung ab, wie viele Besucher erwartet werden, wie viel die Veranstalter verdienen und noch von vielen anderen Faktoren.

O&T: Sie sind im Januar 72 geworden – denken Sie manchmal daran, sich als Sänger von der Bühne zurückzuziehen?
Domingo: Das wird passieren, wenn ich spüre, dass ich nicht mehr singen kann und das Publikum nicht mehr glücklich ist mit meinem Gesang. Doch bislang fühle ich mich gut und habe den Eindruck, dass die Menschen die Tickets für meine Auftritte kaufen und die Häuser voll sind. Wenn dann eines Tages meine Leidenschaft und Liebe zum Singen nachlässt und ich den Eindruck habe, nicht mehr länger gut genug zu sein, dann werde ich aufhören – und glücklich sein, dass ich habe solange singen können: für mehr als ein halbes Jahrhundert.

Christoph Forsthoff


 

 

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