Spannendes Dreispartentheater
Das Würzburger Mainfranken Theater · Von Midou Grossmann
In den Zeiten der Euro-Finanzkrise ist der Bürger an das Jonglieren mit astronomisch hohen Summen gewöhnt. Dabei kommt es auf ein oder zwei Milliarden Euro wirklich nicht mehr an, die sind allenfalls noch Randdetails im Ringen um Bankenrettungen. Ein Theaterintendant kann von solch hohen Bezügen, wie sie in den Dax-Unternehmen mittlerweile gezahlt werden, nur träumen. 16 Millionen Euro, das entspricht dem Jahresgehalt des VW-Chefs, stehen einem deutschen Stadttheater mit 250 Mitarbeitern zur Verfügung, um ein anspruchsvolles Programm auf die Bühne zu bringen.
Mitglieder des Opernchors und Extrachors des Mainfranken Theaters in „Macbeth“. Foto: Falk von Traubenberg
Die Rede ist vom Mainfranken Theater Würzburg, das seinen Bildungsauftrag durchaus ernst nimmt und mit einer über 200 Jahre anhaltenden erfolgreichen Theatertradition die Stadt Würzburg bereichert. Erzherzog Ferdinand von der Toscana, der ab 1806 von Würzburg aus sein Großherzogtum regierte, förderte das Haus sehr, dennoch geriet es bald in finanzielle Nöte. Doch obwohl es immer wieder drastischen Sparmaßnahmen unterworfen war – zuletzt im Jahr 2001 – hielten die Würzburgerinnen und Würzburger an ihrem Theater fest. Es kam nie zur endgültigen Schließung.
Seit der Spielzeit 2004/2005 leitet Intendant Hermann Schneider erfolgreich die künstlerischen Geschicke des Hauses. Schneider, der Germanistik, Philosophie und Musik- sowie Theaterwissenschaften studierte, begann seine Laufbahn 1990 am Stadttheater Aachen als Regisseur. Das Würzburger Haus präsentiert sich als klassischer Dreisparten-Betrieb mit zirka 400 Veranstaltungen im Jahr. Die Bürger belohnen diese künstlerische Vielfalt: Das Haus verzeichnet eine Auslastung von etwa 85 Prozent. Auch die neunte Spielzeit des Intendanten zeigt seine unkonventionelle Handschrift bezüglich einer Vielseitigkeit, die so manch größeres Theater nicht bieten kann.
Angebote für junge Menschen
Felipe Soares Cavalcante, Caroline Matthiessen, Yumiko Fukuda und Eun Kyung Chung in „Der Besuch der Alten Dame“. Foto: Gabriela Knoch
Für den Theatermann Schneider stimmt die Konstellation des Würzburger Hauses. Etwas abseits von den „Zwängen des Feuilletons“ kann er viel dichter an den Bedürfnissen des Publikums planen. Möglichst viele Menschen möchte er mit seinem Spielplan erreichen, schließlich sollte es in der Universitätsstadt, mit einer renommierten Musikhochschule, auch ein großes Angebot für junge Menschen geben: eine reizvolle Aufgabe für einen Intendanten. Schultheatertage sowie das gemeinsame Musizieren mit Jugendlichen gehören zum Alltag im Mainfranken Theater, das zudem noch zwei weitere Spielstätten bedient. Das „Junge Theater“ ist darüber hinaus in Würzburg ein ganz starker Programmpunkt, der keinesfalls in die Kategorie „ferner liefen“ abgedrängt wird.
Starke musikalische Zeichen
Uraufführungen stehen ebenso selbstverständlich auf dem Spielplan des Mainfranken Theaters wie die großen Opern von Verdi und Wagner. Nach zweijähriger Suche hat man 2010 auch einen kompetenten, kreativen und begeisterungsfähigen GMD gefunden, der dem Haus ein neues Profil verlieh. Enrico Calesso begann seine Arbeit in Würzburg gleich mit Wagners „Tristan und Isolde“, er hat diese Prüfung mit Bravour bestanden. In dieser Spielzeit – das Haus arbeitet nach dem Stagione-Prinzip – setzte der GMD mit Verdis „Macbeth“ erneut ein starkes musikalisches Zeichen. Das Philharmonische Orches-ter mit seinen 56 Planstellen ist bei solchen Produktionen zwar auf Aushilfen angewiesen, die aber – zumeist mit Studierenden der Musikhochschule – leicht zu besetzen sind.
Neben dem Schauspiel besitzt auch das Ballett eine große Anziehungskraft für das Publikum. Ballettchefin Anna Vita kam mit Intendant Schneider zusammen nach Würzburg und kann auf seine Unterstützung bauen. Mit ihren zwölf Tänzern (sechs Männer und sechs Frauen) hat sie pro Jahre zwei Produktionen im Großen Haus einzustudieren, neben zwei weiteren für die Kleine Bühne. Zudem gibt es jährlich eine Tanz-Gala sowie ein Fes-tival für Tanzschaffende. Handlungsballette sowie abstrakter Tanz stehen gleichberechtigt auf dem Spielplan und werden vom Publikum stark frequentiert. 2012/2013 ist „Der Besuch der alten Dame“ in den Kammerspielen des Mainfranken Theaters zu sehen, und das gleich 17 Mal. Im Rahmen einer Kooperation mit dem Tanzspeicher Würzburg werden dort auch einige andere Aufführungen stattfinden. Auf der Bühne im Großen Haus erwartet das Publikum „Cyrano de Bergerac“ mit Musik von Wolfgang Amadeus Mozart. Alles natürlich in der Choreografie von Anna Vita, die übrigens als Gastchoreografin auch ein gern gesehener Gast auf internationaler Ebene ist .
Gute Stimmen im Chor
Zu einem solchen noch gut funktionierenden Stadttheater gehört auch ein Opernchor. Dieser wird von Chordirektor Markus Popp schon seit einigen Jahren auf einem hohen Niveau gehalten. Zwar verfügt man hier nur noch über 22 Planstellen (davon sind momentan 20 besetzt), doch der Extrachor ist ebenfalls mit sehr guten Stimmen bestückt, sodass auch Beethovens „Neunte“ zum Jahresbeginn kein Wagnis bedeutete. Opernproduktionen wie „Macbeth“, „Wozzeck“, „La Traviata“ und jetzt zum Spielzeitabschluss „Don Giovanni“ sind spannende Aufgaben für die Chormitglieder, die auch über die musikalische Qualitätssteigerung unter GMD Enrico Calesso sichtlich erfreut sind. Die Spielzeit 2013/2014 wird am 29. September mit Richard Wagners „Lohengrin“ eröffnet, hier laufen die Chorproben schon seit Monaten. Ein neuer Chordirektor, der Australier Michael
Clark, aktuell Assistent in Frankfurt, wird mit Wagners anspruchsvoller Chor-Oper seine Arbeit in Würzburg beginnen. Altistin Anneka Ulmer, Mitglied des Chorvorstands, findet die familiäre Atmosphäre, die das Haus prägt, äußerst angenehm. Das Arbeiten in Würzburg mache Spaß, und sie habe den Entschluss, von einem Solistendasein in den Chor zu wechseln, noch nie bereut.
Michael Clark wird schon vor Spielzeitbeginn mit dem Chor in Würzburg ein wenig arbeiten, um seinen Einstand so gut wie möglich vorzubereiten.
Wenngleich der Rechtfertigungsdruck auch in diesem Haus spürbar ist, scheint es der Theaterleitung dennoch möglich zu sein, künstlerisch ohne Zwänge zu entscheiden. Intendant Hermann Schneider arbeitet visionär kreativ, verleiht dem Haus somit eine große Attraktivität. Dennoch sollten die Verantwortlichen auf kommunaler Ebene dieses Engagement zukünftig etwas besser würdigen. Denn so kritisch die Lage für manche Kommune auch ist, Kunst setzt kreative Energie beim Publikum frei, die für unsere Gesellschaft in der aktuellen Umbruchphase von enormer Wichtigkeit ist. Dieser Faktor sollte von den Finanzplanern in den Entscheidungsetagen nicht unterschätzt werden.
Midou Grossmann |