|
Wagner, der Sachse
Wie Dresden und Leipzig den Jubilar feiern · Von Martin Morgenstern
„Richard ist Leipziger“ – so brüstet sich die Heldenstadt dieses Jahr marketingbewusst mit einem ihrer namhaften Söhne. Dass die sächsische Landeshauptstadt nicht klein beigeben konnte, war klar. Fortan plakatierte Elbflorenz mit gelassenem Blick nach Westsachsen „Dresden – wo Wagner WAGNER wurde“. Wir wagen einen Überflug über die Jubiläums-Aktivitäten der beiden rivalisierenden Wagner-Städte.
„Rheingold“ in Leipzig mit Stephan Klemm (Fasolt), James Moellenhoff (Fafner), Sandra Trattnigg (Freia), Karin Lovelius (Fricka). Foto: Tom Schulze
Fangen wir biografisch korrekt in Leipzig an: Hier erblickte Richard vor zweihundert Jahren das Licht der Welt. Sichtlich ringt die Stadt mit diesem Erbe. Stellvertretend genannt seien die Querelen um ein neues Wagner-Denkmal, das vor wenigen Wochen aufgestellt wurde: „Wagner verkörpert wie kaum ein anderer Künstler unsere eigene gebrochene Geschichte“, sagte der Wahldresdner Thomas de Maizière zur Einweihung der von Stephan Balkenhol geschaffenen Bronze-Skulptur, die nun vor ihrem düsteren, überlebensgroßen „biografischen Schatten“ auf einem bisher verwaisten Max-Klinger-Sockel ruht.
Zwiespältig fallen die Urteile in Sachen Erbepflege aus; die Beziehung der Stadt zu einem Komponisten, den sie nie so recht als den ihren ansah, ist nicht ohne Störungen. Leipzig war und ist eben in erster Linie Bach-Stadt, als nächstes fallen einem Mendelssohn und Schumann ein. Schaut und hört man sich dagegen einmal an, was der junge Wagner in Leipzig kompositorisch verbrach, hätte es, um Christian Thielemann zu zitieren, „auch sein können, dass aus dem jungen Sachsen nichts wird“. Gelegenheit dazu ist dieses Jahr reichlich: Die Oper Leipzig präsentiert in einer Kooperation mit den Bayreuther Festspielen „Die Feen“, „Rienzi“ und „Das Liebesverbot“ in drei Neuproduktionen.
Simeon Esper als Steuermann und Komparserie im Dresdner „Holländer“. Foto: Matthias Creutziger
Ob man „Die Feen“ einmal erlebt haben sollte? Unbedingt! Begreift man doch recht schnell, wie der damals zwanzigjährige Komponist arbeitete: Musikalisch blitzen Vorbilder an vielen Stellen durch, geschickt montiert Wagner die verschiedenen Konventionen und bedient gängige Erwartungshaltungen der Zeit. Die krude Story wird durch ein verworrenes Skript von über sechshundert Seiten (!) irgendwie nur durchgeschleppt. Immer dicker und hilfloser werden diese „Feen“, besonders wenn das Orchester so matt und unlustig aufspielt wie im Februar in Leipzig. Ob die stimmliche Überforderung des Haupthelden, gesungen von Arnold Bezuyen, nun von Renaud Doucet inszeniert oder einfach in Kauf genommen wurde: Die fantasievolle, heiter-selbstbezügliche Ausstattung André Barbes konnte von diesem Abend nicht mehr viel retten.
Freundliche Langmut wurde vom Leipziger Publikum, das nach den Konwitschny-Verwerfungen der letzten Zeit vielleicht einfach mal etwas Ruhe nötig hat, auch im ersten szenischen „Rheingold“ des Hauses nach immerhin vierzig Jahren erwartet. Anfang Mai hatte der Ring-Vorabend Premiere; und weder gab die Inszenierung zum himmelhohen Jauchzen noch zu besonderer Betrübnis Anlass. Rosamund Gilmore hatte die „Last Minute“-Arbeit übernommen (Leipzig hatte ja lange geglaubt, im Jubiläumsjahr mit einem „Gluck-Ring“ ein sarkastisches Anti-Wagner-Zeichen setzen zu können), Carl Friedrich Oberle und Nicola Reichert steuerten Bühne und Kostüme solide und unaufgeregt bei. Was sehen wir? Götter mit zutiefst menschlichen Zügen. Einige gute Ideen, nichts jedoch, das zum Weiterdenken direkt aufstachelte, das radikal interpretiert wäre oder außergewöhnlich beeindruckte. Ein Walhall, kombiniert mit einem bürgerlichen Rheinschwimmbad, über dem sich am Ende mit Hilfe eines Sponsors ein Regenbogen von 450 Leuchtdioden spannt – schön, schön. Im Premierengespräch nannte Intendant Ulf Schirmer diese Herangehensweise ein „Inszenieren, ohne das Stück zu verletzen – so, dass man es noch wiedererkennt“. Und hoffte, die aktuellen Regieschöpfungen mögen sich „fünfzehn, zwanzig Jahre im Spielplan halten“. Wie bitte? Ja, in Leipzig sieht man, da die Opernstürmchen der letzten Jahre abgeflaut sind, nun wieder Verlässlichkeit dämmern, die durch etwas „20. Jahrhundert in homöopathischen Dosen“ (Schirmer) gewürzt werden darf. Der inzwischen über 80-jährige ehemalige Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube lobte, der neue Intendant habe „unserer Oper eine Wende gegeben, über die ich sehr froh bin.“ Ob die Lehmann-Grubes vor hundertachtzig Jahren wohl die „Feen“ in die Oper gelassen hätten?
Sächsischer Staatsopernchor in „La Juive“. Foto: Matthias Creutziger
Nun der Wechsel zu Dresden – der Stadt, in der nach neuester Volkszählung nun doch ein paar Tausend Bürger mehr wohnen als in Leipzig (auch das übrigens ein immerwährender Wettstreit, der die Eingemeindungen an Pleiße und Elbe beflügelt). Hier hatte die verstorbene Intendantin Ulrike Hessler ihrer Oper und ihrem Orchester samt Christian Thielemann ein feines Kontrastprogramm verordnet, von dem immer noch nicht klar ist: gelungen oder nicht? Den „Lohengrin“ gab’s in einer dreißig Jahre alten Lesart von Christine Mielitz, zeitgleich eine überregional weitgehend unbeachtete, nichtsdestoweniger aufschlussreiche Wagner-Tagung. Während Leipzig mit einem „Ring für Kinder“ punktete, machte die „Kapelle für Kids“ mit einer einstündigen kammermusikalischen Wagner-Matinee die Eröffnung der Salzburger Osterfestspiele klar. Und während Leipzig mit einem Riesenspektakel („Apocalyptica meets Wagner“) aufwartet, ließ Dresden seinen Lokalmatador und Betroffenheitslyriker Olaf Schubert aufspazieren: Das von ihm anmoderierte Geburtstagskonzert, auf den Theaterplatz übertragen, lockte Tausende. Des Weiteren gibt es einen neuen „Holländer“ (Regie: Florentine Klepper), aber eben auch Kontraste, etwa Fromental Halévys „La juive“ oder – konzertant – Spontinis „La vestale“; beides Opern, die Wagner offenbar schätzte und als Hofkapellmeis-ter auf den Plan setzte.
Die alten Stadtrivalitäten gilt es indes dieses Jahr im Sinne des Jubilars zurückzufahren – zumal Christian Thielemann, der einzig legitime Erbwalter des „Meisters“, sowohl in Dresden als auch in der Leipzig-Bayreuther Kooperation dirigentisch Akzente setzt. Thielemanns Duzfreund, der Landesvater Stanislaw Tillich, fasst für uns zusammen: Richard Wagner ist nicht Dresdner oder Leipziger, sondern Sachse! Das erklärt natürlich einiges.
|