Ehekrach mit Happy End
Henry Purcells „The Fairy Queen“ in Regensburg · Von Juan Martin Koch
Titania bringt Oberon das Hüpfspiel bei. Dass als letztes Kästchen das Erwachsenwerden wartet, wissen die beiden Kinder noch nicht, und während Titania sich bereitwillig weibliche Formen umschnallen lässt, will Oberon es noch nicht so recht wahrhaben. „One charming night“ – von der einen Nacht, die mehr Vergnügen bringt als tausend glückliche Tage, singt dazu eine Fee in Countertenorlage, bis schließlich die letzten Töne aus Oberons zum Bariton mutierter Kehle kommen. Er ist zum Mann gereift und kann mit Titania ein bürgerliches (Liebes-)Leben beginnen.
Viel Einfühlungsvermögen ist in der musikalisch-szenischen Anlage dieser lang ausgesponnenen Übergangspassage zu spüren: von der Vision der verstorbenen Mutter Oberons, deren Gesang von der Lüsterauffahrt herunterklingt, bis zur Reprise des zerbrechlichen Violinduos vom Szenenbeginn, das zur Vereinigung der Liebenden in den stehen gelassenen Schlussakkord des Schlafchors „Hush, no more“ hineinklingt. Lydia Steier hat bei ihrer freien Umdeutung von Purcells „The Fairy Queen“ für das Theater Regensburg sehr genau hingehört und macht vor allem eines richtig: Sie nimmt die Semi-Opera, diese spezielle englische Musiktheatervariante, für voll.
Alltägliche Verrichtungen im Mietshaus: Aurora Perry als Titania, Matthias Wölbitsch als Oberon und der Opernchor des Theaters Regensburg. Foto: Martin Sigmund
Die Handlung, die sie Henry Purcells Musik (inklusive einiger Einschübe aus weiteren seiner Werke) abgelauscht hat, erzählt die Geschichte Oberons, der enttäuscht und abgestoßen seinem Feenreich entflieht, und – nach anfänglichem Liebesglück mit Titania – auch an der menschlichen Lebensrealität verzweifelt. All das entwickelt sich aber von Beginn an ohne Bedeutungsschwere, sondern mit barockem, immer wieder am Rande des Skurrilen sich bewegenden Bühnenzauber. Oberons Tantenpaar – zwei Schreckschrauben mit Hängebrüsten (Kostüme: Katharina Schlipf) – ist die grimmig-humorige Konstante dieses leicht absurden Theaters, Oberons drastisch aus der Kopfhaut herausgeschnittene Königskrone die abgründige Metapher für die Bürde eines Erbes, das man nicht abschlagen kann. Die kleinwüchsige Valérie Junker verleiht der Rolle des Kindes Oberon eine ganz eigene Aura und Würde.
Bei den Menschen geht es freilich auch nicht gemütlicher zu: Ein invalider Penner wird gedemütigt und fast angezündet – eine Szene, in der die hektische Bühnenaktion Purcells wunderbare Musik arg beutelt. Würde man den magischen Moment der Partitur, das „Let ’em sleep“ des Chores, wirklich hören, statt nur erahnen, das Aufeinanderprallen mit der brutalen Bühnenaktion wäre umso eindringlicher.
Im vierten Teil (die Nummern sind so umgestellt, dass hier die Musik aus Purcells drittem Akt erklingt) erlaubt Lydia Steier sich ein hübsches Inszenierungszitat. Wie in Herbert Wernickes legendärer Stuttgarter „Actus tragicus“-Inszenierung sehen wir einen Querschnitt durch ein Mietshaus (Bühne: Janina Thiel), in dem die Eheleute Titania und Oberon nebst Nachbarn ihren alltäglichen Verrichtungen nachgehen. Auch das Bügeleisen darf nicht fehlen („If love’s a sweet passion…“), und als dann auch noch der Milchmann zweimal klingelt und von der frustrierten Titania herein- und herangelassen wird, ist der Ehekrach perfekt.Oberon (Matthias Wölbitsch hätte man gerne mehr singen gehört als Verzweiflungsgesten variieren sehen) sucht das Weite.
Der über weite Strecken überaus stimmige Gesamteindruck, den Lydia Steiers intelligente Regiearbeit hinterlässt, findet seinen Widerhall aufs Schönste im Orchestergraben. Jörn Hinnerk Andresen hat nicht nur die instrumentale Einrichtung übernommen und manche anachronistische Zutat beigesteuert, sondern mit der kleinen Besetzung des Philharmonischen Orchesters hörbar an einem plastischen, farbigen Ensembleklang gearbeitet. Anders als noch im leicht anämischen Gluckschen Orpheus zu Beginn der Spielzeit geht bei den Streichern mit der Zurücknahme des Vibratos nun nicht ein Verlust an Ausdruck und Nuancierung einher. Der Kontakt zur Bühne wackelt allerdings bisweilen und auch der solistische Gesang kann nur streckenweise mit dem ins-trumentalen Niveau mithalten. Aurora Perry als Titania und Anna Pisareva als Zeremonienfee stechen ebenso hervor wie Yosemeh Adjei, der als Countertenor in diversen Rollen glänzt und mit einem fabelhaften Solo daran erinnert, dass er auch Trompete studiert hat.
Bei manchen Kurzarien atmet man hingegen erleichtert auf, wenn nach weniger erfolgreichen Bemühungen um stilistische Einfühlung der Regensburger Opernchor wieder übernimmt. Einstudiert von Alistair Lilley entfaltet er trotz bisweilen akustisch ungünstiger Positionierung eine warme Präsenz, die dann auch das gerade noch so zustande gebrachte glückliche Ende begleitet: In die Heimat zurückgekehrt versöhnt Oberon sich mit der schwangeren Titania und macht sie zu seiner Feenkönigin: „They shall be as happy as they’re fair“ … abwarten.
Juan Martin Koch |