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Brennpunkte
Zur Situation deutscher Theater und Orchester
Wie Thüringen zur Fläche zurückkehrt
Politikverdrossenheit ist dieser Tage ein großes Thema, es verwundert kaum noch jemanden, dass Politiker sich nicht an das halten, was sie gestern noch versprachen bzw. suggerierten. Befremdlich ist jedoch, wenn in Thüringen vor der Wahl landesweit das Ziel ausgegeben wird, im Kultur- und Thea-terbereich zu den geltenden flächentariflichen Bedingungen zurückzukehren. Nach der Wahl aber Finanzierungsverträge (wie in Altenburg-Gera) abgeschlossen werden, die zwar künftig flächentariflich bedingte Dynamisierungen vorsehen, aber lediglich auf einem Ist-Niveau aufsetzen, das bereits einen erheblichen haustarifbedingten Verzicht beinhaltet. Insofern ist die politisch wirksame Erklärung, zur Fläche zurückzukehren, eine Mogelpackung und wird zur Farce, wenn die Kollegen zur Erhaltung ihrer Arbeitsplätze de facto immer noch zum Gehaltsverzicht im zweistelligen Bereich gezwungen werden. Die Alternative, um hier zu flächentariflichen Vergütungen zurückzukehren, wäre wohl die Schließung von Sparten mit entsprechendem Stellenabbau. Die Gewerkschaften sind durch den Deutschen Bühnenverein für die Theater und Philharmonie Thüringen GmbH in Altenburg-Gera zur Aufnahme weiterer Haustarifverhandlungen aufgefordert worden. Das erste Sondierungsgespräch wird am 23.03.2012 im Theater in Gera stattfinden. Fortsetzung folgt...
Mecklenburg-Vorpommerns Kultur vor dem Ausverkauf
Noch befremdlicher stellt es sich in Mecklenburg-Vorpommern dar: Da erklärt ein „designierter“ Ministerpräsident Erwin Sellering vor der Wahl, die Kultur zur Chefsache zu machen, um nach der Wahl sein Versprechen dadurch zu erfüllen, das von ihm jahrelang kritisierte Reformpapier des ehemaligen Kultusministers Henry Tesch nun – als Chef – faktisch in seinen zugrundeliegenden Rahmenbedingungen als richtungweisend zu erachten und durch seinen willfährigen Vollstrecker, den neuen Kultusminister Mathias Brodkorb, durchsetzen zu lassen. Es bleibt demnach unverändert bei den durch das Land auszuzahlenden FAG-Mitteln in Höhe von 35,8 Millionen Euro.
Bezeichnend für die Einstellung des Kultusministers zu seinem Ressort ist auch seine Aussage, jüngst im Deutschlandradio Kultur zitiert (Sendung vom 02.03.2012, 13:07 Uhr): „Und das ist unser Problem, dass man sich nicht für Kunst und Kultur interessiert.“ Eine beachtliche Aussage vor dem Hintergrund, dass gerade erst innerhalb weniger Wochen für die Volksinitiative „Theater und Orchester sind unverzichtbar“ 50.000 Unterschriften im Land gesammelt werden konnten, mit denen sich nun bald der Landtag wird befassen müssen.
Mit nachhaltiger Kulturpolitik kann das nichts zu tun haben, wenn die Zuwendungen eines Landes für die Kultur in einem derart personalintensiven Bereich seit 1994 unverändert festgeschrieben werden; es stellt vielmehr inflationsbereinigt eine Kürzung um ca. 30 Prozent dar. Auch der Vorwurf, man schreie immer nur platt nach mehr Geld, kann so nicht stehen gelassen werden. Alle Kultureinrichtungen in M-V haben bereits tiefgreifende Strukturveränderungen und erheblichen Personalabbau hinter sich. Allein am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin waren 1989 noch 530 Menschen beschäftigt, heute sind es noch 325, und nach dem gerade vorgestellten „Sanierungskonzept“ müssten weitere 79 Stellen abgebaut werden. Die letzte Finanzspritze zur Abwendung der drohenden Insolvenz war an die Bedingung geknüpft worden, ein entsprechendes Konzept zu erstellen. Die Zahlen sprechen für sich, der Generalintendant macht keinen Hehl daraus, dass er unter diesen Umständen um die Qualität der Aufführungen fürchtet. „Anspruchsvolles Theater“ macht man halt nur im Landtag bzw. der Regierungskoalition, da gibt es noch genügend ausfinanziertes Personal! Demographische Entwicklung hin oder her, die flächendeckende kulturelle Versorgung in diesem großen Land ist in Frage gestellt; da hilft es auch nichts, immer wieder zu betonen, M-V habe die – berechnet je Einwohner – vierthöchste Finanzierungsquote für Theater unter den Flächenländern.
Nicht zuletzt unter dem gesellschaftlichen Aspekt der Bekämpfung der rechtsradikalen Tendenzen sind die Kultureinrichtungen (insbes. deren Aktivitäten in puncto Kinder- und Jugendtheater) von zentraler Bedeutung. Diese Aufgaben können – angesichts eines Anteils von ca. einem halben Prozent des Theater- und Orchesteretats am Gesamthaushalt des Landes nicht ernsthaft in Frage gestellt werden; mit Finanzkürzungen bei solchen Größenordnungen ist noch kein Haushalt nachhaltig saniert worden. Die Gefahr des unwiderbringlichen Verlusts kultureller Identität besteht dagegen eklatant.
Die Kultureinrichtungen werden immer mehr dem Ausverkauf und dem Selbstkannibalismus preisgegeben: Die Theater- und Orchester GmbH Neubrandenburg/Neustrelitz strauchelt angesichts der knappen Finanzen und der neu zu ordnenden Gesellschafterstruktur; der HTV läuft nur noch bis Mitte des Jahres. Im Volkstheater Rostock steht zwar mit Unterstützung der Bürgerschaft ein Theater-Neubau an, dennoch reicht das Geld nicht für den laufenden Betrieb; die Gewerkschaften sind – ähnlich wie in Schwerin – zum Verzicht qua HTVaufgerufen, ein erstes Gespräch diesbezüglich findet am 13.03.2012 statt. In Greifswald/Stralsund wird gerade ein Neustart versucht – unterstützt durch einen HTV, vorläufig bis 2016.
Schon gar keine Lösung ist es, angesichts der ohnehin schon niedrigen Gehälter durch Austritt aus dem Kommunalen Arbeitgeberverband den Tarifbindungen zu entfliehen.
Eine schöne Kulturpolitik, die sich die künstlerische Leistungsfähigkeit nur dadurch erhält, dass die Beschäftigten immer wieder durch die Bedrohung ihrer Arbeitsplätze zu Eingeständnissen genötigt werden.
Keine Synergien in Dresden
Die Pläne für ein „Sächsisches Staatstheater“ nehmen Gestalt an. Semperoper und Staatsschauspiel in Dresden sollen ein gemeinsames Dach erhalten, die künstlerische Autonomie beider Häuser dabei nicht angetastet werden. Auch die Rechtsform soll sich nach derzeitigen Informationen nicht verändern. Vor dem Hintergrund zukünftiger Sparzwänge sollen vor allem die Werkstätten und Bereiche der Verwaltung und Logistik fusionieren.
In einer außerordentlichen Personalversammlung wollte die Semperoper die Mitarbeiter über die Veränderungen informieren. Zuvor konnten diese allerdings bereits in der Presse von den Plänen lesen. Geliefert wurden die Informationen dann vom Geschäftsführenden Direktor, Wolfgang Rothe, und einem Mitarbeiter des Ministeriums. Intendantin Ulrike Hessler fehlte aus Krankheitsgründen. Mit dem Rückgang der Finanzmittel aus dem Solidarpakt wird sich der sächsische Landeshaushalt verringern. Vor diesem Hintergrund haben Kultusministerium und die Leitungsebenen der Häuser über die Zusammenlegung beraten. Gerrit Wedel, stellvertretender Geschäftsführer der VdO, äußerte Zweifel an der Notwendigkeit der Maßnahme. Wie die Erfahrung an anderer Stelle zeige, seien die erhofften Synergieeffekte nicht zu erwarten, zumal Kooperationen der Werkstätten bereits praktiziert würden und auch sonst keine wirtschaftliche Notwendigkeit bestehe – zumal wenn „Personalabbau wirklich nicht beabsichtigt“ sei, so Wedel. „Insbesondere die Einbeziehung der Mitarbeiter an der Umsetzung scheint doch eher eine Farce zu sein.“
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