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Neue Tanz-Synergien
Die Junior Company des Bayerischen Staatsballetts · Von
Vesna Mlakar
„Man muss heute in einer Compagnie sehr schnell sein, wenn
man in der Gruppe (und als Tänzer überhaupt) bestehen
will!“ Keine Frage, die Ansprüche an Solisten wie Ensemblemitglieder
und damit auch den Nachwuchs sind in den letzten Jahrzehnten rasant
gestiegen. Konstanze Vernon, in den 1960er- und 1970er-Jahren Münchens
führende Ballerina und Gründungsdirektorin des opern-unabhängigen
Bayerischen Staatsballetts, weiß, wovon sie spricht. „Die
jungen Absolventen fahren – wenn sie Glück haben und
die Eltern das bezahlen – auf 24, 25, ja 38 Auditionen in
der ganzen Welt; und kriegen trotzdem nix, weil die Theater sehr
zögerlich mit Anfängern sind.“
Noch vor dem Abschluss ihrer aktiven Karriere begann Vernon, sich
durch Unterricht an der Hochschule für Musik in München
um die Ausbildung junger Tänzerinnen und Tänzer zu kümmern.
Und nahm bald mit finanzieller Unterstützung ihres Ehemannes
Fred Hoffmann die Neugestaltung der Tanzausbildung in Bayern in
die Hand, indem sie 1978 eine Stiftung – wohl die älteste
Ballettstiftung Deutschlands – ins Leben rief: die Heinz-Bosl-Stiftung,
benannt nach ihrem langjährigen Bühnenpartner Heinz Bosl,
der 1975 im Alter von nur 28 Jahren an Leukämie starb.
„Fördern durch Fordern“ war schon damals Vernons
ausgemachtes Ziel. Ebenso wie der Wunsch, die Ausbildung junger
Ballettstudenten
den internationalen Ansprüchen anzupassen. Der Clou ihres
Schulungsmodells – und der Grundsteinlegung für eine
Münchner Junioren-Compagnie – war die Verlinkung von
Stiftung und staatlicher Ballett-Akademie (verankert in der Hochschule
für Musik und Theater München) mit je halbjährlich
im Nationaltheater organisierten Matineen, deren Motto „Junge
Talente stellen sich vor“ bis heute gleich geblieben ist.
Die Unterscheidung zwischen beiden Institutionen verlor jedoch
an Klarheit. Denn über lange Zeit hinweg war Konstanze Vernon
als Professorin der Hochschule und Vorsitzende der Heinz-Bosl-Stiftung
in Personalunion tätig. Zudem verstärkte sie während
ihrer zehnjährigen Staatsballett-Leitung die (Ein-)Bindung
der Studenten an das große, klassisch geprägte Ensemble.
Eine Tradition, die ihr Nachfolger Ivan Liska, Ballettdirektor
seit der Spielzeit 1998/1999 und eifriger Mitkämpfer in Sachen
Junior Company, bereitwillig weiterführt. Neue Gewichtung
Seitdem Konstanze Vernon aus dem Lehrkörper der Ballett-Akademie
ausgeschieden ist, deren Führung (und strukturelle Neuprägung)
nach einer dreijährigen Übergangsphase unter dem Choreografen
Robert North im September 2010 auf den Belgier Jan
Broeckx überging, hat die Devise der Stiftung: „Wir
wollen aus Studenten konkurrenzfähige Tänzer formen“,
eine Gewichtungs- beziehungsweise Kategorienverschiebung erfahren.
Maßgeblich dafür verantwortlich ist das „Bayerische
Staatsballett II – Junior Company“. „Mir ist
die Förderung der jungen Leute, die ihren Abschluss gemacht
haben und in keiner Truppe unterkommen, weil sie zu grün sind,
die Compagnien immer mehr Tempo haben, und immer mehr unterschiedliche
Choreografien zu erlernen sind, die wichtigste.“ Somit stehen
nicht länger Kinder oder die Mittelstufe im Fokus, sondern
jene, „die sich endgültig für den Tänzerberuf
entschieden haben“.
Die Idee, mittels einer eigenen Compagnie für junge Tänzer
eine Brücke zwischen Schule und Beruf zu schlagen – „die
Notwendigkeit einer Zwischenstufe“ –, ist nicht neu.
Ivan Liska, neben Vernon mit der künstlerischen Leitung der
Junior Company betraut, erwähnt an dieser Stelle exemplarisch
das von Jirí Kylián initiierte Nederlands Dans Theater
II. „Es ist auch aus dem täglichen Bedarf entstanden,
Nachwuchs zu formen, der qualifiziert für die Hauptcompagnie,
das NDT I, ist.“
Das Rennen um die erste Juniorentruppe auf deutschem Boden haben
Liska, Vernon und Jan Broeckx (als Dritter im Bunde) nur scheinbar
an die Hamburger Kollegen verloren. „Als ich mit meinem großen
Meister (alle wissen, wie sehr ich Neumeier verehre) über
das Bundesjugendballett sprach, das Anfang dieser Spielzeit an
den Start ging, kam ich nicht umhin, ihm zu sagen: ‚John,
du hast uns vergessen, wir sind schon seit dem 1. September 2010
aktiv – aber wir haben es erstmal nicht vor die Presse geschüttet,
sondern gemeinsam ausprobiert, wie es funktioniert.’“ Praxisorientierung
Tatsächlich hatte Konstanze Vernon bereits in der ausverkauften
Dezember-Matinee 2010 („Sogar die Partiturplätze ohne
Sicht wurden verlangt!“) vollmundig strahlend verkündet: „Die
ganze Konzentration dieser Vorstellung liegt auf der Gründung
einer Junior-Compagnie. Die Mitglieder – neun Volontäre
und sieben Stipendiaten der Meis-
terklasse – sind gefunden und arbeiten seit September zusammen.
Im Glücksfall wird das Ensemble ‚Staatsballett 2’ heißen.“ Die
erste Präsentation außerhalb der Landeshauptstadt am
26. Oktober 2010 in Friedrichshafen, flankiert von renommierten
Solisten des Staatsballetts und einem Programm aus Klassik und
Moderne, war da schon erfolgreich über die Bühne gegangen.
Nur die Verhandlungen mit der Hochschule führten nicht auf
Anhieb zu den gewünschten Resultaten. So erfolgte die offizielle
Bestätigung der Münchner „Junior Company des Bayerischen
Staatsballetts, der Ballett-Akademie der Hochschule für Musik
und Theater München und der Heinz-Bosl-Stiftung“ durch
den Kunstminister Wolfgang Heubisch erst Ende Februar 2011.
Das praxisorientierte Konzept einer Exzellenz-Förderung begabter
Tänzerinnen und Tänzer, mit dem neue künstlerische
Wege beschritten und dem Tanz in der Gesellschaft zu besserem und
breiterem Ansehen verholfen werden soll, ähnelt der Sinn-
und Funktionsbeschreibung des Bundesjugendballetts. Ohne großzügige
Anschubfinanzierung wie für die acht Hamburger Jungprofis
konzentriert man sich in Bayern – bislang noch gänzlich
ohne staatliche Zuwendungen – auf Ressourcen aus der Vernetzung. Individuelle Stärken fördern
Konstanze Vernon: „Ivan bezahlt die Gagen der neun Volontäre
und ich die sieben Meis-terklassen-Studenten (500 Euro zum Leben
und freie Unterbringung). Die Hochschule gibt uns einen ‚halben‘ Professor – nach
Alexander Ursuliak im letzten Jahr übernimmt nun der arrivierte
Norweger Ballettmeister Jens Graff den auf 9 Wochenstunden und
39 Wochen angelegten Posten – und wir überlassen ihr
dafür im Prinz-Joseph-Clemens-Haus, dem Wohnheim für
Ballettstudenten, 20 Betten. Das ist der Deal – und damit
haben wir eine 16-köpfige Junior Company.“
Das Alter der aufgenommenen Bewerber liegt zwischen 17 und 22 Jahren.
Und Konstanze Vernon vertraut auf ihre Stärke, „die
individuellen Qualitäten aus ihnen herauszuholen“. Hauptarbeitszentrum
der Mitglieder für Trainingseinheiten und Einstudierungen
ist die Heinz-Bosl-Stiftung mit dem vor acht Jahren im Hinterhof
des Anwesens, im sogenannten Konstanze-Vernon-Haus untergebrachten
Ballettsaal nebst Souterrain, Fundus, Garderoben, einem Zimmer
für den Ballettmeister sowie Kartenvorverkauf. „Am Anfang haben wir die Auftritte forciert, um die finanziellen
Anforderungen zu erfüllen“, ergänzt Liska und bringt
seine Stellvertreterin Bettina Wagner-Bergelt ins Spiel. „Sie
ist für die Weitergabe der Programme an die Agenten zuständig.“ Mittlerweile
ist die Hürde „Allgäu“ geknackt und „wir
können den Tanz, so wie wir ihn verstehen, außerhalb
Münchens – bis Juni 2012 unter anderem in Rosenheim,
Kempten, Aschaffenburg, Neuss, Rüsselsheim oder Bonn, Italien
und Spanien – zur Geltung bringen“.
Auftrittshonorare für die jungen Tänzer, die von allen
möglichen international gestreuten Akademien (zum Teil nach
Einstiegserfahrungen in Corps de Ballets größerer Ensembles)
kommen, werden nicht gezahlt: „Das Tanzen gehört zu
ihren Aufgaben“ – stellt Ivan Liska mit der nötigen
Brevitas fest. „Aus dem letzten Jahr habe ich vier sehr gute
Tänzer übernehmen können. Diese neuen Mitglieder
konnten einschlägige Erfahrungen sammeln, sodass ihre Integration
in die Compagnie leichter fällt. Sie sitzen zu Beginn nicht
nur auf der Ersatzbank, was sonst vielen Volontären oder Anfängern
passiert, die wohlbehütet aus der Schule in den Berufs-alltag
wechseln – und dann regelrecht versauern können. Andererseits
erhöht ein anspruchsvolles Repertoire (die Bosl-Stifung hat
da einige wertvolle Stücke in ihrem Fundus) die Qualifikation
der Junioren, selbst wenn sie nicht übernommen werden.“ „Auf die richtigen Aufgaben – und richtigen Korrekturen – kommt
es an!“ Davon ist Konstanze Vernon überzeugt. Natürlich
gehört dazu auch die Zusammenarbeit mit bedeutenden Choreografen. „Junge
Tänzer sind wie geschlossene Blüten. Je intensiver man
sie pflegt, desto schöner gedeihen sie und blühen sie
auf. Ich denke, dass die Junior Company den jungen Leuten helfen
kann, den Einstieg schneller zu schaffen, wenn sie schon mal einen
Balanchine, van Manen, Nacho Duato, Jirí Kylián,
Werke der jüngeren Generation wie Ralf Jaroschinski, Terence
Kohler oder Auftragsarbeiten zum Beispiel eines Simone Sandroni
oder Richard Siegal durchexerziert haben.“
Tanz ist eine Berufung. Die Kunst, ihn zu beherrschen und von
der Bühne aus ein Publikum zu bezaubern, verlangt einem viele
Opfer und bei kurzer Karriere zahlreiche Härtetests ab. Umso
wichtiger ist ein Erfolg versprechender Start. Dafür steht
die Junior Company: im Sinne eines favorisierenden Sprungbretts.
Aber, so Liska:„Noch haben wir keinen Kassensturz gemacht,
weil wir erstmal diese Vision haben – und wenn die geformt
ist, dann werden wir auch wissen, was sie kostet.“
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