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Musiktheatralischer Wahnwitz
Chabriers „L‘Étoile“ an der Frankfurter
Oper · Von Wolf-Dieter Peter Auch die Oper hat ihren irrwitzig agierenden „König über
36 Königreiche“: Was Alfred Jarrys „Roi Ubu“ dem
Schauspiel ist, das singt und tobt als König Ouf I. in Emmanuel
Chabriers anspruchsvoller Opéra bouffe „L’Étoile“.
Gespenstisch lustig feiert Ouf seinen Geburtstag immer auch mit
einer öffentlichen Hinrichtung. Doch für die diesmal
in Aussicht genommene Pfählung findet er nur mühsam einen
politisch „gefährlich“ desinteressierten Straßenhändler.
Als der chaotische Hofastrologe feststellt, dass König Ouf
nur einen Tag länger zu leben hat als der junge Mann, wird
dieser nach allerhand Turbulenzen als Thronfolger etabliert und
kriegt sogar die hübsche junge Prinzessin „La-ou-la“.
Mit diesem Gegengewicht zur parallel laufenden Tragödie
in Othmar
Schoecks „Penthesilea“ bestätigte die Oper Frankfurt
abermals ihren Ruf als bestes Haus der Theaterrepublik – was
in diesem Fall nicht leicht ist. Komödienwitz funktioniert
ja immer dann gut, wenn das Publikum sofort die Pointe versteht – und
das ist im rasant sprudelnden Französisch schwer. Doch die
Entscheidung für die Originalsprache erwies sich musikdramatisch
und solistisch als richtig. Zwar blieb der Blick auf die Übertitel
zwingend, was nach dem etwas zähen 1. Akt fast bedauerlich
war, so hinreißend turbulent ging es danach auf der Bühne
zu. Da war auch die klanglich etwas dicke und rhythmisch steife
Potpourri-Ouvertüre vorbei und unter Henrik Nánásis
jetzt leichthändigerer Leitung klang das Frankfurter Museumsorchester
nun keck und leichtfüßig, gleichsam „champagnerisiert“.
Das reichte zwar noch nicht, denn Regisseur David Alden, der ja
seinen Ausstattern sehr viel vorgibt, hatte da von Gideon Davey
eine heutige Flughafenhalle für „Air Etoile“ bauen
lassen, die prompt wie in der Realität etwas stimmungstötend
wirkte. Doch in der aberwitzigen Raummischung aus verspiegelter
Nobel-Badelandschaft und schicker Entspannungslounge für absurde „Regierungsgeschäfte“ bekam
die Bühnenaktion im 2. und 3. Akt den nötigen „irren
Touch“. Das gelang, weil im Zusammenwirken von Regisseur
Alden, Chorleiter Michael Clark und Choreografin Beate Vollack
die üblichen Grenzen zwischen Chor, Tanztruppe und sogar Solisten
verschwammen: Neugierige Hausfrauen wurden kess-kecke Putzmamsells,
müde tapsende Reinigungsfrauen wandelten sich in sexy herumwedelnde
Kammerzofen – Turbulenzen allenthalben, kein Wunder dass
Ouf zuerst die einen Besuch ankündigende sexy Sekretärin
und dann den Fanfaren spielenden Dirigenten kurzerhand erschoss…
Aus einem herrlich locker und aufgedreht mitspielenden und singenden
Ensemble um die reizende Prinzessin von Juanita Lascarro ragten
dann zwei Komödianten heraus und gaben dem Abend Züge
eines Feuerwerks. In der Hosenrolle des Straßenhändlers
Lazuli, der gejagt, gehätschelt und schließlich gekrönt
wird, taumelte Paula Murrihy in einer mal amüsanten, mal anrührenden
Mischung aus Staunen und Verzweiflung durch das Chaos in die Arme
der schon immer geliebten Prinzessin – und sang einfach zauberhaft.
Bravostürme. Mit Ovationen gefeiert aber wurde das „Bühnentier“ des
Abends: der vom Comédie-Française-Schauspieler über
Zauberer- und Stunt-Auftritte zum Tenor aufgestiegene Christophe
Mortagne. Französische Text-Raffinessen vom Feinsten mit augenzwinkernder
Souveränität serviert, Rollerfahren, Rennen, Springen,
Kostümwechsel und eine schon von Chabrier so komponierte herrliche
Chartreuse-Likör-Suffsause – alles brillant „serviert“.
Auch ein Fall-Sturz quer über die Bühne zur Grotesklandung
im Fauteuil konnte schöne Tenorphrasen nicht verhindern – aber
immer mit einem irr-albernen Grinselachen in den Augen oder im
ganzen Gesicht, eine erschreckend herrliche Trauminterpretation
eines gefährlich amüsanten Despoten – Chapeau und
merci!
Wolf-Dieter Peter
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