Der Chor als Kraftzentrum
Puccinis „Turandot“ am Theater Regensburg · Von
Juan Martin Koch „Nessun dorma“: Um zu zeigen, dass Puccinis letzte,
unvollendete Oper „Turandot“ mehr zu bieten hat als
diese eine, zu Wunschkonzertformat zurechtarrangierte Arie und
dass diese erst
eingewoben in den Kontext ihre Wirkung vollständig entfaltet,
braucht es eine Aufführung von entsprechendem Format. Die
erste Musiktheaterpremiere der Saison am Theater Regensburg hatte
ein solches.
Um zunächst beim „Nessun dorma“ zu bleiben: Das
Deutschlanddebüt des italienischen Tenors Stefano la Colla
geriet zu einem an diesem Haus wohl beispiellosen Triumph. Als
er Kalafs Arie mit herrlichen Legatobögen und makellosen,
die Höhe wie selbstverständlich einnehmenden Spitzentönen
nicht bloß als Nummer ablieferte, hatte er bereits eine elektrisierende
Frageszene ohne jegliche Ermüdungserscheinungen hinter sich
gebracht. Wobei das Duell mit Maida Hundelings gleißender,
gesangstechnisch atemberaubender Turandot unentschieden endete.
Die deutsche Sopranistin bringt für die mörderische Partie
das unerbittlich metallische Timbre mit, vermag es aber in ihrer
ambivalenten Haltung zum siegreichen Prinzen auch warm abzutönen.
Beide hatten dann noch ausreichende Reserven, um Franco Alfanos
eindimensionale, aber wirkungsvolle Finalfassung zu überstrahlen – Oper
total.
Ohne die famosen Leistungen in weiteren Rollen schmälern
zu wollen – Elvira Hasanagic war eine wunderbare Liù mit
perfekter Pianokontrolle, Sung-Heon Ha ein würdiger Timur,
das Buffo-Trio mit Seymur Karimov (Ping), Cameron Becker (Pang)
und Michael Berner (Pong) luxuriös besetzt –, ist die
chorische Qualität des Abends zu preisen: In der Einstudierung
Christoph Heils bildeten Opern- und Extrachor, verstärkt durch
kompetente Kräfte des Cantemus-Chores der Musikschule, das
unangefochtene Kraftzentrum des ersten Aktes und bündelten
im Finale noch einmal ihre kontrollierte Klangmacht. Souverän
disponierte GMD Tetsuro Ban Puccinis visionär ins Exotische
ausufernde Farbpalette, das Philharmonische Orchester hielt die Überwältigungsmaschinerie
in ständiger Bewegung, ohne die Zwischentöne der komplexen
Partitur zu überrollen.
Regisseur Wolfgang Quetes unternimmt in seiner bereits andernorts
erprobten Inszenierung nicht den Versuch, das doppelbödige
Märchen von der männermordenden Prinzessin tiefenpsychologisch
zu dekonstruieren. Dafür lässt er die dramatischen und
die aus der Commedia dell’arte entlehnten Elemente (herrlich
der melancholische Witz der Herren Ping, Pang und Pong) in schwebender
Balance und überlässt dem Zuschauer die Deutung der unergründlichen
Bekehrung Turandots zur Liebe. Heinz Balthes’ weißen,
sängerfreundlichen Bühnenkasten taucht Wanja Ostrower
in magische Lichtstimmungen, das Ausklappen einer riesigen Freitreppe
aus der Decke heraus macht großen Effekt. Viel mehr braucht
es dann auch gar nicht, um dieses Puccini-Wunder an einem vermeintlich
kleinen Haus zur vollen Entfaltung
zu bringen.
Damit startete die letzte Saison unter der Intendanz Ernö Weils.
Diese wird nicht unbedingt als Ära in die Theatergeschichte
Regensburgs eingehen, brachte im Musiktheater aber doch einige
bemerkenswerte, bisweilen gar denkwürdige Produktionen. Die
beste Regiearbeit lieferte wohl Arila Siegert mit „La Traviata“ in
der vergangenen Spielzeit, großartige Gesamtleistungen waren
in Mozarts „Titus“ und „Figaro“ (weitere
Regiearbeiten von Wolfgang Quetes), und Bergs „Lulu“ und „Wozzeck“ zu
erleben. Musikalisch herausragend war auch der „Lohengrin“,
wo die Chöre ebenso glänzten wie in Boitos „Mefistofele“.
Lohnende Raritäten gelangen mit Simon Mayrs „Il ritorno
d‘Ulisse“, Theodor Veidls „Die Kleinstädter“ und
mit der szenischen Bearbeitung von Ralph Vaughan Williams’ „Songs
of Travel“.
Eher mäßig fielen dagegen – trotz hervorragender
Ensembleleistungen – die Uraufführungen aus: Franz Hummels
Nietzsche-Bilderbogen „Zarathustra“ konnte ebenso wenig überzeugen
wie József Sáris haarscharf an Thomas Bernhard vorbei
komponierter „Hutmacher“, und Manfred Knaaks Musical „Das
Collier des Todes“ bleibt als vergeblicher Versuch, den „Cardillac“-Stoff
nach Hindemith noch einmal aufzuwärmen, in unguter Erinnerung.
Hier darf man vom designierten Nachfolger Jens Neundorf von Enzberg – zwischenzeitlich
immerhin für „bonn chance“ verantwortlich – mehr
erwarten, auch wenn er aus der gemütlichen Welterbestadt kaum
eine Avantgarde-Hochburg wird machen können.
Als persönlichen Erfolg kann Ernö Weil die Einrichtung
der Kinder- und Jugendtheatersparte verbuchen. Im geplanten „Haus
der Musik“, dem künftigen Sitz der Sing- und Musikschule,
soll diese dann auch eine eigene Spielstätte bekommen. Ein
gutes Signal für die Zukunft.
Juan Martin Koch
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