Ob Halberstadt oder Radebeul, ob Hildesheim oder Flensburg – die Landesbühnen sind von einem Flächenbrand erfasst worden. Und so lang die Liste der bedrohten Häuser ist, so umfassend ist auch das Verzeichnis der guten Argumente, die ritualartig und mit immerwährendem Misserfolg in Stellung gebracht werden, wenn es darum geht, den Brandstiftern das Handwerk zu legen. Man pocht auf den kulturellen Mehrwert des Theaters, verweist zugleich auf seinen beträchtlichen ökonomischen Nutzen dank der Umwegrentabilität, beschwört das urbane Flair, das die Künstler einem sonst grauen Gemeinwesen schenken und beklagt, dass kein Rettungsschirm für die Landesbühnen aufgespannt wird. Sogar Bundespräsident Christian Wulff, sonst eher bekannt für seine zurückhaltende Wesensart, erwies sich im März anlässlich der Eröffnung der 14. Landesbühnentage in Detmold als engagierter Dolmetsch des Theaters: „Das Theater ist ein Produkt der bürgerlichen Gesellschaft, einer Gesellschaft, die selbstbewusst und eigenständig ihr Schicksal in die Hand nimmt, die das Gemeinwesen begreift als eine Sache, die alle angeht. Aus dem Zustand der Theater kann demnach häufig abgelesen werden, wie es um den Zustand der Gesellschaft steht.“ Damit ist nicht allein die triviale Ansicht abermals wiederholt, dass die Bühne Auskunft über die psychosoziale Gestimmtheit der Gesellschaft gewähren kann. Weitaus wichtiger ist die andere Seite dieses Gedankens, wonach sich an der Art und Weise, wie eine Gesellschaft ihren Theatern begegnet, ablesen lässt, wie es um ihr demokratisches Selbstverständnis bestellt ist. Das trifft umso mehr auf ein Gemeinwesen zu, dessen einziger bedeutsamer Beitrag zur Entwicklung der europäischen Demokratie „die Schaubühne als eine moralische Anstalt“ war. Das Theater ist die Urzelle der Demokratie in Deutschland. Das sollte jeder bedenken, der nur noch nachrechnen kann, was Theater kostet. – Allein, was auch immer Künstler, Politiker guten Willens, Zuschauer und Journalisten im Vertrauen auf die Überzeugungskraft des besseren Arguments ins Feld führen; alles prallt an der aalglatten Kommunikationstechnik und Sachzwangideologie der Verantwortlichen ab. Wer ehrlich ist, muss sich eingestehen, dass der Kampf um das Theater mit Worten gescheitert ist. Intendantenkrise?Aber sind die Schuldigen nur in der Politik zu finden? Oder gibt es vielleicht auch in der Anatomie der Theater Komponenten, die dem Theatertod noch etwas nachhelfen? Die Theaterkrise, um es ganz unverblümt zu sagen, ist auch eine Krise des Intendanten-ethos. Hier gibt es im Reich der Künste eine Parallelerscheinung zu jenen Rationalisierungsmanagern, die skrupellos ihre eigene Karriere über den Dienst an den Menschen stellen. Immer wieder kaufen sich Intendanten in spe durch die bereitwillige Akzeptanz willkürlicher Spardiktate in ihre Positionen ein. Nachdem sie die politischen Vorgaben exekutiert haben, lassen sie sich dann möglichst noch als Retter in der Not feiern. Das Theater braucht dringend einen Ehrenkodex für Intendanten, keine Führungsstellung anzustreben, die mit einer Verstümmelung der künstlerischen Infrastruktur oder einer Verschlechterung der sozialen Lage für die Belegschaft einhergeht. Ansonsten wird bald aus jedem Intendantenwechsel ein Sarg-nagel für das betroffene Theater. Natürlich sollte man vor simplen Verallgemeinerungen gefeit sein. Es gibt auch die – jedoch immer selteneren – Beispiele solcher Theaterleiter, die ihren Amtsantritt von der Bewahrung funktionsfähiger Strukturen abhängig machen. Andere wie der später legendäre Bremer Impresario Klaus Pierwoß haben aus ihren frühen Fehlern erst lernen müssen. Landesbühnen am Scheideweg
Häusliches Ungemach droht für die Theater auch noch aus einer ganz anderen Richtung, nämlich vom Gang der Künste selbst. In der Ästhetik der sogenannten Postmoderne gibt es starke Bestrebungen, die Unterscheidung von Kunst und Leben einzuziehen. Was im Sprechtheater unter dem Schlagwort von der Dekonstruktion begann, hat auch das Musiktheater und den Tanz erfasst. Ein Pionier dieser Entwicklung ist der Regisseur Sebastian Baumgarten, der von seinen Sängern fordert: „Hinterfrage jede Form darstellerisch guten Handwerks‘.“ Nun sind Experiment, Wagnis und Grenzüberschreitung in der Tat das Lebenselixier der Kunstgattung Oper von der Florentiner Camerata bis hin zu Kagel oder Hespos. Doch die postdramatische Ästhetik stellt die Grundkategorien des Theaters zur Disposition: Spiel, Darstellung, Ausdruck und Technik. Das zielt auf eine massive Entwertung der künstlerischen Professionen. Noch einmal Baumgarten: „Immer weniger sind die Fähigkeiten zur Verwandlung gefragt. (…). Auf der Bühne soll ‚gehandelt‘ und nicht mehr gespielt werden.“ Wo aber über Jahre am Status der Kunst als einer Sphäre sui generis mit eigenen Daseinsgesetzen genagt wird, wo von Opernaufführungen mit Laien in den Hauptpartien geträumt wird, wo die Qualifikationen der Sänger, Tänzer und Schauspieler fast nur noch als Hindernis der Kunstübung betrachtet werden, die ja gar nicht mehr Kunst, sondern reine Unmittelbarkeit sein will, da steht eines Tages ganz von selbst auch die materielle Existenzberechtigung des vermeintlich unzeitgemäß gewordenen Künstler- und Ensembletheaters in Frage. Der Aufstieg und die Förderung der Off-Theater ist ein Symptom dieser Veränderungen. Die Landesbühnen stehen hier am Scheideweg: Sollen sie den ästhetischen Trends und Vorgaben der Metropolen, die vielleicht schon morgen nur noch die Moden von gestern sind, folgen? Das könnte zur Existenzfrage der Landesbühnen werden, die immer noch tapfer die „moralische Verpflichtung“ hochhalten, „das Erbe der großen Weltkultur zu erhalten und zu pflegen“ und „bildungspolitische Basisarbeit zu leisten“, während andernorts manche Intendanten hinter vorgehaltener Hand freimütig einräumen, an Kunst als Bildungsarbeit eigentlich herzlich wenig interessiert zu sein, es sei denn, um damit zusätzliche Einnahmen zu akquirieren. Erwünscht: Ziviler UngehorsamFür den Augenblick aber gilt die Losung: Es brennt, helft löschen! Und da Worte, Petitionen und Unterschriftensammlungen offenkundig resonanzlos verhallen, hilft wohl nur noch der zivile Ungehorsam der Betroffenen und ihrer Kollegen. Streik einmal nicht als Vorstellungsausfall, sondern als Besetzung der Spielstätten, als stures Weiterspielen in voller Orchester- und Ensemblestärke anstatt sich zur Schlachtbank führen zu lassen. Wem gehört das Theater? Freilich, das ist schnell dahingeschrieben. Ziviler Ungehorsam erfordert ein Höchstmaß an Solidarität unter allen Beteiligten. Aber nur Solidarität vermag solche Brände zu löschen. Das ist eine Lektion, die die ganze Gesellschaft noch vor sich hat. Und sind die Künste nicht Avantgarde? Christian Tepe |
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