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Triumph des Überlebens
Mieczyslaw
Weinberg, „Die Passagierin“, Kelessidi,
Breedt, Saccà, Rucinski, Voje u.a., Philharmonischer Chor
Prag, Wiener Symphoniker. ML: Teodor Currentzis, R: David Pountney
(2010) NEOS / CODAEX DVD 51006 Dieser Mitschnitt der Uraufführung von Mieczyslaw Weinbergs
Musikdrama „Die Passagierin“ im Bregenzer Festspielhaus
verdient „DVD des Jahres“ zu werden. Das Musikdrama
fußt auf dem Roman der Polin Zofia Posmysz, die Auschwitz überlebte,
später meinte, ihrer KZ-Aufseherin wieder zu begegnen und
dieses Grauen künstlerisch überhöhte: 15 Jahre nach
Kriegsende, auf der Überfahrt nach Brasilien glaubt die inzwischen
als deutsche Diplomatengattin „arrivierte“ Ex-KZ-Aufseherin
Lisa in einer Passagierin die von ihr drangsalierte Insassin Martha
zu erkennen, deren Verlobten sie letztlich dem Tod ausgeliefert
hat.
Die Dramatik, Vielfalt und klagende Humanität von Weinbergs
Musik erhebt die „Passagierin“ zum „weiblichen
Pendant“ der Männerschicksale in Leos Janáceks „Aus
einem Totenhaus“ – ein künstlerischer „Ritterschlag“ erster
Güte. Das macht Dirigent Currentzis mit den Wiener Symphonikern
auf überwältigende Weise klar. Der Triumph ist aber auch
Regisseur David Pountney und der dramaturgisch perfekten Bühnenlandschaft
von Johan Engels zu danken: Auf dem weißen Schiffsoberdeck
in halber Bühnenhöhe bewegt sich eine verdrängungsfreudige
Nachkriegsgesellschaft „in blütenweißer Weste“,
aber in Schieflage – denn darunter liegt die mehrfach düster
ausgeleuchtete Lagerwelt: Gleise, Prellböcke, „Endstation“.
Von beiden Bühnenseiten und auf einem Gleiskreis schieben
sich mal Wachtürme, mal Schiffskabinen, mal Lagerbaracken
neben Verbrennungsöfen herein. Der Schluss überwältigt:
Die zuvor kahlköpfige Insassin Martha kommt als grauhaarige
Passagierin an den Bühnenrand und singt von der nie verblassenden
Erinnerung an die toten Freundinnen – das lebende Kunst-Double
der dann in der Dokumentation auftretenden 87-jährigen Zofia
Posmysz. Mit dieser Uraufführung triumphiert die Kunst über
das Grauen. Ein Ruhmesblatt der Bregenzer Festspiele, ein großer
Moment der Opern- und Kulturgeschichte.
Wolf-Dieter Peter
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