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Architektonische Choreografie
Sasha Waltz: „Körper/S/noBody“, ARTHAUS Musik In den frühen 90er-Jahren machte Sasha Waltz mit ihren skurrilen,
originell bewegungs-beschleunigten Alltagsgeschichten wie „Allee
der Kosmonauten“ und der „Travelogue“-Trilogie
auf sich aufmerksam. Als sie 2000, mit Regisseur Thomas Ostermeier,
die Co-Leitung der Berliner Schaubühne übernimmt, entwirft
sie mit „Körper“, „S“ und „noBody“ (letzteres
2002) wieder eine Trilogie. Die ungewohnte, riesige und zu Recht
als Beton-Kathedrale bezeichnete Räumlichkeit der Schaubühne
zwingt Sasha Waltz, die sich zuvor auf zwischenmenschliche Beziehungen
konzentriert hatte – und dies eher im Rahmen kleiner Bühnen –,
jetzt architektonisch zu denken, raumgreifend zu arbeiten. Eine
gute Vorübung war 1999 ihr Projekt für das von Daniel
Liebeskind neugebaute jüdische Museum in Berlin, wo ihre Tänzer
als körperliche „Objekte“ und Körper-Gruppen
die Flure, Treppen, Räume und schrägen Flächen belebten
(dazu gibt es Bilder im Bonus-Teil). Für die Schaubühne
musste sie diese Choreografie neu einrichten, übernahm aber
für Teil I der Trilogie die hohe Glas-Vitrine, in der nackte
Tänzer wie vorgeburtliche Wesen – eng ineinander verschränkt
und auf- und übereinander liegend – mit minimalen Bewegungen
ihre Positionen verändern.
Ähnliche „lebende“ skulpturale Arrangements sind durchgehend
in dieser Trilogie zu sehen: exakt übereinandergestapelte
Körper als „Raumteiler“ oder zwei zu einem Surreal-Körper
verkehrt „zusammengewachsene“ Tänzer. Thematisch
sind die drei Teile jedoch eigenständig, wobei gesprochene
Texte und bewegte Bilder sich gegenseitig ergänzen: In „Körper“ wird
das Körpermaterial abgehandelt – von der Haut, den Knochen
bis zu den inneren Organen und Säften – sowie seine
Leistungsfähigkeit, seine Ausbeutbarkeit. Bewegungsszenen
bis zur physischen Erschöpfung sollen offensichtlich auf das
gängige rücksichtslos materialistische Verhältnis
zu unserem Körper verweisen.
Das Stück „S“, steht für Sex und Sinnlichkeit,
aber auch, laut Waltz-Interview im Bonus-Teil, für alle frei
assoziierbaren „S“-Wörter, wie „süß“, „scharf“,
zusammen „schlafen“ etc. Es geht hier mit zunächst
nackt am Boden liegenden Tänzern, die von anderen Tänzern
in traumartiger Langsamkeit bewegt und gestreichelt werden, um
ein unschuldiges Paradies, das in den folgenden hektisch zuckend-zappelnden
Szenen wieder verloren geht.
In Teil III „noBody“, für den Waltz das Ensemble
von 13 auf 26 Tänzer verstärkt, erlebt man einerseits
so etwas wie eine geschlossen agierende Gesellschaft, in der der
Einzelne sich als „nobody“ auflöst; andererseits
sprechende Bilder für das Ende, die Auflösung des menschlichen
Körpers zum „Nicht-Körper“. Wenn sich am
Ende die Tänzer in die in die hohen Mauern eingelassenen Luken
zurückziehen, in einem diffusen Licht schemenhaft verschwinden,
ist damit offensichtlich die Ent-Körperlichung, das Sterben
des Körpers gemeint.
Der Zuschauer muss für diese ausgiebige Körper-Recherche
einen langen Atem haben. Gut, dass man bei einer DVD sein eigener
Dramaturg ist und Längen überspringen kann. Malve Gradinger
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