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Popstar des Ballett
„Dancer‘s Dream – die großen Ballette
von Rudolf Nurejev“ , ARTHAUS Musik. Als sich Rudolf Nurejew 1961 während eines Gastspiels seines
Ensembles, des berühmten Balletts des St. Petersburger Marientheaters
(damals Kirow Theater), in den Westen absetzte, war das eine Sensation
und Nurejew in allen Schlagzeilen. Mit seiner exzellenten Technik
und seiner außergewöhnlich charismatischen, eindeutig
erotischen Bühnenpräsenz – für einen männlichen
Tänzer eine kleine Revolution in sich –, faszinierte
der damals 23-jährige Exil-Russe weltweit Menschen, die sich
sonst nicht für Ballett interessierten. Nurejew war so etwas
wie der Popstar des Balletts. Dass er durch seine Ausbildung an
der St. Petersburger Waganowa-Akademie, seine Erfahrungen im Kirow-Ballett,
nicht zuletzt durch sein eigenes leidenschaftliches Interesse auch
eine tiefe Kenntnis der russischen Ballett-Tradition hatte und
ein Meister von Klassiker-Neuinszenierungen war – unter anderem
von „La Bayadère“ (Minkus), „Dornröschen“ (Tschai-kowsky)
und „Raymonda“ (Glasunow) – ist eher nur dem
Kreis der eingefleischten Ballett-Liebhaber bekannt.
Jetzt bieten François Rousillons Dokumentationen dieser
drei auf Marius Petipas Originalchoreografien (von 1877, 1890 und
1898) basierenden Ballette sowie von Nurejews „Romeo und
Julia“ zur Prokofjew-Partitur von 1940 nicht nur ein hochästhetisches
Erlebnis. In diesen kompakten viereinhalb Stunden mit Vorstellungsausschnitten,
Proben, Interviews mit Ballettmeistern, mit Tänzern des Balletts
der Pariser Oper und Nurejew selbst, gewinnt man auch ein vertieftes
Verständnis von der Arbeit dieses Ballett-Genies, der das
Pariser Elite-Ensemble ab 1983 bis kurz vor seinem frühen
Aids-Tod 1993 als künstlerischer Leiter zu noch größerem
Ruhm führte.
„
Auf jede Note einen Schritt“, dafür war Nurejews choreografischer
Stil bekannt. Bei aller Originaltreue sind bei ihm die Petipa-Klassiker
schrittdichter, komplexer – für Tänzer extrem anspruchsvoll,
folglich für den Zuschauer tänzerisch hochspannend. Vor
allem die Männer, im 19. Jahrhundert eher nur Ballerinen-Halter,
rücken bei Nurejew nun als gleichberechtigte Tänzer ins
Rampenlicht. Für den „Dornröschen“-Prinzen,
in den traditionellen Versionen schrittmäßig eher unterbelichtet,
entwirft er, über das Petipa-Original hinausgehend, im 2.
Akt ein großartiges siebenminütiges Solo. Mit seinen
ausgetüftelten Klassiker-Inszenierungen arbeitete er sich
in den Jahren seiner aktiven Karriere selbst zu: Rollen – wie
zum Beispiel sein Prinz Désiré in „Dornröschen“ – setzten
dann in puncto technisches Brio und Interpretation Maßstäbe
für seine Tänzer an der Pariser Oper.
Da, wo Petipa traditionelle Folklore zu farbigen Charaktertänzen
modellierte, webt Nurejew freie moderne Bewegungen ein. Zum Beispiel
in den Tanz des Sarazenenfürsten Abderachman in „Raymonda“.
Und sein „Romeo und Julia“ ist ganz einer modern fließenden,
neoklassischen Sprache verpflichtet. – Ballettklassik in
geschliffener Tanztechnik, historische Film-Rückblenden, atemberaubende
Ausstattungen – diese DVD-Box lohnt sich. Malve Gradinger
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