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Von Krefeld nach Bayreuth

„Das Bastardbuch“ von Hans Neuenfels · Von Stefan Haack

Hans Neuenfels: Das Bastardbuch. Autobiografische Stationen, Edi-tion Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann, München 2011, 512 S., 32 S. Fotos, 24,99 Euro, ISBN 978-3-570-58028-8

Einen Bastard darf man Hans Neuenfels ungestraft nennen, denn für ihn ist die Mitgliedschaft im „Orden der Bastarde“ eine Ehre. Welche Charakterzüge und Ereignisse in seinem Leben ihn derart auszeichnen und wer aus seinem Umfeld noch das Potenzial zum Bastard hat, verrät der Regisseur und Schriftsteller im „Bastardbuch“, seiner kürzlich erschienenen Autobiografie. Neben dem zentralen Motiv des Bastardköters als Sinnbild des Außenseiters und Überlebenskünstlers spielt auch Neuenfels‘ (reinrassiger) Bobtail namens Eugen eine bedeutende Rolle in seinen Lebenserinnerungen, der Autor bestritt jedoch während einer Lesung in der Berliner Akademie der Künste vorsorglich, ein Hundebuch geschrieben zu haben.
Auf 70 Lebensjahre, 47 Bühnenjahre mit rund 150 Theater-, Opern-, Film- und Hörspielinszenierungen blickt Neuenfels zurück. Erfreulicherweise versucht er nicht, möglichst viele seiner Regiearbeiten abzuhandeln, sondern konzentriert sich ausführlicher auf eine handliche Anzahl ausgewählter Werke. Auf diese Weise gelingt es ihm, tiefere Einblicke in seine künstlerischen Absichten und Arbeitsweisen als Regisseur zu vermitteln, so wird beispielsweise die große Bedeutung der Psychoanalyse für seine Arbeit anschaulich. Nebenbei erfährt der Leser einiges über Entwicklungen des deutschen Theater- und Opernbetriebs in den vergangenen 50 Jahren. Neuenfels hat zum Beispiel das Frankfurter Modell des Mitbestimmungstheaters in den frühen 1970er-Jahren maßgeblich mitgestaltet, später als Intendant der Freien Volksbühne Berlin sowie als Regisseur an verschiedenen Häusern eine wichtige Rolle in der bewegten Berliner Theater- und Opernlandschaft der 1980er- und 1990er-Jahre gespielt.

Auch Anekdoten kommen in seinen Erinnerungen nicht zu kurz, etwa die bisweilen absurd anmutenden Konflikte mit dem flüsterstreikenden oder verärgert mit Hühnerbeinen um sich werfenden Chor der Frankfurter Oper. Mit diesem Chor hatte Neuenfels in den 1970er- und 1980er-Jahren ein spannungsreiches Verhältnis, dagegen charakterisiert er den Chor der Komischen Oper Berlin, mit dem er von 2004 bis 2009 in vier Inszenierungen arbeitete, als „perfekt, neugierig und verlässlich“. Vielleicht macht sich bei dieser Einschätzung auch seine eigene Entwicklung bemerkbar, die gewonnene Reife und größere Erfahrung im Umgang mit den Sängern und Darstellern. Dass der streitbare Regisseur auch altersmild geworden ist, darf bezweifelt werden, denn seine Besessenheit, so versichert er und belegt es auf fast jeder Buchseite, habe im Lauf der Zeit nicht abgenommen.

Neuenfels nimmt sich selbst nicht allzu ernst und erzählt seine Lebenserinnerungen, von seiner bürgerlich eingeengten Kindheit in der Krefelder Provinz bis zu seiner Bayreuther „Lohengrin“-Inszenierung, mit viel Humor, Sprachwitz und Gespür für Dramaturgie. Fehler, die er in seiner Laufbahn begangen hat, Ängste und Schwächen werden nicht ausgespart, auch seine Alkoholsucht verhehlt er nicht. Der Autor versteht sich nicht als Chronist, gern springt er assoziativ zwischen seinen „autobiografischen Stationen“ hin und her, was die Lebendigkeit der Darstellung zweifellos erhöht, die Orientierung des Lesers nicht immer. In diesem Fall erweist sich der Buchanhang mit einem vollständigen und systematischen Inszenierungsverzeichnis als hilfreich. Zwei Bildstrecken mit Bühnen- und Privatfotos ergänzen den Text, den der bekennende Romantiker mit einer Liebeserklärung an seine Lebensgefährtin Elisabeth Trissenaar, Protagonistin in vielen seiner Inszenierungen wie auch in seinem Buch, optimis-tisch beschließt: „Solange wir uns noch sehen, bin ich ein Bas-tard mit Zukunft.“

Stefan Haack

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