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Im Labyrinth der Tarife
Der Versuch eines Blicks durch den Dschungel · Von Stefan
Meuschel Die Entwicklung der durch Tarifvertrag festgelegten Vergütungen
der Beschäftigten der deutschen Theater orientiert sich an
den Tarifbewegungen des öffentlichen Dienstes. So lange es,
bis zum Mai 2003, die aus Bund, Ländern und Kommunen bestehende
Tarifgemeinschaft der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes
gab, waren „die Grundvergütungen der unter den Bundes-Angestelltentarifvertrag
(BAT) fallenden Angestellten des Bundes“ die bestimmende
Größe; seitdem die Länder ihre Mitgliedschaft in
der Tarifgemeinschaft aufgekündigt haben, lautet der entsprechende
Text im Normalvertrag Bühne: „Werden die Arbeitsentgelte
der unter BAT und TVöD bzw. einen diese Tarifverträge
ersetzenden Tarifvertrag fallenden Beschäftigten durch Tarifvertrag
allgemein geändert, sind die Gagen und Rahmenbeträge
der Gagenklassen diesen Änderungen durch Tarifvertrag sinngemäß anzupassen.“
Der Text verrät, dass zum Zeitpunkt seiner Tarifierung die
Länder noch den BAT anwandten, nur Bund und Kommunen sich
mit den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes auf den neuen „Tarifvertrag öffentlicher
Dienst“ (TVöD) verständigt hatten, und der dann
zum 1. November 2006 in Kraft getretene „Tarifvertrag für
den öffentlichen Dienst der Länder“ (TV-L) noch
nicht einmal verhandelt wurde. Doch jetzt, ein Jahr später,
gibt es immer noch auch den guten alten BAT: Berlin, das weder
dem Kommunal- noch dem Länder-Arbeitgeberverband angehört,
wendet ihn ebenso an wie das Land Hessen für seine Landesbediensteten.
Denn Hessen hat sich tarifpolitisch selbständig gemacht und
ist aus der „Tarifgemeinschaft deutscher Länder“ (TdL)
ausgetreten. Statt der einen Bezugsgröße, den Vergütungen der
Bundesangestellten, gibt es jetzt mindestens vier (mindestens,
weil noch der Spezialbereich der Ost-West-Anpassungen hinzukommt):
Berlin, Hessen, TV-L und TVöD.
Die für den öffentlichen Dienst des Landes Berlin geltenden
Vergütungsregelungen befinden sich in einer Art von künstlichem
Heilschlaf, den der „Tarifvertrag zur Anwendung von Tarifverträgen
des öffentlichen Dienstes“ vom 31. Juli 2003 ausgelöst
hat. Durch ihn werden die Regelungen der Arbeitsverhältnisse
auf dem Stand des BAT und BAT-Ost vom 31. Januar 2003 eingefroren,
werden die Arbeitszeiten bei entsprechender Entgeltsminderung um
8 bis 12 Prozent verkürzt, werden betriebsbedingte Änderungskündigungen
für die Laufzeit des Tarifvertrages ausgeschlossen – und
die währt bis zum 31. Dezember 2009. Da der Tarifvertrag Nachverhandlungen
bei Änderungen der Flächentarifverträge nicht vorsieht,
lediglich die „Möglichkeiten der Übernahme dieser Änderungen
geprüft“ werden können, ist zurzeit eine Tarifbewegung
im öffentlichen Dienst des Landes Berlin nicht absehbar. Schmerzhafterweise
doch systemgerecht konnten daher die zwischen den Künstlergewerkschaften
VdO, GDBA und DOV seit April 2003 mit dem Deutschen Bühnenverein
vereinbarten Tarifverträge zur Anhebung der Gagen, zu Einmalzahlungen
und zur Änderung des NV Bühne (Anpassung an TVöD
und TV-L) für die Berliner Bühnen nicht übernommen
werden. Auch bei der Stiftung Oper in Berlin herrscht daher seit
2003 Tarifstillstand.
Der „Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der
Länder“ (TV-L) vom 12. Oktober 2006 sieht im Entgeltbereich – neben
von 30 Prozent bis 71,5 Prozent gestaffelten Jahressonderzahlungen
und der Einführung eines Leistungsentgelts – Einmalzahlungen
vor und lineare Gehaltsanhebungen i.H.v. 2,9 Prozent zum 1. Januar
2008 im Tarifgebiet West, zum 1. Mai 2008 im Tarifgebiet Ost. Die
Tarifparteien des NV Bühne haben in einem Ergänzungstarifvertrag
die Einmalzahlungen für die Staatstheater im Tarifgebiet West übernommen,
sie im Tarifgebiet Ost zur Anpassung der Gagen von 92,5 auf 97
Prozent des Westniveaus genutzt (vgl. O&T Ausg. 5/06, S. 29).
Wie im Gagengefüge des NV Bühne auf die linearen Gehaltsanhebungen
im TV-L zu reagieren ist, wird Thema einer Tarifverhandlung sein,
die am 31. Januar 2008 mit dem Deutschen Bühnenverein stattfindet.
Die Frage nach der Einheitlichkeit der Gagenregelungen im NV Bühne,
wie sie der Bundestarifausschuss der VDO im Dezember 2006 gefordert
hatte, wird dabei erstmalig auf den Prüfstand gestellt werden.
Das der TdL nicht mehr angehörende Bundesland Hessen hat weder
den TV-L noch dessen Regelungen über die 2,9prozentige Gehaltsanhebung
und über die Einmalzahlungen übernommen. Stattdessen
hat der Landtag im November 2007 ein „Gesetz über Einkommensverbesserungen
für Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst des
Landes Hessen“ beschlossen, das lineare Vergütungsanhebungen
um 2,4 Prozent ab dem 1. April 2008 und noch im Dezember 2007 zu
leistende Einmalzahlungen in gestaffelter Höhe zwischen 10
und 20 Prozent eines Monatsverdienstes vorsieht (vgl. O&T Ausg.
5/07, S. 30: „Nachschlag in Hessen“). Die Bühnengewerkschaften
und der Bühnenverein haben sich mit Haustarifverträgen
vom 1. Dezember 2007 der gesetzlichen Vorlage entsprechend über
ebenfalls noch im Dezember 2007 zu zahlende Einmalbeträge
i.H. von 450 Euro für die unter den NV Bühne fallenden
Beschäftigten der Hessischen Staatstheater (Darmstadt, Kassel,
Wiesbaden), des Stadttheaters Gießen und des Landestheaters
Marburg verständigt. Ob die 2,4prozentige Gehaltsanhebung,
die das hessische Gesetz vorsieht, eine weitere Bezugsgröße
für lineare Gagenanhebungen im NV Bühne abgibt, wird
auch davon abhängen, ob die Gewerkschaften des öffentlichen
Dienstes und das Land Hessen eine, im Gesetz ausdrücklich
offen gehaltene abweichende tarifvertragliche Regelung vereinbaren.
Der für die Kommunen und den Bund geltende „Tarifvertrag
für den öffentlichen Dienst“ (TVöD), der dort
zum 1. Oktober 2005 den BAT abgelöst hat, sieht bis Ende 2007
keine linearen Gehaltsanhebungen vor. Die Gewerkschaft ver.di wird
ihre Forderungen für die Tarifrunde 2008 am 19. Dezember 2007
bekannt geben. Sie hat aber bereits sig-nalisiert, dass diese deutlich über
5 Prozent liegen werden. Der Beamtenbund, der für seine Tarifunion
erstmals mit den DGB-Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes
gemeinsam verhandeln wird, brachte eine Anhebung bis zu 7 Prozent
ins Gespräch. Die Auftaktverhandlung soll am 10. Januar 2008
stattfinden. Aus dem Arbeitgeberlager war zu hören, dass es
2008 lineare Anhebungen geben müsse, da drei Jahre lang nur
Einmalzahlungen geleistet wurden, dass aber die hohe Verschuldung
des Bundes und der Kommunen für Anhebungen enge Grenzen setze.
Der Präsident der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände
(VKA) erklärte gegenüber der Presse, eine rasche Einigung
sei möglich, wenn die Gewerkschaften zu Arbeitszeitverlängerungen
bereit seien und ihre Entgeltforderungen an den 3 Prozent orientierten,
die im TV-L vorgesehen sind. Wenn die Gewerkschaften dem ihre jahrelang
geübte Zurückhaltung, die gesunkenen Reallöhne,
die positiven Entwicklungen von Konjunktur und Steueraufkommen,
die Mehrwertsteuererhöhung und nicht zuletzt die Teuerungsrate
entgegenhalten, die erstmals seit 1994 die 3 Prozent überschritten
hat, so sind das schwerwiegende Argumente. Prophetischer Gaben
bedarf es nicht, eine sehr harte Tarifrunde vorherzusagen, deren
eines Ergebnis es sein wird, eine weitere Bezugsgröße
für die dann anstehenden Gagen-Tarifverhandlungen mit dem
Deutschen Bühnenverein zu liefern. Vielleicht den roten Faden
im Labyrinth? Stefan Meuschel
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