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Portrait

Erinnerung an jüdische Mitbürger

Das Stadttheater Fürth im Porträt · Von Juan Martin Koch

Es könnte ein versöhnliches Ende sein: 33 Tänzerinnen und Tänzer bilden einen Kreis, nehmen sich an der Hand und steigern ihren Rundtanz zu immer ausgelassenerer Freude. Dann kommen die Musiker hinzu, spielend und singend treten alle zusammen nach vorne an die Rampe und stecken das Publikum mit ihrer Begeisterung an. Doch das ist noch nicht ganz das Ende dieses in vielerlei Beziehung einzigartigen Tanzabends am Stadttheater Fürth. „Mayim Mayim“ heißt er und das ist auch das getanzte Lied, in das er gegen Ende mündet, eine hebräische Weise, die das Leben spendende Element Wasser feiert.

Die Geschichte

 
Der Fürther Theaterbau von 1902  maßgeblich unterstützt von jüdischen Spenden. 
Foto: Thomas Langer/Stadttheater Fürth
 

Der Fürther Theaterbau von 1902 – maßgeblich unterstützt von jüdischen Spenden.
Foto: Thomas Langer/Stadttheater Fürth

 

In der Stadt Fürth, die in diesem Jahr ihren 1.000. Geburtstag begeht, hatte jüdisches Leben seit dem 15. Jahrhundert eine prägende Rolle gespielt. Die 1657 hier gegründete Talmudschule zählte zu den bedeutendsten Europas, Ende des 19. Jahrhunderts lebten über 3.000 Menschen jüdischen Glaubens im „fränkischen Jerusalem“ und sie waren es auch, die den neuen Theaterbau von 1902 maßgeblich mit Spenden unterstützten. Vor allem als Uraufführungsbühne für Operetten profilierte sich das Haus in den 1920er- und 1930er-Jahren, der schwierigen Nachkriegszeit folgte eine „Theaterehe“ mit dem benachbarten Nürnberg. Nach deren Ende konnte es sich wieder eine gewisse Eigenständigkeit erarbeiten, blieb als Bühne ohne eigenes Ensemble zunächst freilich auf Gastspiele aller Sparten angewiesen.

Drei Säulen

Werner Müller, seit 1990 Intendant in Fürth, war das zu wenig. Die Ressourcen des Theaters müssten weiter reichen, glaubte er, und begann das aufzubauen, was als Drei-Säulen-Modell mittlerweile eine Fürther Erfolgsgeschichte genannt werden kann. Bei den Gastspielen fing er an, mit einigen renommierten Häusern, etwa dem Bochumer Schauspielhaus oder den Münchner Kammerspielen, die Zusammenarbeit in eine Kontinuität zu bringen. „Das sichert zum einen die Qualität und birgt überdies den Reiz, dass man über einen längeren Zeitraum auch eine gewisse Handschrift, das Profil des jeweiligen Hauses verfolgen kann“, so Werner Müller im Gespräch mit Oper&Tanz.

Zu dieser ersten Säule, die auch Musiktheatergastspiele etwa des Münchner Gärtnerplatztheaters oder der Dresdner Staatsoperette einschließt, kommen als zweites Element regelmäßige Koproduktionen mit anderen Bühnen und Ensembles, vornehmlich aus der Region hinzu. Und was 1994 mit einer ersten Eigenproduktion begann, hat sich im Lauf der Jahre zur dritten Säule des Theaters mit mittlerweile zehn bis zwölf eigenen Premieren pro Jahr entwickelt. Der Jahresetat von gut fünf Millionen Euro reicht dabei nach wie vor nicht für ein festes Ensemble, aber viele Künstler sind dem Haus seit langer Zeit verbunden und prägen so den Charakter vieler Produktionen. In dieser Saison zählte eine Auftragsoper zum Stadtjubiläum dazu: Hans Kraus-Hübners „Ganna oder Die Wahnwelt“ nach dem Roman des Fürther Erfolgsschriftstellers Jakob Wassermann scheiterte allerdings trotz engagierter musikalischer Umsetzung weitgehend an seinem den autobiografischen Plot ungeschickt überhöhenden Libretto (Jörg W. Gronius).

Tanztheater

Die Nähe zum Nürnberger Staatstheater ist, was die Zuschauerzahlen betrifft, kein Problem für Fürth. Der Großraum, zu dem auch Erlangen gehört, hat mit etwa eineinhalb Millionen Einwohnern genügend Interessierte für mehrere Bühnen, was sich auch in der Publikumsstruktur zeigt: 30 Prozent der Besucher sind Nürnberger und diese sind mit dem selben Anteil auch im Theaterverein vertreten, der laut Müller mit über 2.200 Mitgliedern zu den größten in Deutschland zählt.

 
 

Am Ende bleiben 33 Plätze leer. Abschlussszene von „Mayim Mayim“.
Fotos: Thomas Langer/Stadttheater Fürth

 

Eine besondere Beziehung hat das Fürther Publikum zum Tanztheater. Schon zu Beginn seiner Amtszeit seien die Abonnements mit eintägigen Gastspielen renommierter Compagnien gut angenommen worden, sagt Werner Müller, mittlerweile besuchen 1.800 Abonnenten die 3 Ballettreihen, darunter viele von außerhalb der Region: „Wir sind zu einer Art melting pot des modernen Tanzes in Süddeutschland geworden.“

Maßgeblichen Anteil daran hatte die Tänzerin und Choreografin Jutta Czurda, die mit ihrem „Czurda Tanztheater“ bis 1997 über zehn Jahre lang in Fürth wirkte, um dann ihren kreativen Schwerpunkt auf den Gesang und ihre feste künstlerische Mitarbeit am Fürther Theater zu legen. Sie war es auch, die die Idee hatte, zum Stadtjubiläum an ein besonders erschütterndes Ereignis in der Leidensgeschichte der jüdischen Bevölkerung zu erinnern: Wahrscheinlich 33 Kinder wurden am 22. März 1942 aus dem jüdischen Waisenhaus in Fürth deportiert, der Leiter Isaak Hallemann und seine Frau Klara gingen, trotz der Möglichkeit zur Ausreise, mit ihnen.

Miniaturen des Erinnerns

Czurdas Einladung an Choreografen aus aller Welt, die Patenschaft für eines der ermordeten Kinder in Form einer eigenen Tanzminiatur zu übernehmen und dafür ein Mitglied ihre Compagnie nach Fürth zu entsenden, stieß auf große Resonanz; ebenso die Aufforderung an Fürther Bürger, als „Gasteltern“ wiederum eine Patenschaft für die Tänzer zu übernehmen. Der Erfolg der Aufführung war somit zum einen dem Engagement der Gäste und der Gastfreundschaft der Fürther zu verdanken. Zum anderen gelang es Jutta Czurda, die naturgemäß vereinzelten „Miniaturen des Erinnerns“ trotz der kurzen gemeinsamen Probenzeit unter einen gro-ßen Bogen zu spannen. Kleine Begegnungen der Tänzer zwischen ihren Soli wirkten wie Überblendungen und setzten so die Einzigartigkeit jedes Beitrags ebenso ins Licht wie die übergeordnete Idee. Am Ende des ersten Teils führte sie das ganze Ensemble zu einem stummen Schrei zusammen, ganz organisch herauswachsend aus der vor Intensität berstenden Szene der Costaricanerin Elvira Zúñiga.

Ohne ein musikalisch tragfähiges Konzept hätte all dies freilich kaum gelingen können. So war es ein Glücksfall, wie Gregor Hübner, als eminenter Geiger im Jazz und in anderen Stilen zuhause, mit einer exquisiten Band und der finnischen Sängerin Sanni Orasmaa den Abend mit hochklassigen eigenen Kompositionen und Improvisationen (dazu Pärt und Schubert) nicht nur zusammenhielt, sondern prägend mitgestaltete.

Dass manche Miniaturen einander im trauernden Gestus oder gar bis in einzelne Gesten hinein ähnelten (etwa das Verdecken der Augen mit Händen und Armen), lag nahe, umso faszinierender war es zu beobachten, wie die Tänzerinnen und Tänzer diese verwandten Konzeptionen auf ganz eigene Weise umsetzten. Markante Akzente kamen andererseits von Persönlichkeiten wie dem Australier Anton Lock (Compagnie Meryl Tankard), mit Fächer und Elementen des Martial-Arts-Films, Doron Gueta von der Kibbutz Contemporary Dance Company mit einer beklemmenden, immer wieder von „Raus“-Rufen rhythmisierten Studie oder dem Spanier Albert Quesada, der mit verzweifelter Ausgelassenheit dem Publikum weitgehend den Rücken zuwandte.
Es war, als hätte man in die Zukunft eines jeden einzelnen Kindes gesehen, hätte verfolgt, was aus ihnen geworden, welch unterschiedliche Persönlichkeiten in ihnen herangereift wären. Die Zahl 33 erwachte zum Leben. Denn nicht nur Trauerarbeit wurde geleistet, zu Beginn des zweiten Teils beschworen Tänze aus dem Senegal, Sri Lanka und Indien die Kraft traditioneller Kunst. Und am Ende, nach dem Rundtanz, deckte man gemeinsam eine Tafel, Gläser wurden mit Wasser gefüllt, die Tänzer traten zurück, und 33 Plätze blieben leer.

Juan Martin Koch

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