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Diätküche beim Konditor
Das Staatsballett Berlin stellt sich vor · Von Manuel
Brug
Das Quartett der Taufpaten trug Schwarz, doch der Säugling
wird hoffentlich gedeihen. Kultursenator Thomas Flierl (PDS) stellte
in der Lindenoper, dort wo es auch proben wird und beheimatet ist,
das Berliner Staatsballett vor. Es ist das erste Baby und damit
greifbarer Ertrag der seit dem 1. Januar existierenden Berliner
Opernstiftung. Als Direktor fungiert der tanzende Weltstar Vladimir
Malakhov, der seit zwei Spielzeiten bereits das Ballett der Lindenoper
leitete.
Das freudige Ereignis, das von diesem Sommer an amtlich wird, ist
freilich auch eine Art Nottaufe, erkauft mit der Einsparung von
2,3 Millionen Euro und einem Abbau von noch einmal 40 Stellen. Inklusive
der bereits gestrichenen Stellen sind das eineinhalb Kompanien.
Die neue Kompanie wird mit über 80 Tänzern die größte
in Deutschland sein; 51 kommen von der Staatsoper, 20 aus dem Ensemble
der Deutschen Oper, 20 werden neu engagiert. Über hundert Tänzerstellen
sind damit im Lauf der Opernreform in allen drei Opernhäusern
weggefallen. Ganz aufgelöst wurde die Kompanie der Komischen
Oper, die ihre letzte Premiere im April zeigte. Dieser Personalabbau
macht es schwer, die Gründung des Staatsballetts Berlin als
Neuanfang zu feiern und nicht als eine Geschichte des Wegkürzens
zu lesen.
Enttäuschtes Publikum
Schließlich ist die unrühmliche Historie der drei Berliner
Ballettkompanien seit der Wende vor allem eine des Niedergangs,
des politischen Desinteresses und des künstlerischen Einheitsbreis.
Kein Wunder, dass sich irgendwann auch das Publikum bei so viel
Konfusion zurückzog. An der Deutschen Oper, der stolzesten
Kompanie der Stadt, ist diese Entwicklung besonders schrecklich.
Einst eine Truppe mit einem grandiosen Repertoire von den Klassikern
bis zur radikalen Moderne, ging es nach der Pensionierung des langjährigen
Chefs, Gerd Reinholm, nur noch abwärts, obwohl damals noch
Geld da war. Ballettdirektoren wie die ehemaligen Tänzer Peter
Schaufuß, Ray Bara, Richard Cragun oder Sylviane Bayard hatten
zu wenig Hausmacht, um sich gegen die mächtigen Intendanten
durchzusetzen. Ihre Visionen blieben Flickwerk, die reelle Chance,
Choreografen wie William Forsythe, Angelin Preljokaj, Kevin O’Day
oder Martin Schläpfer zu verpflichten, ließ man sich
entgehen. Auch weil kleinkarierte Eifersüchteleien zwischen
Intendanten, Tanzdirektoren und Politikern das Bemühen des
vom damaligen Kultursenator Peter Radunski für ein künftiges
„BerlinBallett“ als Tanzbeauftragten eingesetzten Gerhard
Brunner immer wieder Makulatur werden ließen. Zuletzt machte
die auf dreißig Tänzer geschrumpfte, völlig überforderte
Kompanie nur noch Dienst nach Spielplanvorschrift – vor meist
nicht einmal viertelvollem Haus. Ein Trauerspiel. An der Komischen
Oper, wo Tom Schilling über Jahrzehnte seine ostdeutsche Variante
eines klassisch grundierten, dramatisch aufgeladenen „Tanztheaters“
zum Erfolg geführt hatte, versuchte man sich unter Marc Jonkers,
Jan Linkens, Richard Wherlock und Blanca Li an gesichtsloser Moderne,
die für eine motivierte, junge Kompanie zu wenig prägendes
Futter abwarf, bevor sie jetzt unter der Leitung von Adolphe Binder
vom an dieser Kunstform desinteressierten Intendanten Andreas Homoki
mit Billigung des Senats liquidiert wurde. Nur die einst im Geiste
sowjetischer Ballettklassik geführte Tanztruppe der Lindenoper
überlebte dank ihres stumpfen Festhaltens an der gefälligen
Tradition. Nach dem Ausscheiden von Michael Denard, der immerhin
noch Maurice Béjart und Roland Petit zu Uraufführungen
bewegen konnte, beschied man sich mit den Tschaikowsky-Klassikern,
„Giselle“ und gemäßigter, selten gespielter
Moderne.
Aufbauarbeit
Man wird sehen, wieweit der ebenfalls dieser ästhetischen
Linie verpflichtete Vladmir Malakhov seine daran gewöhnten
Tänzer und das Restpublikum für das Staatsballett Berlin
wieder in die Gegenwart wird führen können. Wobei schon
neue Schulden drücken, die die schlechte Auslastung der Ballettvorstellungen
an der Deutschen Oper und der Komischen Oper verursacht haben. Vladimir
Malakhov hat seinen neuen Vertrag noch nicht unterschrieben, trotzdem
aber bereits Direktionsangebote aus Wien und München, wo man
ebenfalls nach strahlenden Namen sucht. Er wird genug zu tun haben,
erst einmal zwei Bühnen mit 88 Tänzern zu betreuen. Malakhovs
Spielplan, der 89 Vorstellungen vorsieht (es sollen einmal bis 110
werden) ist deutlich einer des Übergangs. Neben einer willkommenen
„Malakhov & Friends“-Gala sowie aufgeputztem Repertoire
darf von den fünf Premieren nur eine als echt gelten: Kenneth
MacMillans nicht wirklich staubfreie „Manon“ von 1974.
Als Wiederaufnahme gibt es immerhin an der Bismarckstraße
Maurice Béjarts Wagner-Paraphrase „Ring um den Ring“.
Viele Handlungsballette und gepflegte Moderne auch im übrigen
Angebot. An eine Fülle von Stilen und besonders zeitgenössischen
Ausdrucksmöglichkeiten wie sie die drei Ballette, das der Deutschen
Oper vor allem, noch Ende der 80er-Jahre im Angebot hatten, darf
gar nicht erst gedacht werden.
Ein Konsolidierungskurs also, erst mal müssen alle Möglichkeiten
getestet werden. Fortschritte im wahrsten Sinne gibt es ab 2005,
wo über diverse Uraufführungen und eine Koproduktion mit
William Forsythe verhandelt wird. Dafür gastiert im November
eine Woche lang das Kirov-Ballett aus St. Petersburg. Und im Juni
geht man selbst erstmals auf Japan-Tournee.
Ein zartes Pflänzchen, dieses neue Staatsballett Berlin –
doch bei allen Geburtswehen mit hoffentlich wenig Erbkrankheiten
aus vergangenen Opernkriegen behaftet. Es soll, es muss ein erfolgreicher
Neuanfang werden. Den braucht nicht nur Thomas Flierl. Ballett als
autonome Kunstform, das ist immerhin auch ein kulturpolitisches
Bekenntnis. Deutschlands größte klassische Kompanie muss
sich dessen würdig erweisen. Malakhov möchte sie einmal
mit dem Kirov, dem American Ballet Theatre, dem Londoner Royal Ballet
und dem der Pariser Oper in einem Atemzug genannt wissen. Dafür
hat er noch viel Arbeit vor sich.
Manuel
Brug
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