Von Film- zu Opernhelden
Ludger Vollmers „Paul und Paula“ in Nordhausen ·
Von Werner Wolf
Für den heutigen Bundesbürger, gleich ob in alten oder
neuen Ländern beheimatet, zeigt sich diese von Ludger Vollmer
geschaffene Oper „Paul und Paula“ als unmittelbares
Gegenwartsstück, auch wenn sie im Ostberlin der 1970er-Jahre
spielt. Denn was ehedem der gleichnamige Defa-Film und der weiterführende
Roman von Ulrich Plenzdorf mit kritischem DDR-Blick darstellte,
erweist sich heute durchaus nicht als systembedingt, sondern als
Menschliches, Allzumenschliches. Damals löste der Film in der
DDR vor allem unter den Jüngeren große Zustimmung aus,
weil seine Hauptgestalten mit all ihren Problemen dargestellt werden,
nicht als strahlende Vor-, als Wunschbilder, wie das manch alternde
Herren der Obrigkeit erwarteten. Der als frei schaffender Komponist,
Geiger, Bratscher und Musikpädagoge wirkende Ludger Vollmer
erkannte: Ähnliches passiert noch immer, ja, Leute wie Paul
und Paula sehen sich heute noch eher zum Ausbrechen veranlasst.
Eine allein erziehende Mutter zweier Kinder wie Paula hat nun statt
in einer Kaufhalle in einem Discounter – wie das neudeutsch
heißt – in jeder Schicht acht Stunden lang, also sage
und schreibe 28.800 Sekunden lang, piep zu tippen und zu hören.
Und Paul, in der Filmerzählung „persönlicher Referent
in einer Außenhandelsbehörde“, vom Komponisten
„als Manager einer Dienststelle“ verstanden, sieht sich
bei seiner die Seele abtötenden Tätigkeit und in seiner
verkorksten Ehe von einer unkomplizierten, temperamentvollen Frau
wie Paula eher noch stärker angezogen.
Solches Geschehen fordert Musik gerade zu heraus. (Für die
im Film eingesetzten Puhdys begann ja damit deren große Zeit).
Ludger Vollmer behält für seine szenische Anlage und seine
Musik die knappen Filmsequenzen bei (fast 40 musikalische und mehr
als 20 Erzählerszenen). Während der erste Akt im Wesentlichen
der Filmhandlung entspricht und mit dem Tod Paulas bei der Geburt
ihres dritten, mit Paul gemeinsamen Kindes endet, stützt sich
der zweite auf Ulrich Plenzdorfs Roman „Die Legende vom Glück
ohne Ende“.
Paul lernt nach Paulas Tod Laura, eine Paula äußerlich
verblüffend ähnliche Doppelgängerin kennen. Die aber
hat ganz andere Wünsche als Paula. Beim Versuch, ihr zuliebe
sein Auto wieder in Gang zu setzen, verunglückt er und wird
querschnittsgelähmt. Nun heiratet sie ihn. Doch er verschwindet
unauffindbar.
Zur Charakterisierung des Geschehens nutzt Ludger Vollmer vielfältige
musikalische Mittel , für Tanz- und Barszenen auch solche der
Pop- und Jazzmusik. Doch ausgehend von alten Techniken und Bausteinen
außereuropäischer Musik entwickelt er vor allem melodische
und rhythmische Kräfte, die er mit liegenden Klängen und
Klangfarben verbindet. Insgesamt besitzt diese Musik vor allem innere
Spannung. Die stärksten musikalischen Eindrücke erwecken
Szenen Paulas und Pauls, in denen sich mit emotional bewegtem Gesang
solistisch oder kammermusikalisch eingesetzte Instrumente verbinden.
Das kleine Musiktheaterensemble Nordhausens setzt seine ganze Kraft
für die Uraufführung des Werkes ein. Die schnellen Bildwechsel
erfolgen weitgehend während der Szenen der Erzählerin
(Annelie Theurer). Der Bühnen- und Kostümbildner Wolfgang
Rauschnig nutzt verschiebbare Wände, die mit laufenden Strahlen
rasch das entsprechende Aussehen erhalten. Die ungarische Regisseurin
Dorotty Szalma schafft mit den spielfreudigen Akteuren Spannung
über die gesamte knapp dreistündige Aufführung. Vor
allem Thomas Kohl überzeugt als beweglicher Paul auch mit seinem
ausdrucksstarken Gesang. Während die Stimme Anja Daniela Wagners
der kühl dargestellten Laura eher entspricht, wäre ihr
im ersten Akt als beherzt agierende Paula eine wärmere Tongebung
zu wünschen. Die beträchtliche Personenliste des Stückes
fordert das ganze hoch motivierte Ensemble. Besondere Anerkennung
verdienen der kleine Chor, die ebenfalls kleine Tanzgruppe und die
Statisterie. Ihre Einsatzfreude ermöglicht der Regisseurin
und der Choreografin Birgit Relitzki turbulente, zugleich stimmige
Ensembleszenen zu gestalten, die sich auch in einem größeren
Theater sehen und hören lassen können.
Alle Achtung verdient auch das Loh-Orchester Sondershausen unter
Leitung von Stefan Ottersbach, nicht zuletzt für beeindruckende
solistische und kammermusikalische Leistungen. Die hier besprochene
zweite Aufführung war zwar nicht wie die Premiere ausverkauft,
löste aber ebenfalls starken Beifall aus.
Werner
Wolf
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