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Das Friedenspotential der Musik
Daniel Barenboim erhielt Wolf-Preis · Von Martin Hufner
Am 9. Mai erhielt der Dirigent Daniel Barenboim in Israel den Wolf-Preis.
Dabei handelt es sich nicht etwa um einen Preis für musikalische
Verdienste; der Wolf-Preis wird vielmehr jährlich seit 1978
an herausragende Wissenschaftler und Künstler in Anerkennung
ihres Einsatzes im Dienste der Menschheit und für freundschaftliche
Beziehungen unter den Völkern vergeben. Diesen Preis hat Barenboim
nicht zuletzt für seine zwischen Israelis und Palästinensern
vermittelnden musikalischen Aktivitäten erhalten. Das Preisgeld
wird Barenboim Musikerziehungsprojekten in Israel und Ramallah stiften.
Dennoch blieb die Preisverleihung selbst eine pikante Angelegenheit.
Seine Dankesrede hielt er vor der Knesset, dem israelischen Parlament.
In seiner Rede verwies er ausdrücklich auf die Erklärung
der Unabhängigkeit Israels aus dem Jahr 1952. Daraus zitiert
Barenboim: „Der Staat Israel wird sich der Entwicklung des
Landes zum Wohle aller seiner Bewohner widmen. Er wird auf Freiheit,
Gerechtigkeit und Frieden im Sinne der Visionen der Propheten Israels
gestützt sein. Er wird all seinen Bürgern ohne Unterschied
von Religion, Rasse und Geschlecht, soziale und politische Gleichberechtigung
verbürgen. Er wird Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit
der Sprache, Erziehung und Kultur gewährleisten.“
Barenboim erklärte auch, dass er an eine militärische
Lösung des jüdisch-arabischen Konfliktes nie geglaubt
habe, ebenso wenig an eine moralische oder strategische. Die Reaktionen
in der Knesset waren unterschiedlich und reichten von Zustimmung
bis Ablehnung. Der israelische Staatspräsident Katzav meinte,
Barenboim verdiene eine Verurteilung nicht nur wegen der „unpassenden“
Ansprache, sondern auch dafür, dass er sich nicht bei Holocaust-Überlebenden
für eine frühere Aufführung von Wagner-Musik in Israel
entschuldigt habe. Erziehungsministerin Limor Livnat entgegnete
Barenboim, dass Israel in erster Linie als Heimstätte des jüdischen
Volkes gegründet wurde, und dass dieser Staat die Minderheiten,
die in ihm leben, anerkenne. Ein Mitglied der Wolf-Preis-Jury, Menachem
Alexenberg, hielt während des Vortrags ein Schild mit der Aufschrift
„Musik macht frei“ (in Anlehnung an den Satz über
dem Eingang des Konzentrationslagers Auschwitz „Arbeit macht
frei“) dem Vortragenden entgegen.
Natürlich machen weder Musik noch Arbeit frei, nur Freiheit
macht frei. Barenboim und sein „alter Freund“ Edward
Said haben einen Workshop für junge Musiker des Mittleren Ostens
entwickelt, für Juden, Christen und Araber und folgen damit
den Prinzipien auch der israelischen Unabhängigkeitserklärung.
Das ist gelebte israelische Verfassung, die in der Tat eins ist
mit der Auslobung des Wolf-Preises. „Musik ist die Kunst des
Vorstellbaren par exellence, eine Kunst, befreit von allen Beschränkungen,
angeregt durch Worte, eine Kunst, die an die Tiefe der menschlichen
Existenz rührt. Die Kunst der Klänge überschreitet
alle Grenzen. Solche Musik kann die Gefühle und Vorstellungen
von Israelis und Palästinensern zu neuen unvorstellbaren Sphären
führen“, heißt es am Ende von Barenboims Dankesrede.
Seine Rede verdient Achtung ob ihres Muts, an eigentlich selbstverständliche
Umgangsformen sittlichen Handelns zu erinnern. Barenboim war bereit
sich seine Finger zu verbrennen, nicht aber durch die gegenseitige
Zuweisung von Schuld, sondern durch seinen Rekurs sowohl auf die
israelische Unabhängigkeitserklärung als auch auf die
Erklärung der Menschenrechte an sich.
Schon wenige Tage zuvor, am 21. April, hatte Daniel Barenboim in
der Süddeutschen Zeitung in wenigen Worten zum jüdisch-arabischen
Konflikt pointiert Stellung genommen. „Ich bin prinzipiell
immer gegen gezielte Tötungen [die offizielle israelische Sprachregelung
lautet übrigens „gezielte Vereitelung“; M. H.]
gewesen. Das ist erstens unmoralisch, zweitens unverantwortlich
und drittens dient es nicht den langfristigen Interessen Israels.
Dass man sich andauernd nur auf Extremisten und auf Hass einstellt,
das kann doch nicht der Weg sein!“ Und er führt weiter
aus: „Das jüdische Volk hat nur ein einziges Kapital,
das moralische. Israel verschenkt es. Wenn wir das nicht bewahren,
dann haben wir wenig zu sagen in der Welt. Dass George W. Bush dabei
mitmacht, zeugt von seiner Kurzsichtigkeit. Und zeigt einmal mehr,
dass die amerikanische Regierung nicht in der Lage ist, für
die Lösung des Konflikts im Nahen Osten mit Verstand vorzugehen.
Die meisten Politiker besitzen keine eigene Meinung, keine individuelle
Position. Auch Bush nicht, dessen Blauäugigkeit gefährlich
ist.“ Prägnante Worte eines Musikers, der sich bereit
zeigt, politische Verantwortung zu übernehmen. Mahnung und
Ansporn zugleich, Aufgabe und gelebte Vision in seiner künstlerischen
Tätigkeit.
Martin
Hufner
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