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Ziele in München neu definieren
Richard-Strauss-Konservatorium und Musikhochschule · Von
Eckart Rohlfs
Die Überschrift „Sterbende Konservatorien?“ in
der Oktober-Ausgabe der „neuen musikzeitung“ 1968 löste
eine Diskussionslawine aus. Es gab Aufruhr im Musik(ausbildungs)staat,
Unruhe bei den etwa zwei Dutzend Instituten, die sich „Konservatorien“
nannten, weil ein hochkompetent besetzter Fachausschuss der Generalversammlung
des Deutschen Musikrats einen Neuordnungsplan für das Musikschulwesen
vorgelegt hatte, und dessen Umsetzung empfohlen wurde. Der Plan
war plausibel: Laienausbildung und Berufsausbildung klar zu trennen,
hie Musikschule, da Hochschule. Dazwischen bleibt (nur) die Vorbereitung
auf die Berufsausbildung. Das ging an den Nerv der Konservatorien,
die in unterschiedlicher Qualität teils Berufs- teils Laienausbildung
betrieben.
Ausgelöst und hochgeschaukelt wurde die ganze Auseinandersetzung
wegen der Harmonisierung der Abschlussprüfungen, weil fast
gleiche oder ähnliche Ausbildungen zu unterschiedlichen Berufsqualifikationen
führten, sprich letztlich auch zu unterschiedlichen Vergütungen.
Hochschule mit Diplomprüfung – das hat quasi Universitätsrang.
Aber wer sich mit „nur“ staatlicher (oder staatlich
anerkannter Abschluss-)Prüfung von Konservatorien und Fachakademien
bewarb, hatte das Nachsehen, fühlte sich benachteiligt, degradiert
durch die angewandte Tarifautomatik der Anstellungsträger.
Erst recht verwirrend wurde es, wenn es um gegenseitige (Nicht)Anerkennung
der verschiedenen Institutsabschlüsse im europäischen
Raume ging.
35 Jahre später sind sie tatsächlich weitgehend verschwunden,
diese Konservatorien, diese ehemaligen Bewahranstalten junger Zöglinge,
wobei musikalische Erziehung unter vielen weiteren Fächern
mehr oder weniger Schwerpunkt war. Jetzt fungieren sie noch da und
dort, nicht nur in unserem Land, als sogenannter Mittelbau, soweit
nicht aufgelöst, aufgeteilt, je nach Schwerpunkt der Laienarbeit
oder der beruflichen Ausbildung zugeordnet, also teils als Musikschule,
teils umfunktioniert als Hochschule. Auch anderswo bastelte man
unter Europadruck an ähnlichen Reformen. So verlieh man manchem
Konservatorium der Eidgenossen den Hochschulstatus. In Italien verursacht
ein jüngstes Staatsedikt, den etwa 70 Konservatorien quasi
Uni-Level aufzudrücken, aufgeregte Diskussionen, die an jene
anno 1968 in Deutschland erinnern. Österreich adelte vor wenigen
Monaten seine drei Musikhochschulen sogar zu Musikuniversitäten
mit allen universitären Rechten und Pflichten. Inzwischen erfolgte
auch in Berlin nacheifernder Etikettenwechsel, in dem die alte HdK
jetzt als Universität der Künste firmiert.
Utopie: Zwei Hochschulen
Aber einige Konservatorien bewahrten noch Name, Aufgabe und Tradition,
so in Hessen und Rheinland-Pfalz sowie einige Privatinstitute. Münchens
städtisches Richard-Strauss-Konservatorium allerdings fühlt
sich schon fast Hochschul-like und wäre es auch gerne. Und
eine „Richard-Strauss-Hochschule München“, so mag
der Gitarrist Martin Maria Krüger als Direktor seines Konservatoriums
gelegentlich träumen, wäre kein schlechtes Image. Wenn
es nicht schon die Hochschule für Musik und Theater München
mit der Kooperation der Theater-Akademie August Everding gäbe,
die auf die Gründung 1846 als privates „Conservatorium“
zurückgeht und die später als königliche Staatsanstalt
übernommen wurde. Zwei Hochschulen mit gleichem Bildungsauftrag
in München, eines links, eines rechts der Isar, ist Utopie.
Solches leistet sich allenfalls (und vielleicht nicht mehr lange)
die Bundeshauptstadt Berlin, freilich Überbleibsel aus der
vereinigten geteilten Hauptstadt. Und Weltstädte wie Tokio.
So wurden im Verlauf von 35 Jahren aus den meisten Konservatorien
in Deutschland – einige nannten sich Akademien oder ähnlich
– eigenständige Hochschulen oder Außenabteilungen,
also Zweigstellen der bestehenden 23 staatlichen Hochschulen. Selbst
die meisten Kirchenmusikschulen titulieren inzwischen als (kirchliche)
Hochschulen. Nun gilt es, das quo vadis für diese letzte der
ehemals fünf Fachakademien für Musik in Bayern auszumachen,
eben für jenes Richard-Strauss-Konservatorium, dem ein breites
künstlerisches Ambiente mit Hochschulnähe nicht abzusprechen
ist.
Entlassen oder verkaufen
Da trifft es sich nun, dass die Stadt München, finanziell
fast pleite, ihre 1962 in städtische Regie übernommene
Berufsausbildungsstätte für Musik, hervorgegangen aus
dem 1927 gegründeten privaten Trapp’schen, dann Händel-,
1957 schließlich Richard-Strauss-Konservatorium genannt, schlichtweg
loswerden will. Einfach schließen, so wie man andernorts getrost
Orchester um Orchester auflöst, über zehn Dutzend Lehrkräfte
einfach in die Prärie schicken und fast 500 hoffnungsvolle
Studierende orientierungslos entlassen? Oder meistbietend verkaufen
an einen privaten Investor und kommerziell weiterführen? Das
rechnet sich nicht in einem Land, das keine Studiengebühren
kennt. Oder dem Freistaat die Übernahme anzubieten, ja dringlich
anzutragen, zumal er bisher schon einen gehörigen Batzen zum
Lehrpersonal beisteuert. Der fühlt sich als Kulturstaat. Soll
einspringen, wo die Kommunen nicht mehr können. Gestern für
die Bamberger Sinfoniker, weil der Bund nicht mehr kann. Morgen
das Nürnberger Opernhaus verstaatlichen. Und gerade erst die
stolz verkündete (Zwischen-)Lösung für die beiden
Konservatorien von Nürnberg und Augsburg: jenes Unikat einer
gemeinsam getragenen kommunalen Musikhochschule ohne hohe Lebenserwartung
schreit ebenso nach Vater Staat als Pate.
Für und Wider
In der Münchner Musikhochschule sieht man diese Entwicklung
mit gemischten Gefühlen, bangend wie man selbst aktuellen Ansprüchen
beruflicher Musikausbildung nachkommen kann. Seit Jahren sperrte
sie sich vehement gegen alles heimliche und offene Werben um eine
Ehe mit dem städtischen Institut am Gasteig. Erst allmählich
formt sich eine Beitritts-, besser Adoptionslösung, nachdem
Bayerns Parlament und Kunstminister sich ebenso klar für eine
Fusion, für eine Übernahme ausgesprochen haben. Schnell
waren die Rechner an der Hand, was all das kosten soll. Und wer
soll das bezahlen? Denn mit Auswechseln eines Türschildes am
Gasteig ist es nicht getan.
Einmalige Chance
Die einen sorgen sich, welch berufliche Perspektiven die rund
30.000 Studierenden in Musikberufen haben, davon an deutschen Musikhochschulen
über 25.000 mit jährlich fast 4.000 Absolventen in einem
nahezu bankrotten Gemeinwesen, das für Bildung und Kultur,
erst recht für Musikkultur den Geldhahn beängstigend drosselt.
Daneben öffnet sich europaweit der Arbeitsmarkt. Es drängen
mehr hoch motivierte, hochqualifizierte Musiker und Künstler
ins Land als deutsche Musiker anderswo in der Welt Auskommen, Erfolg
und Bleibe finden. Das lehrt eindringlich, dass nur hohe, höchste
Leistungsfähigkeit, Mobilität, vielseitiges Fachkönnen
Chancen haben sich durchzusetzen. Da erscheint es in der Tat höchst
widersprüchlich, angesichts solcher Situation die Anzahl von
teuren Studienplätzen zu erhöhen anstatt zu reduzieren
und im Lehrpersonal-Etat zu sparen.
An diesem Punkt zieht die Musikhochschule – bisher im Rufe
einer Hochschule mit höchstem künstlerischen Ausbildungsziel
– ihre Konsequenz und der (noch amtierende) Rektor Robert
M. Helmschrott sieht mit der Teilübernahme der Ausbildungskapazität
des Konservatoriums die einmalige Chance: Denn „eine größer
werdende Hochschule übernimmt eine größer werdende
Ausbildungsverantwortung. Einziges Kriterium: Qualitätssicherung
und Qualitätssteigerung, also Leistungsverbesserung, erweitertes
Studienangebot, das auf gesellschaftliche und technologische Veränderungen
reagiert“. Sein Plan: natürlich angemessen reagieren
und auftragsgemäß übernehmen, was der zunächst
wenig geliebte Partner zum Einstand als Mitgift, an spezifischem
Ausbildungsangebot des RSK mit einbringt: Frühe und Alte Musik,
Ausbildungsfächer Blockflöte, Saxophon, Gitarre, Hackbrett
und Zither, Kirchenmusik B, Ausbildung von Lehrkräften und
Ensembleleitern für Jazz und Popularmusik für deren qualifizierten
Einsatz in Sozial- und Jugendarbeit, bei Verbänden und Ämtern.
Musikpädagogik soll an der dann erweiterten Musikhochschule
einen neuen Akzent bekommen. Nicht nur Ausbildung für Lehrkräfte
in allen Arten allgemeinbildender Schulen, sondern auch für
die außerschulische Musikerziehung soll es geben, also für
Diplom-Lehrkräfte an Musikschulen und in freier Unterrichtstätigkeit.
Schwerpunkt wird dabei die Neueinrichtung eines Studiengangs Elementare
Musikpädagogik sein. Lässt das hoffen, dass man dann auch
für die defizitäre Musik- und Bewegungserziehung an sozialpädagogischen
Ausbildungsinstituten geeignete Fachdozenten erwarten kann?
Dazu gehört die vermehrte und gezielte Frühförderung
von Hochbegabten. Mehr Kammermusik. Kontinuierliche Auseinandersetzung
mit Neuer Musik. Umstritten bleibt das Volksmusik-Diplom als nicht
mit „dem akademischen Selbstverständnis einer Hochschule
vereinbar“. Erweitert werden muss das aktuell immer nötiger
werdende Lehrangebot wie Kulturmanagement, Multimedia, Musik-Journalismus.
Dazu soll die weitere Integration der mehr oder weniger privaten
Ballettakademie kommen, die mit der Bosl-Stiftung verbunden ist.
Übernahme und Abbau
Vernünftig hört es sich angesichts der Berufsaussichten
an, die Studierendenzahl zu reduzieren. Das passierte bei der kürzlichen
Übernahme des Würzburger Konservatoriums an die dortige
Musikhochschule: Reduzierung um etwa ein Drittel der Studienplätze.
Das Beispiel gilt auch für München, aber es braucht Zeit.
Dies soll in der Übergangszeit bis zur Übernahme, bis
zur Fusion geschehen, die für Herbst 2005 im Visier ist. 300
der fast 500 Studienplätze des Konservatoriums sollen der Hochschule
zugeschlagen werden, und dafür ist zusätzliches Lehrpersonal
notwendig. Dementsprechend sollen rund 50 Lehrkräfte, ebenfalls
etwa zwei Drittel des Konservatoriums-Lehrkörpers an die Hochschule
übernommen werden – freilich nur für den Mittelbau
der Hochschule, also für die Routine-Ausbildung, nicht für
das künstlerische Diplom.
Aber bis dahin muss auch die Stadt München Schulaufgaben machen,
das erwartet die Hochschule, nämlich die übrig bleibenden
Lehrer des Konservatoriums „entsorgen“, besser versorgen.
Viele haben unbefristete Verträge für ihre pädagogische
Nebentätigkeit neben dem Dienst in einem der Münchner
Orchester. Diese werden Ansprüche geltend machen und sind nur
über Auflösungsverträge und Abfindung zu befriedigen.
Das wiederum kostet die Stadt München Geld. Kommt es zur Betriebsübernahme
des Konservatoriums an die Hochschule, so würde die Hochschule,
sprich der Staat, sich mit diesem Problem auseinander zu setzen
haben und zur betriebsbedingten Kündigung greifen, weil er
nicht alle Lehrkräfte weder wird beschäftigen noch bezahlen
können und wollen. Die ihrerseits auf Besitzstand pochen. Der
arbeitsgerichtliche Konflikt ist durch diese Personalauseinandersetzung
vorprogrammiert – hier können nur gemeinsame good-will-Vereinbarungen
zu tragfähigen Lösungen führen. Denn schon heute
fragen sich die Konservatoriumslehrkräfte: bin ich dabei oder
nicht? Wenn ja, wird meine BAT-Stelle II oder III in eine Beamtenstelle
A oder in die begehrtere C oder in Sonderverträge münden?
Zu beneiden ist jenes Gremium nicht, das Musiklehrerstellen in ihrer
pädagogisch-künstlerischen Qualität beurteilen, die
„Hochschuleignung“ bekräftigen soll, um davon die
Übernahme und Weiterbeschäftigung abhängig zu machen.
Alle anderen, weil „ungeeignet“ für den Hochschulbetrieb,
fühlen sich disqualifiziert. Letztlich geht es um Existenzen,
ums tägliche Brot, und um die Frage, wie stark man die Anzahl
arbeitsloser Musikerzieher und Musiker durch diese Fusionierung
erhöhen wird.
Vieles in der Schwebe
Die Hochschule ängstigt sich darüber, dass zwangsintegrierte
Lehrkräfte des Konservatoriums, die Ansprüche auf Weiterbeschäftigung
geltend machen, bestehende Lehraufträge an der Hochschule verdrängen
könnten, die grotesker Weise schlechter bezahlt sind als die
nebenberuflichen BAT-Angestellten am Konservatorium. Wo sind dann
die Psycho- und Fachberater, die sich darum kümmern, dass durch
Umschulung, Weiterbildung für die nicht übernommenen Lehrkräfte
alternative Beschäftigungen gesucht und angeboten werden? Da
locken vielleicht Absichtserklärungen des Kultusministeriums,
für die Grundschulen in Bayern wieder Fachlehrer einzusetzen
und auszubilden. Da will sich die Kultusministerin dafür einsetzen,
dass im Bereich der Sozialpädagogik den künftigen Erziehern
und Sozialpädagogen eine fachgerechte(re) musikalische Bildung
geboten wird.
Noch ist ziemlich viel in der Schwebe. Denn so ganz entpflichten
will weder Hochschule noch der Freistaat den bisherigen Träger
ihres Konservatoriums, die Stadt München. Wo sollen 300 Studierende
und 50 neue Lehrkräfte ihren Arbeitsplatz haben? Auf die 50
Unterrichtsräume im Kulturzentrum Gasteig, fachgerecht mit
Instrumentarium ausgestattet, reflektiert die Hochschule auch schon
deshalb, um an Münchens kulturellem Mittelpunkt ähnlich
mit präsent sein zu können wie bislang das Konservatorium
mit seinen regelmäßigen musikalischen Präsentationen.
Das kann man in keiner umgewidmeten NS-Parteizentrale haben.
Helmschrott, nur noch wenige Wochen im Rektoramt und auf der Suche,
einen geeigneten Verfechter für die Weiterverhandlungen als
Nachfolger zu finden, hat noch andere Visionen. Die Münchner
Musikhochschule rangiert mit der Fusion von ihrem zehnten auf den
vierten Patz in der Bedeutung, im Studienangebot der deutschen Musikhochschulen.
Nebenan kränkeln die gerade installierten kommunalen Hochschulinstitute
von Nürnberg und Augsburg, die über kurz oder lang doch
vom Staat gerettet oder ganz aufgegeben werden müssen. Statt
Verzettelung rät Helmschrott, sich in Bayern auf zwei leistungsfähige
Berufsausbildungsstätten zu konzentrieren, diese auszubauen
mit einem aktuellen Komplettangebot künstlerischer, pädagogischer
und anderer aktueller sich verzahnender Disziplinen: dafür
reicht mit der Musikhochschule Würzburg eine in Nordbayern
mit dem ehemaligen Meistersingerkonservatorium Nürnberg als
Außeninstitut, und die Musikhochschule München für
Südbayern mit der Abteilung Augsburg, dem ehemaligen Leopold-Mozart-Konservatorium.
Neue Köpfe
Steht eine feindliche oder eine friedliche Übernahme ins
Haus? Damit müssen sich nun neue Köpfe auseinandersetzen;
denn in wenigen Wochen wechseln sowohl Bayerns Kunstminister und
sein Musikreferent wie auch der Rektor der Musikhochschule. Eines
steht fest. Für den Übernahme- oder Fusionsvertrag bedarf
es noch der Auflösung allzu vieler Dissonanzen. Jede geplante
Einsparung kostet erst einmal viel (mehr) Geld. Eines der dauerhaftesten
und vor allem ein kostenloses Geschenk, welches das Institut rechts
der Isar in das ehemalige Führer-Palais am Königsplatz
mitbringen könnte, das wäre der anspruchsvolle, aber angemessene
Name „Richard-Strauss-Hochschule für Musik und Theater
München“. In Würzburg könnte entsprechend Zilcher
oder Zillig (wieder) Namenspatron werden. Und mit dieser Bezeichnung
würde man lediglich die Praxis der ostdeutschen Musikhochschulen
(und der in Düsseldorf), die den Namen großer Komponisten
tragen, nachvollziehen.
Eckart
Rohlfs
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