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Der Tod als Segen
„Die Sache Makropulos“ in Oldenburg · Von Christian
Tepe
Eine Produktion der „Sache Makropulos“ bedeutet nicht
nur für mittlere Häuser wie Oldenburg immer ein besonderes
Wagnis, denn mit der Musik seiner vorletzten Oper greift Janácek
an den Lebensnerv jener Kunstgattung, die auf die Beschwörung
der Macht der Gefühle abzielt. Bei Janáceks Protagonistin
Emilia Marty ist eben dieses Reservoir der Gefühle erschöpft:
Hinter der „Sache“ verbirgt sich die Formel zu einem
Lebenselixier, das Anno 1601 an Emilia im Rahmen eines wissenschaftlichen
Experiments erprobt wurde. Nach über 300 Jahren beginnt die
Wirkung der Arznei nachzulassen und die Probandin von einst versucht
alles, um die verlorene Formel wiederzuerlangen. Doch als Emilia
endlich das Unsterblichkeitsrezept zurückerobert hat, verzichtet
sie: Die Option eines ewigen Lebens hat die 300jährige Schönheit
in ein emotionales Nichts gestürzt. Alles hat sie schon einmal
erlebt, alles ist für sie leer und sinnlos geworden, keine
Liebeshoffnung vermag sie noch zu beflügeln. Solche Seelenzustände
lassen sich musikalisch nicht mehr mit den Heldinnen-Kantilenen
aus „Jenufa“ oder „Katja Kabanowa“ ausdeuten,
auch wenn Emilia ironischerweise Operndiva und damit von Berufs
wegen Sachwalterin der ganz großen Gefühle ist. Janácek
bedient sich daher einer Rastertechnik, in der die ausgedörrten
Partikel einer atomisierten Volksmusik im Orchestersatz zu Klangwüsten
ausgebreitet werden, aus denen dann im Gesang die Fata Morganen
echter Gefühle gleißend aufragen.
In Oldenburg wird die paradoxe Aufgabe, das Leiden an der Ohnmacht
der Gefühle mit leidenschaftlichem Engagement darzustellen,
grandios gemeistert. Marcia Parks legt als Emilia mit allen Finessen
klanglicher Nuancierungskunst die schwermütige Schönheit
unter der rauen Oberflächenschicht ihrer Partie frei. Parks’
Emilia macht sängerisch und darstellerisch wahrnehmbar, was
den Erotomanen Janácek an dieser Figur fesselte, nämlich
die Möglichkeit einer neuen ultimativen Verherrlichung des
Opernmythos Frau als Geheimnis, als Wesen von undurchdringbarer
Trauer und übermenschlicher Leidensfähigkeit, vor der
die Männer auch dieser Oper zu hilflosen Sklaven ihrer planen
Wünsche und Hoffnungen verblassen. Peter Vincent kämpft
sich achtbar durch die vertrackte Tenorpartie des Albert Gregor,
Bernard Lyon verleiht dem Jaroslav Prus seinen sonoren Bariton und
Henry Kiichli gewinnt mit prägnanter Deklamation dem trockenen
Parlando des Anwalts Dr. Kolenaty ein Höchstmaß an Ausdruck
ab. Mit energischem Impetus gehen GMD Alexander Rumpf und das Oldenburgische
Staatsorchester die enervierend leere und zugleich doch aufpeitschende
Motorik an, mit der die Musik die Zuhörer von den ersten Takten
des Vorspiels an nahezu anspringt. Die bizarren Schroffheiten in
der Instrumentation präsentiert das Orchester mit überraschender
Geschmeidigkeit.
Oft sind es gerade die kleinen und kleinsten Chorpartien, die eine
exzeptionelle Bedeutung für das Ganze gewinnen. Mit Blick auf
Janácek denke man nur an den die Heldin in den Tod lockenden
mystischen Wolgachor aus „Katja Kabanowa“. Eine ähnliche
dramaturgische Funktion erfüllt auch der von Janácek
im Orchestergraben platzierte Herrenchor, der am Ende der Makropulos-Oper
einige Sentenzen aus dem Sterbensgesang Emilias repetiert. Wenn
Regisseur Mark Zurmühle in Oldenburg den (für seine begrenzten
musikalischen Aufgaben von Thomas Bönisch gut präparierten)
Chor auf die Bühne bringt und in Sargträgeruniformen sowie
von Verwesung gezeichneten Gesichtsmasken auftreten lässt,
steht der Tod selbst auf der Bühne, um Emilia zu holen. Mit
diesem Tableau setzt Zurmühle ein Fragezeichen hinter die durch
die Handlung nahegelegte Philosophie vom Tod als Segen. Mag Emilias
Sterben individuell eine Erlösung sein, der Tod an sich bleibt
schrecklich, grausam und unerbittlich.
Zurmühles Inszenierung im kargen Einheitsbühnenbild mit
dunkelrot grundierten Blattmustertapeten (Bühne: Eleonore Bircher)
überzeugt durch eine psychologisch differenzierte Personenführung
und findet besonders im Zusammenhang mit den Begegnungen zwischen
Emilia und Christa, einer jungen Verehrerin der Sängerin, Bilder
von anrührender Poesie. Die Brisanz, die der Oper vor dem Hintergrund
der Entwicklung der Gentechnik zugewachsen ist, wird dagegen ausgeblendet,
die Chance zu einer expliziten Auseinandersetzung mit den Illusionen
wissenschaftlichen Fortschritts nicht ergriffen.
Christian Tepe
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