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Editorial

Über den Frieden im Grossen und im Kleinen

Die Berliner Opernhäuser und Orchester haben jüngst anlässlich des 85. Jahrestages der Novemberpogrome 1938 einen gemeinsamen Aufruf gegen Antisemitismus und Hass und für ein friedliches Miteinander gestartet. Alle Berliner:innen werden dazu aufgerufen, gegen Antisemitismus und Hass einzustehen. Auch in aufgewühlten Zeiten müssten Kontroversen gewaltfrei und mit Toleranz ausgetragen werden. …

Gerrit Wedel. Foto: VdO

Gerrit Wedel. Foto: VdO

Weiter heißt es unter anderem: „Als Hauptstadt Deutschlands und Heimat von renommierten Opernhäusern und Orchestern ist Berlin weltweit ein Symbol für Offenheit, Freiheit und Toleranz. … Antisemitismus darf wie Rassismus und jede andere Form der Ausgrenzung keinen Platz in unserer Gesellschaft haben. – Auch in der gegenwärtigen angespannten Lage dürfen wir uns nicht von Hass und Hetze leiten lassen.“

Musiktheater hat schon immer die existenziellen Themen verarbeitet. Liebe. Hass. Gerechtigkeit. Verlust. Stolz. Triumph. Und eben Krieg und Frieden. Und all diese Themen lassen sich beliebig skalieren. Die kleinen, nur allzu menschlichen Konflikte, sind zugleich die ganz großen Dramen – und umgekehrt. Das zentrale Thema ist die Spannung zwischen gesellschaftlichen Macht- und Gewaltverhältnissen und der menschlichen Identität.

Das Jahr neigt sich dem Ende zu, zahlreiche spektakuläre Inszenierungen hat es im Jahr 2023 gegeben, wie zum Beispiel Prokofjews „Krieg und Frieden“ in München, dessen Premiere ungefähr zum Jahrestag des Kriegsbeginns in der Ukraine stattgefunden hat (Besprechung in „O&T“, Ausg. 02/2023, S. 28 f.). Inzwischen beschäftigt uns seit dem Angriff der Hamas auf Israel ein weiterer Krieg. Ohne zu sehr auf das aktuelle Zeitgeschehen Bezug zu nehmen, wird dies auch beklemmend aktuell in der Inszenierung von Verdis politischer Oper „Nabucco“ in Karlsruhe dargestellt (Besprechung auf S. 26 f.).

Das Bedürfnis nach Frieden und nach guten Nachrichten wird vor diesem Hintergrund immer drängender. Die Kunst erlaubt uns manchmal einen kurzen Moment des Rückzugs von der Realität. Manchmal dürfen wir in der Vision einer friedlichen Welt schwelgen. Und manchmal gibt uns das Musiktheater etwas anderes: Im wahrsten Sinne eine Bühne, auf der die Themen, die die Gesellschaft bewegen, „durchgespielt“ werden dürfen. Ohne echte Tote (zumindest am Ende stehen alle zum Applaus wieder auf), im Schutz des hohen Guts der Kunstfreiheit, an einem freiheitlichen Rückzugsort. Dort kann das Publikum, können die Künstler*innen die Reflexion erlauben, die abseits der Bühne oft zu kurz kommt.

Wie in einem Schaukasten erlaubt die Bühne wortwörtlich ein – auch überhöhtes – „Durchspielen“ der verschiedensten Szenarien und ermöglicht es dem Publikum, ein Gespür dafür zu entwickeln, in welcher Welt man leben will. Auch das „Nachspielen“ der realen Welt findet statt, oder zumindest eine Anlehnung an wahre Geschichten und Schicksale. Das erlaubt uns, uns in einem klar umsteckten Rahmen mit Vergangenem wie Aktuellem auseinanderzusetzen. Uns wird die selbst erlebte tatsächliche Bedrohlichkeit erspart, jedoch die gesellschaftspolitische wie auch selbstkritische Reflexion ermöglicht.

Dies stellt einen entscheidenden Beitrag für eine offene, freie und tolerante Gesellschaft und damit auch die Basis für einen friedvollen Umgang miteinander dar – im Großen wie im Kleinen.

Gerrit Wedel

 

 

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