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Berichte

Musikalische Komödie mit Herz

Posthume Uraufführung von Alberto Franchettis »Don Buonaparte« in Annaberg-Buchholz

Moritz Gogg setzt seine mit Amtsantritt als Intendant des Eduard-von-Winterstein-Theaters begonnenen Randstreifzüge im Musiktheater zielstrebig wie überraschungsreich fort. Nachdem Christian von Götz‘ Inszenierung von Ralph Benatzkys „Der reichste Mann der Welt“ den BR Operettenfrosch einheimste, folgt im Dezember mit Hugo Hirschs „Der Fürst von Pappenheim“ die nächste aufsehenerregende Operetten-Entdeckung. Damit zieht Gogg überregionale Aufmerksamkeit in das kleine Haus mit Familiencharme. Zwischen den Operetten-Sensationen folgte jetzt eine stürmisch umjubelte Opernuraufführung.

Posthume Uraufführung von Alberto Franchettis »Don Buonaparte« in Annaberg-Buchholz

Posthume Uraufführung von Alberto Franchettis »Don Buonaparte« in Annaberg-Buchholz

Der Erfolg von Alberto Franchettis Dreiakter „Don Buonaparte“, komponiert 1939, hat in Annaberg vor allem zwei Gründe: Zum einen bietet die liebevolle Inszenierung von Lev Pugliese realistische Kostüme in einem Ambiente mit flackerndem Herdfeuer, stilisierter Toskana-Folklore und von Weinlaub berankten Gutsgemäuern vor südlichem Himmel. Zum anderen rührt die Handlung der Komödie ans Herz. Es geht vor allem darum, dass der Landpriester Don Geronimo lieber weiterhin in der Toskana bleibt und dort seine Gemeinde-Schäfchen hütet als in Paris bei seinem Neffen Napoléon Bonaparte Karriere zu machen. Auch die Bevölkerung entscheidet sich nach lustvollen Lockungen Richtung Paris doch lieber für die heimische Scholle. Nur die junge Mattea gibt dem Kirchendiener Maso den Laufpass und folgt einem strammen französischen Korporal.

Alberto Franchetti komponierte das anno 1939. Mussolini hatte kein Interesse an dem Stück und favorisierte weiterhin Pietro Mascagni. Der Jude Franchetti, in seinen Jugendjahren einer der reichsten Männer Italiens und lange Zeit ebenbürtiger Rivale Puccinis, überlebte dagegen bis zu seinem Tod 1942 den verblassenden Nachruhm seiner früheren Opern. Das Textbuch zu „Don Buonaparte“ verfasste Giovacchino Forzano, Librettist von Puccinis „Il trittico“ nach einer eigenen Komödie, die 1941 auch verfilmt wurde.

Seit Jahren ist der Autor Helmut Krausser ein passionierter Anhänger Franchettis, er hält „Don Buonaparte“ für eine der größten Opern des 20. Jahrhunderts. GMD Jens Georg Bachmann hatte das hoch ambitionierte Projekt am Eduard-von-Winterstein-Theater angeregt. Man holte sich den Beistand von Richard Erkens, Präsident der italienischen Franchetti-Gesellschaft, durch den fotografierte Partiturseiten in den Besitz von Helmut Krausser kamen. Letzterer nahm wenige nötige Textergänzungen vor. Schließlich legte Lev Pugliese einige Bildanimationen und VR-Zusätze über den sentimentalen Szenenschimmer, mit dem er das Weltabschiedswerk des 80-jährigen Franchetti atmosphärisch absicherte und eventuelle Fragen zu Franchettis Haltung zum Zeitgeschehen um 1940 neutralisieren wollte.

Opernchor, Extrachor und Solist*innen des Eduard-von-Winterstein-Theaters. Foto: Ronny Küttner/Photoron

Opernchor, Extrachor und Solist*innen des Eduard-von-Winterstein-Theaters. Foto: Ronny Küttner/Photoron

Franchettis Oper ist ein Liebeslied an die Toskana wie Puccinis 20 Jahre früher entstandene Oper „Gianni Schicchi“. Dieser Vergleich gerät allerdings zur Bürde. Die Erzgebirgische Philharmonie, die Chöre und das bewundernswert motivierte Ensemble zeigten sich dem matten Verismo-Abgesang Franchettis vollauf gewachsen. Von der Geschmeidigkeit, der schnellen Verve und den akuten Klangreaktionen wie in Verdis „Fal-staff“ und „Gianni Schicchi“ schreckte der in jüngeren Jahren äußerst innovative und risikobereite Franchetti allerdings zurück. Im zweiten und dritten Akt reihen sich Minuten im gleichen Taktmaß, laufen Rhythmus- und Melodienerfindungen ohne Impulse durch Text und Handlung weiter. Franchetti besann sich auf die geschlossenen Nummerngebilde des mittleren Verdi. Harfen-Akkorde im Militärmarsch und Synkopen-Akzente der Holzbläser in Streicherchören sind Reminiszenzen an Innovationen, die Franchetti vor Jahrzehnten selbst im künstlerischen Dialog mit Puccini und Catalani entwickelt hatte. Der für das mittelgroße Orchester vereinfachte Satz wirkt in Annaberg dabei weitaus raffinierter als jener des späten Mascagni.

Von den zahlreichen Partien reicht keine an die Titelfigur Don Geronimo heran. László Varga ist ein recht junger Priester mit mehreren ausgedehnten Soli. Varga verzichtet gegen Ende auf die kräftigen Akzente und gibt der Figur damit einen weichen Fluss, der dem Werkganzen gut ansteht. Sophia Keilers angenehm dunkler und noch leichter Sopran veredelt die ihr Glück in Frankreich suchende Mattea. Corentin Backès gibt mit schönem Timbre den zurückgewiesenen Maso. Jinsei Park ist ein autoritärer, fast grober General, und Kerem Kurk eifert ihm als Korporal mit Glück bei den Frauen nach. Mit zwei Nebenpartien muss sich diesmal Annabergs große Tenor-Hoffnung Richard Glöckner begnügen, und Bettina Grothkopf gibt bemerkenswert jugendfrisch Matteas Mutter Maria. Hohen Anteil an der guten Wirkung haben die von Daniele Pilato hervorragend aufgerüsteten Chöre. Für eine italienische Oper dieser Jahre enthält das Werk relativ viele Chorauftritte: ein ausgedehntes Gebet, eine folkloristische Paradenummer und einen schönen A-cappella-Satz des Herrenchors. Genreszenen wie in der Inszenierung Puglieses sind heute selten. Der Italiener zeigt Mut zur Darstellung von schlichten Emotionen, Idylle und auch gröberer Komödiantik.

Immer wieder legt Pugliese goldgelbes Licht auf die Interieurs und das Toskana-Ambiente. Viele Premierengäste zeigten sich beglückt von dieser noblen wie dekorativen Lesart. So gerät die Annaberger Uraufführung zu einem Appetizer, welcher Hunger auf Aspekte von „Don Buonaparte“ macht, die hier ausgespart wurden. Dem Publikum gefiel Franchettis milder Opernherbst außerordentlich gut.

Roland H. Dippel

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