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Berichte

Makabres zum Tage

»Le Grand Macabre« an der Oper Frankfurt

Kommt es zum Knall? Zu einem begrenzten? Oder zu dem ganz großen? Die aktuellen Bilder dazu sind ja gegenwärtig – und dann präsentiert die Oper Frankfurt die Bühne als gespenstisch artistischen Spiegel unserer mitteleuropäischen Gefühligkeit. Dies gelingt mit einem Musiktheaterwerk von 1978, mit György Ligetis „Le Grand Macabre“. In der Pause heimgehen? Am Ende stumm erschrocken das Theater verlassen? Oder doch einer beeindruckend gelungenen künstlerischen Leistung Beifall zollen?

Anna Nekhames (Venus), Simon Neal (Nekrotzar), Peter Marsh (Piet vom Fass) und Statisterie. Foto: Barbara Aumüller

Anna Nekhames (Venus), Simon Neal (Nekrotzar), Peter Marsh (Piet vom Fass) und Statisterie. Foto: Barbara Aumüller

Ligetis nur im zweiten Teil etwas langes Brueghel-Land-Gleichnis erwies sich als aktuell wie nicht erwartbar. Ein den Erdball zerstörender Kometeneinschlag? Das ist ein Event, zu dem man aus der Lichtverschmutzung der Stadt unter die Autobahnzubringer fährt – und sensationsgierig glotzt: auf eine unter real großen Beton-Straßen wirre Ansammlung von Alt- und Neu-Autos samt einer ebenso bunten „Gesellschaft“, vom Punk zur Mutti mit Kindern, zum gendernden Liebespaar Amando und Amanda (lyrisch schräg Elizabeth Reiter und Karolina Makula), dem Saufbold Piet (Peter Marsh als fulminan-ter Sängerdarsteller) und einem dubiosen Bestatter, der sich zum Endzeitherrscher Nekrotzar aufschwingt (Simon Neal mit düsterem Bariton) und eine mal tote, mal halblebendige Venus (Anna Nekhames mit gefährlichen Koloraturen) im Sarg dabei hat. Vor all das war im zweiten Bild ein aufgeschnittener Wohnwagen geschoben. Die Ausbruchsfantasien der Familie von Astradamor, Mescalina und PC-spielfixiertem Sohn wurden auf der „offenen“, durch raffinierte Gaze doch bespielbaren Vorderwand durch perfekte Video-Projektionen (Ruth Stofer und Tabea Rothfuchs) sichtbar und in die Personenführung dahinter singulär gelungen, nämlich nahtlos, eingebaut.

Nach der Pause „servierte“ das Bühnenteam einen Faustschlag: Schon auf dem Autobahn-Werbebildschirm wurde für das „Casino Royal“ samt Nekrotzar geworben – und nun folgte „Wir amüsieren uns zu Tode“. Nicht nur, dass Neil Postman 1985 mit einer so überschriebenen Rede die Frankfurter Buchmesse eröffnet hatte: Seine dann um die Bildungs-Wissens-Diskurs-Verflachung durch die Computer-Welt erweiterte Gesellschaftskritik aus den 1990er-Jahren trifft gespenstisch auf unser Heute zu – und wurde auf der Bühne grell bunt entlarvt: vom Staatspräsidenten „Go-Go“, der zum Discjockey-Unterhalter verkommen ist, bis zu den Bühnenarbeitern, die Rauschgift anliefern… ein Totentanz vom Kostüm-Pharao bis zum Exhibitionisten, enorm detailreich vorgeführt – bis alle – glänzende Solisten wie Chor -weiterziehen zur nächsten Betäubung – und Nekrotzar am Bildschirm Gaza-Bilder studiert – sehr eingehend...

Dazu hat Ligeti eine gezielt „groteske“ Klangkulisse geschrieben, deren vielfältige Zitate vom Barock über Beethovens „Eroica“ bis in die Moderne kaum zu erhören sind. Das Frankfurter Museumsorchester meisterte alle Raffinessen bis in das vielfältige Schlagwerk und ein als Fett-Putten kostümiertes Kammer-Quartett auf der Bühne. Tilman Michaels Chöre waren in Fernwirkung, mehrfach geteilt und vor allem in Dutzende abstruse Kostümrollen aufgeteilt dennoch die abstoßend realitätsblinde, selbstsüchtige „Gesellschaft“. Sie alle führte der neue GMD Thomas Guggeis mit dezidierter Zeichengebung durch Ligetis rhythmische und tonale „Chaoswelt“. Musik und Szene fanden zusammen – zu einer bitteren Parabel, deren eines Ende eindeutig auf uns zeigt. Dafür gab es einhelliges Bravo – auch für den Kostümzauber von Olga Shaishmelashvili, den Bühnenzauber zwischen Autobahn und Protz-Casino von Zinovy Margolin und die all diese Disparatheit aussagekräftig formende Regie von Vasily Barkhatov. Ein Festabend modernen Musiktheaters – mit erschreckender Spiegelwirkung.

Wolf-Dieter Peter

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