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Berichte

Richard Wagners erste Oper

„Die Feen“ am Staatstheater Meiningen

Aufführungen von Richard Wagners „Die Feen“ sind in der Gegenwart nicht seltener als früher, dürften es aber heute etwas schwerer haben als im späten 20. Jahrhundert. Auch bei der Premiere im Staatstheater Meiningen war das spürbar. Wagner polemisierte zwar gegen den preußischen Hofkapellmeister Gaspare Spontini, imitierte dessen Effekte aus „Olympia“ und „Agnes von Hohenstaufen« aber hemmungslos – ebenso wie aus Beethovens „Fidelio“. Heute kann man die von Hermann Levi und Richard Strauss erst 1888 in der Münchner Hofoper uraufgeführten „Feen“ wieder am umfassend erschlossenen Repertoire ihres Entstehungsjahrs 1833 messen. Da waren Meyerbeers „Hugenotten“ wie Halévys „Jüdin“, die erst kurz nach Beendung von „Die Feen“ herauskommen sollten, allerdings weitaus besser.

Ensemble, Chor und Extrachor des Meininger Staatstheaters. Foto: Christina Iberl

Ensemble, Chor und Extrachor des Meininger Staatstheaters. Foto: Christina Iberl

„Die Feen“ fehlten als einzige Wagner-Oper noch auf dem Spielplan des erst nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Meininger Musiktheaters und waren deshalb nach den Entdeckungen „Santa Chiara“ und Bizets „Ivan IV“ ein besonderes Prestige-Schnäppchen für Intendant Jens Neundorff von Enzberg, eine Feuer- und Wasserprobe für den neuen GMD Killian Farrell und eine harte Nuss für Regisseurin Yona Kim. Mit Ausnahme der Monster-Tenorpartie des Arindal war alles aus den eigenen Ensemblereihen besetzt. Eine enorme Leistung ist das in einem Musiktheaterwerk, in dem sogar die Soubretten- und Zofenpartie Drolla einen satten lyrischen Sopran erfordert; die Partie sang hier Sara-Maria Saalmann. Lena Kutzner fräst sich mit jugendlich glanzvollem und konditionierten Leuchtraketen-Sopran durch den Part der Fee Ada, der Wagner ein ähnliches Projektionspaket männlicher Erwartungshaltungen an „das Weib“ schnürte wie später bei Kundry.

Neu im Ensemble ist Emma McNairy und meisterte sofort die Partie des „soldier girl“ Lora. Beide Frauen wurden von Frank Schönwald mit heutigen Kostümen aus Yona Kims Panorama über die Flucht des Vormärz in die poetische Romantik herausgenommen. Denn sie stehen am Beginn von Wagners Auseinandersetzung mit Bildern von Fraulichkeit in seiner Zeit und seiner damit einhergehenden Vision vom „Weib der Zukunft“ David Danholt kämpfte und siegte als König Arindal fulminant. Wagners jugendlicher Sadismus forderte vom ersten Tenor noch mehr als Bellini und Meyerbeer. Aber Danholt nimmt sowohl die Auftrittsarie wie die strapaziösen Attacken gegen Ende souverän, konditioniert und vor allem angstfrei. Zugleich bebildert Yona Kim mit Arindal ein deutsches Künstlerleben von der Kreativzelle mit freien Gedanken ins Tollhaus. Das ist ihre Paraphrase von „Deutschland. Ein Wintermärchen“.

Opernchor, Extrachor und Solist*innen des Eduard-von-Winterstein-Theaters. Foto: Ronny David Danholt als König Arindal, Chor und Extrachor des Meininger Staatstheaters.

David Danholt als König Arindal, Chor und Extrachor des Meininger Staatstheaters.
Foto: Christina Iberl

Auch andere Inszenierungen verorteten „Die Feen“ mit ihren verworrenen Kriegs- und Unheilszenen im Biedermeier, in den Freiheitskriegen oder in den 1848er Barrikaden-Kämpfen. Wohl niemand aber so lückenlos wie Yona Kim, die als erfahrene Wagner-Regisseurin einen ganzen Katalog von Romantik-Eskapismen über das um fast eine Stunde gekürzte Opus streute. Jan Freese setzte zum Beispiel eine Hirschkuh aus Gold ins Zentrum seines Bühnenbilds. Alle Figuren haben seelische und körperliche Wunden. Schrammen, blau geschlagene Augen und Blutspuren zeugen davon, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist und auch das Leben um 1830 kein Ponyhof war.

Am gesündesten agiert noch der Intrigant Harald (Mikko Järviluoto). Die Figur des Gunther wurde zu einem Teil Shin Taniguchi zugeschlagen, der als Loras Geliebter Morald so eindrucksvoll war wie als Fliegender Holländer. Selcuk Hakan Tıraşoğlu ähnelt als Elfenkönig einem ziemlich ramponierten bayerischen Schlösserkönig. Die Feen Tamta Tarielashvili (Farzana) und Deniz Yetim (Zemina) sind Biedermeier-Wesen und zugleich gefährliche Drahtzieherinnen mit exzellenten medizinischen Kenntnissen. Man kann sich damit begnügen, das alles als Panorama-Schaukasten zur deutschen Mentalitäts- und Geistesgeschichte zu deuten. Aber übergeordnet tut Yona Kim auch einen Blick in die Psyche Wagners. Das wird deutlich an Ada und Lora: Im Grunde konnte der Meister eines „Kunstwerks der Zukunft“ nichts anfangen mit fortschrittlich gesinnten Frauen. An denen verbrennt sich Arindal nämlich die poetischen Flügel.

Kein leichter Job für den neuen Generalmusikdirektor Killian Farrell bei seiner ersten Einstudierung. Die gut gemeinten Striche erweisen sich an einigen Stellen als unerwartete Extremherausforderung. Durch diese rutschen Wagners Krawall-Exzesse noch enger zusammen, gewähren also noch weniger Piano-Inseln als das ungekürzte Original. Die Meininger Hofkapelle und Farrell meistern das schwierige Stück, weil sie anstelle ihrer Kardinaltugenden sehnige Muskelspiele absolvieren und Wagners Jugendopus vor kreativ bedingter Fettleibigkeit schützen. Farrell zeigt hier sofort, dass ihm das Bühnengeschehen wichtig ist und hilft vor allem den drei Hauptpartien bei der Meisterung von Wagners schon sadistischen Herausforderungen.

Am Ende fast ohrenbetäubender Beifall. Satten Anteil am Erfolg haben Chor und Extrachor. Roman David Rothenaicher setzt weniger auf Lautstärke als auf bewusste Diktion und musikalische Präsenz. Der Chor hat wesentlichen Anteil daran, dass „Die Feen“ nicht zum Opern-Tsunami werden, in dem Klangmassen Sinn und Deutlichkeit vernichten. Yona Kims Inszenierung macht keine Unterschiede zwischen Feen, Kriegern und Volk. Sie zeigt ein Kollektiv in erstarrender Irritation, emotionalem Aufruhr und im Erschrecken vor ideologischen Energien. Das Staatstheater Meiningen beginnt die neue Spielzeit also mit deftiger Kost und setzt sie in ein Arrangement auf Gourmet-Niveau. Das wird nicht nur Wagner-Schwärmer anlocken.

Roland H. Dippel

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