VdO-Nachrichten
#Stopp NVFlatrate
Erfolgreiche Kampagne der Bühnengewerkschaften VdO, GDBA und BFFS
Magdeburg
Vor dem Hintergrund nunmehr seit Jahren sich dahinschleppender Tarifverhandlungen zum Thema „Arbeitszeit des künstlerischen Personals“ führten die drei Bühnengewerkschaften BFFS, GDBA und VdO vom 14. bis zum 18. Februar 2024 erstmals gemeinsam eine vielbeachtete bundesweite Kampagne unter dem Motto „#Stopp NV Flatrate“ durch.
Hildesheim
Sie sollte in der Öffentlichkeit das Bewusstsein dafür schärfen, dass Bühnenkünstlerinnen und -künstler nach immer noch geltender Rechtslage für eine feste Gage während der Dauer ihres Engagements faktisch ihre gesamte Lebenszeit der (kurzfristigen) Disposition des Arbeitgebers unterwerfen müssen. Sibylle Eichhorn, Mitglied im Chor der Deutschen Oper am Rhein, hat die Vorbereitung der Kampagne seitens der VdO tatkräftig mit vorangetrieben. Hier ihr Erfahrungsbericht.
Augsburg
Köln, Herbst 2023. Als frisch gewähltes Mitglied des Bundesvorstands nehme ich erstmals an einer Klausurtagung teil. Zusammen mit Vertretern von GDBA und BFFS werden wir zwei Tage lang Positionen, Ideen, Informationen tauschen, anstehende Tarifverhandlungen inhaltlich vorbereiten und vieles mehr.
Kiel
Einer der Tagesordnungspunkte heißt „Kampagne“. Ein Projekt, das bereits Monate zuvor auf den Weg gebracht wurde. Es geht um Arbeitsbedingungen von künstlerisch Beschäftigten und dass der Arbeitgeber wie bei einer Flatrate nahezu unbegrenzten Zugriff auf seine Künstler hat. Deswegen: #StoppNVFlatrate.
Halberstadt
Innerhalb weniger Wochen nimmt die Planung mehr und mehr Gestalt an: was soll konkret geschehen, welche Aktionen können durchgeführt werden, was benötigen wir an Material? Die Ideenschmiede läuft auf Hochtouren - Flyer, Postkarten, Pressemappe, Webseite, Solidaritätsaktionen an den Häusern… Entwürfe werden diskutiert, Formulierungen geschärft, Korrekturen im Backoffice geschrieben, immer wieder die Frage: wie können wir unser Anliegen am effizientesten vermitteln? Es fühlt sich an wie eine Lokomotive, die nun immer mehr ins Rollen kommt und einfach nicht mehr zu stoppen ist.
Krefeld
Mir wird zuweilen ein bisschen schwindlig: Ist das alles zu schaffen? Wieviel Zeit haben wir überhaupt, wird es möglich sein, die Kollegen zum Mitmachen zu motivieren? Was muss bis wann fertiggestellt sein, wer soll wann informiert werden? Einem Schlachtplan gleich entsteht die Choreografie für den zeitlichen Ablauf: Information für Funktionsträger und Mitglieder, Paketversand, Pressekonferenz… Wir segeln hart am Wind.
Stuttgart
Aber, es funktioniert! In den Landes- und Ortsverbänden finden sich Mitglieder von VdO, GDBA und BFFS zu kleinen Einsatzkommandos zusammen, Strategien werden besprochen, gemeinsam Texte verfasst, Aktionen geplant. Allein für diese kollektiv beflügelnde und extrem solidarische Energie hat sich der bisherige Aufwand bereits gelohnt!
Bielefeld
Schließlich ist es soweit: 14. Februar – Valentinstag, Aschermittwoch, Kampagnenstart.
Bremerhaven
Am Düsseldorfer Opernhaus warten wir weiterhin auf das Paket mit Flyern, Aufklebern und Postkarten. Atemlos fliegen Nachrichten im Aktions-Chat hin und her: „Hat noch mal jemand an der Pforte nachgefragt?“ – „Immer noch nichts?“. Auf die Schnelle lassen sich schließlich ein paar Flyer aus dem Schauspielhaus organisieren. Der Kampagnen-Auftakt ist erstmal gerettet, ein Selfie entsteht und Premierenlaune breitet sich aus. Gegen Mittag kommt nochmals die Post und bringt endlich das ersehnte Paket. Ein bisschen fühlt es sich an wie Weihnachten.
Hannover
Die Stimmung bekommt allerdings einen Dämpfer, als wir im Laufe des Tages erfahren, dass der Bühnenverein seinen Mitgliedern empfiehlt, sämtliche Aktionen an den Häusern zu unterbinden. Also kein Verlesen des gemeinsam verfassten Statements vor dem Publikum, kein Verteilen von Flyern und Postkarten im Foyerbereich. Und auch keine Kampagnenfotos mit solidarischem Publikum.
So landen wir an den folgenden Abenden buchstäblich auf der Straße, nämlich VOR dem Opernhaus.
Der Kontrast könnte nicht härter ausfallen: gestern noch beim Schlussapplaus frenetisch bejubelt und heute plötzlich wie die Hausierer vor den Toren des eigenen Betriebes.
Koblenz
Leute eilen genervt an uns vorüber, wollen nicht aufgehalten werden. Ich verstehe das - und verspreche im Stillen, künftig anders auf die Verteiler von Info- oder Werbematerial zu reagieren. Zumindest Hinschauen, zumindest Danke sagen. Es sind auch Menschen.
Andererseits treffen wir auf viele ernsthaft Interessierte, spüren deren Liebe zum Theater und zur Kunst, werden mit aufmerksamen Nachfragen konfrontiert, zuweilen ergeben sich tiefgreifende Gespräche - und, so herausfordernd diese ungewohnte Arbeit auf dem Pflaster auch ist, bleibt sie eine wertvolle Erfahrung, die meinen Blick auf die Welt in der Summe umfassender und in gewisser Weise weicher gemacht hat.
Gelsenkirchen
Durch Pressemitteilungen und die sozialen Medien verbreiten sich während dieser Tage tolle, unterstützende Statements von Journalisten und prominenten Künstlern, die sich mit der Aktion solidarisieren.
Aber auch aus der Leitungsebene mancher Theater kommen ermutigende Signale; nicht alle haben sich der Verbots-Empfehlung des Bühnenvereins gebeugt: Das Staatstheater Hannover zeigt an Vorstellungsabenden im Foyer sogar den Kampagnenfilm und außerdem einen Saal voller Zuschauer, gelbe Flyer bekennend in die Kamera haltend. So auch am Landestheater Tübingen, in Konstanz, an den Theatern Dortmund und Krefeld-Mönchengladbach.
Essen
Diese Intendanten haben intuitiv verstanden, dass die künstlerisch Beschäftigten der eigentliche Treibstoff ihrer Betriebe sind, dass nur gesunde und im sozialen Leben verankerte Schauspieler und Sänger wirklich kraftvolle Botschafter der Kunst sein können und - last not least - dass eine verbesserte Planbarkeit und Entlastung nicht allein den Künstlern dient, sondern dass ein wirklich guter, produktiver und nachhaltiger Kunstbetrieb ausschließlich im Miteinander gelingen kann.
Düsseldorf
In diesem Sinne einen ganz herzlichen Dank an alle, die sich beteiligt haben, die mit ihrer Zeit und ihrem Herzblut Teil der Kampagne geworden sind und so gezeigt haben, dass wir gemeinsam etwas bewegen können!
Sibylle Eichhorn (Deutsche Oper am Rhein) ist Landesvorsitzende NRW und Mitglied des Bundesvorstands.
Sibylle Eichhorn
Heidelberg |