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Berichte
Komponierte Monstrosität
Bernd Alois Zimmermanns pazifistische Oper „Die Soldaten“ in Köln
„Die Soldaten“ von Bernd Alois Zimmermann ist in vielerlei Hinsicht eine unmögliche Oper. Nicht nur galt sie zunächst als unspielbar. Sie solle „totales Theater“ sein, also alle zur Verfügung stehenden Medien, jedes musikalische Material, jedes Genre umfassen. Oper sei für ihn schon immer „monströs“ gewesen, so Zimmermann, und das äußert sich bereits in der Besetzung von „Die Soldaten“: ein Orchester mit 121 Musikern inklusive Schlagzeugensembles, einer Jazz-Combo, Elektronik und Bandmontagen aus verschiedenen Lautsprechergruppen – und dann kommen noch die Sänger dazu. Zehn Kilogramm wiegt allein die Partitur. Es ist ein Werk also, das jedes Opernhaus an den Rand seiner Möglichkeiten bringt, sowohl künstlerisch und räumlich als auch finanziell. Umso erfreulicher, dass das Gürzenich Orchester Köln, das Uraufführungsorchester, sich in Kooperation mit der Oper Köln jüngst diesem epochalen Werk erneut stellte. „Totales Theater“ also im Konzertsaal? Dieser Tage scheint bereits das Anliegen, in dessen Dienst Zimmermann seine komponierte Monstrosität stellte, eine Unmöglichkeit. Denn „Die Soldaten“ ist eine Antikriegsoper mit dezidiert pazifistischer Aussage. Wie kann ein Musiktheater gegen den Krieg gelingen, in einer Zeit, in der die freie Welt militärisch herausgefordert wird?
„Die Soldaten“ in der Kölner Philharmonie. Foto: Holger Talinski
Regie für diese am Ende gar nicht so konzertante Aufführung führte jemand, der ebenfalls einen gewissen „monströsen“ Ruf hat: Calixto Bieito, bekannt für seine inszenierten Gewaltexzesse. Eine angemessene Wahl also für die Inszenierung einer Oper, die die Verrohung des Menschen durch das System Krieg musikalisch und szenisch zu zeigen sucht. Zimmermanns opus summum greift zurück auf das gleichnamige Theaterstück von Jakob Michael Reinhold Lenz, einem Dichter des späten 18. Jahrhunderts. Protagonistin ist eine junge Frau, Marie, die sich von der Beziehung mit einem Offizier gesellschaftlichen Aufstieg erhofft. Tatsächlich beginnt mit dem Anbandeln mit Soldaten, durch den Krieg verroht, ihr gesellschaftlicher Abstieg. Immer aufs Neue verlassen wird Marie schließlich zur Prostituierten.
Es ist kein Wunder, dass sich dieser Bieito, längst einer der wichtigen europäischen Regisseure, bereits an „Die Soldaten“ versuchte. 2014 war seine Realisierung auf der Bühne der Komischen Oper in Berlin zu sehen, in Koproduktion mit der Oper Zürich. Von dieser wich er auch zehn Jahre später nicht wesentlich ab. Die Szenen spielten sich auf der Chor-Empore der Kölner Philharmonie ab. Dort wurde zu diesem Zweck eine schmale Bühne über eine Sitzreihe hinweg montiert, was reichliche Kletterei über die Sessel des Konzerthauses erforderte. Das tat der Intensität der Szenen keinen Abbruch: Die Soldaten verhielten sich viehisch, wie man es erwartet.
Und doch: Obwohl man es erwartete, so schockierte die Drastik der Vergewaltigungsszenen in einer Weise, wie es sicherlich die Intention des Komponisten gewesen ist. Dass der Regisseur in seinem Bestreben, jede Figur zum krankhaften Individuum zu machen, mitunter mit einem etwas zu breiten (blutroten) Pinselstrich arbeitete – geschenkt. Schade ist aber, dass die wohl beste Szene der Oper nicht nur unterging, sondern durch die Regie quasi sabotiert wurde. Wenn Maries Vater zum Ende der Oper bei einem Spaziergang von einer „Weibsperson“ angebettelt wird, weist er die Bettlerin harsch zurück. Aber es ist Marie. Vater und Tochter erkennen einander nicht mehr. Eine Szene, bei der es einem eiskalt den Rücken herunterlaufen sollte. Bei Bieito geht diese Szene leider völlig unter.
Musikalisch handelt es sich um eine Referenzproduktion. Dadurch, dass die Szenerie hinter dem Orchester stattfindet, schiebt sich der Ort, an dem sich der Großteil des eigentlichen Dramas tatsächlich abspielt, in den Vordergrund. Es ist die Musik. Die Philharmonie erlaubt es, anders als ein platzmäßig stark beengtes Opernhaus, allen Musikern Platz zu bieten und ermöglicht gleichzeitig ein akustisch optimales Ergebnis, wodurch das Gesamterlebnis deutlich aufgewertet wird. So kommen alle Nuancen zur Geltung, angefangen bei den kammermusikalischen Klängen von erstaunlicher Zartheit zu Beginn (man kann eine klassische Gitarre hören, unglaublich, aber wahr!). Doch auch bei den raffiniert komponierten Klangmassen lässt sich Generalmusikdirektor François-Xavier Roth nicht lumpen, sie sind gewaltig und doch fein musiziert, ausbalanciert mit den Tonbandzuspielungen (Klangregie Paul Jeukendrup). Es gibt klassische Musiker, die dem Irrtum anheimfallen, bei Avantgarde-Musik müsse man nicht auf den guten Ton achten, das höre man doch eh nicht. Nicht so die Gürzenich-Musiker.
Die Sänger standen dem kaum in etwas nach, auch wenn die Beurteilung des Gesangs schwerfällt, sind die Gesangspartien doch so „unmenschlich“ und unsanglich gestaltet wie möglich. Umso beeindruckender also, wie Emily Hindrichs (Ensemblemitglied der Oper Köln) mit ihrem lyrischen Sopran es vermochte, Marie eine wärmende Strahlkraft zu geben, selbst wenn das Lebenslicht Maries am Ende nur noch glomm. Auch der Chor schlug sich wacker durch Zimmermanns vertrackte Partitur. Ein besonderes Vergnügen war es zu sehen, wie Chormitglieder im Laufe des Abends ihre Spielfreude entwickelten.
Bernd Alois Zimmermann glaubte an die Parallelität von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft; Zeit habe die Gestalt einer Kugel. Und so sind auch die Szenen in „Die Soldaten“ nicht immer linear und spielen sich zuweilen gleichzeitig ab. Zum Schluss von Bieitos Inszenierung wird diese Idee aufgegeben zugunsten einer anderen Idee. Sämtliche Akteure, gekleidet in „Casual Chic“, stehen in Reih und Glied, womit sich einer konzertanten Choraufstellung wieder angenähert wird. Das soldatische Absingen der verkanteten, dodekaphonischen Melodien macht deutlich: Sie alle sind Untertanen des Kriegs geworden. Das öffnet den Weg für eine zeitgenössische Interpretation dieses Werkes. Der Krieg ist ein Ereignis, das die gesamte Gesellschaft, jeden einzelnen erfasst. Ob der Krieg zum Angriff oder zur Verteidigung genutzt wird, ist bedeutungslos, er verroht die Menschen an der Front wie in der gesamten Gesellschaft, unterwirft jeden seiner brutalen Logik, macht aus Individuen „Soldatenmenschen“.
Menschenleben mit Krieg zu schützen, so die pazifistische Aussage von „Die Soldaten“, ist ein Paradox. Das war in den Sechzigern eine mutige Botschaft und ist es seit 2022 wieder. Abgemildert wird die Universalität der Aussage in der Inszenierung mit einem Fokus auf ein Individuum, auf Marie: Bieito erspart sich eine genauere Darstellung einer Atombombenexplosion, die Zimmermann ans Ende der Oper setzte. Stattdessen steht Marie in gelbes Licht gehaucht an der Rampe und wird von Krämpfen geschüttelt, ein grausiger Anblick. Seht her, sagt die Inszenierung, was der Krieg aus dem einzelnen Menschen machen kann. Welche Schlüsse ihr daraus zieht, ist euch überlassen.
Diese Produktion von „Die Soldaten“ wurde am 21. Januar in der Elbphilharmonie und am 28. Januar in der Philharmonie de Paris wiederholt. Von der Vorstellung in der Elbphilharmonie existiert eine Aufnahme auf YouTube. Selbst wenn eine einigermaßen gute Aufnahme den Live-Eindruck dieses Werks nie – wirklich nie! – wird ersetzen können, ist diese Aufnahme einen Blick wert.
Philipp Lojak |