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Rezensionen

John Cranko

Das Stuttgarter Ballett (Hg) : John Cranko Tanzvisionär, Henschel-Verlag, Leipzig, 2023, 288 Seiten, ISBN 978-3-89487-842-9, 49.-€

Sein „Stuttgarter Ballettwunder“ strahlt bis heute, obwohl John Cranko vor 50 Jahren starb. Keine geringere als die derzeitige baden-württembergische Kunstministerin Petra Olschowski und die Journalistin Julia Lutzeyer gaben deshalb den Anstoß für eine umfassende Würdigung ihres berühmten Weltbürgers. Grundlage sind die von ihnen bereits in den Jahren 2006 und 2011 geführten Interviews mit Weggefährten Crankos. Als dritte Autorin begab sich Angela Reinhardt nun mit auf die Spurensuche. Entstanden ist ein reich bebildertes Buch, in dem 20 engste Vertraute zu Wort kommen, dazu ein Werkverzeichnis und eine einordnende Biographie.

Das Stuttgarter Ballett (Hg) : John Cranko Tanzvisionär, Henschel-Verlag, Leipzig, 2023, 288 Seiten

Das Stuttgarter Ballett (Hg) : John Cranko Tanzvisionär, Henschel-Verlag, Leipzig, 2023, 288 Seiten

Aus Südafrika kommend, begann John Cranko in den 1940er-Jahren in London seine künstlerische Laufbahn. Als er mit seiner offen gelebten Homosexualität in einen Gesetzeskonflikt geriet, floh er 1960 als junger Choreograf aus der Weltstadt in das provinzielle Stuttgart. Generalintendant Walter Erich Schäfer erkannte sein Talent und berief den erst 33-Jährigen 1961 zum Ballettdirektor. Der Zweite Weltkrieg war noch nicht sehr lange vorbei, und die deutsche Theaterlandschaft begann sich neu zu strukturieren. Schauspiel, Oper und Operette hatten bereits ihren festen Platz in den subventionierten Theatern, das Ballett führte jedoch eher eine Randexistenz. Hier konnte also Neues entstehen.

Den kometenhaften Aufstieg Crankos und seiner Compagnie beleuchten die verschiedenen Mitglieder seiner „Familie“ in den nun veröffentlichten Gesprächen. Sehr persönlich schildern sie einzeln ihre enge Beziehung zu Cranko: Bewunderung, Liebe, aber auch immer wieder schwierige Situationen durch seine emotionalen Abstürze, Alkohol- und Tablettensucht.

Gemeinsam ist allen, dass Cranko, der „Menschenformer“, hellsichtig die Persönlichkeit und die künstlerische Entfaltungsmöglichkeit jedes Einzelnen erkannt und gefördert hat, speziell etwa Marcia Haydée. Er gab jungen Talenten eine Chance, sich zu erproben und zu beweisen. So begann der junge Jürgen Rose bei ihm als Bühnen- und Kostümbildner für die Neufassung von „Romeo und Julia“. Rose berichtet, dass Cranko immer alle Beteiligten in die kreative Entwicklung eines Stückes mit einbezog. „Niemand hat so gearbeitet wie John. Er hat einem das Gefühl gegeben, dass dieses Stück ohne dich nie zustande gekommen wäre“, beschreibt Reid Anderson die besondere Arbeitsweise von Cranko.

Er galt bald als der führende Choreograf des Literaturballettes. Für das Tanztheater schuf er ein neuartiges Erzählen und entwickelte eine fast filmische Dramaturgie. John Neumeier: „Für mich war es eine große Lehre, wie John Cranko einen Pas de deux als dramaturgisches Ereignis erlebbar machte.“ Fritz Höver, der Leiter der Noverre-Gesellschaft, schwärmte, dass man bei Cranko der Handlung folgen konnte, ohne ins Programmheft schauen zu müssen und sich immer gut unterhalten fühlte. Konkurrenz hat er nicht gefürchtet. Junge Choreografen wurden engagiert und ermutigt, ihren eigenen Weg zu finden.

Nach seinem Tod blieben viele Mitglieder seiner Compagnie in Stuttgart. Marcia Haydée übernahm nach einer Bedenkpause die Leitung, Georgette Tsinguirides, der Cranko eine Ausbildung zur Choreologin ermöglicht hatte, wurde zur unersetzlichen Stütze bei den Neueinstudierungen seiner Ballette. Noch immer steht Pluralität im Vordergrund, so wie Cranko sie gelebt hat: „Wir haben keinen Stil. Stil ist die Farblosigkeit des Diamanten, der dennoch alle Farben hat“. Er funkelt bis heute in zahlreichen Compagnien.

Beatrix Leser

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