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Kulturpolitik
Missverständnisse
ausgeschlossen
Das Nationaltheater Košice gastiert mit „König Roger“ in der Oper Budapest
und thematisiert queere Themen in repressiven Systemen
Die Situationen und Fronten in Europa verschärfen sich. Ungarn will keine Waffen an die Ukraine mehr liefern, auch die Slowakei zeigt Tendenzen auszusteigen. Was bedeutet das für in der Slowakei arbeitende Ukrainer*innen wie die Mezzosopranistin Myroslava Havryliuk? Sie singt am Nationaltheater Košice Partien wie Giovanna Seymour in „Anna Bolena“ und Venus in „Tannhäuser“. Können Gastspiele wie das der Staatskapelle Weimar am 22. Oktober 2023 im Müpa Budapest weiterhin überhaupt noch stattfinden? Der Ukrainer Kirill Karabits, früher GMD der Staatskapelle Weimar, und der ukrainische Bariton Oleksandr Pushniak, Mitglied des Weimarer Opernensembles, traten in dem Opernfragment „Sardanapalo“ des ungarischen Komponisten Franz Liszt auf. Wenige Tage vor dem Konzert hatte sich Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban in Peking mit Wladimir Putin getroffen. Hier zeigt sich: Die Präsenz und die Gastspieltätigkeiten von Mitwirkenden aus verschiedenen Lagern sind gerade in problematischen Situationen, die durch den Krieg, Bündnisse und kurzfristige Veränderungen entstehen, wichtig und nötig. Das gilt auch für Projekte, deren deutliche Botschaft in den eigenen nationalen Medien aus verschiedenen Gründen verschwiegen und erst durch Diskurse im Ausland transparent wird.
Umso wichtiger sind Beobachtungen, die dem Anspruch von Pressefreiheit, Objektivität und Engagement für Gleichstellung genügen und damit im besten Fall indirekt die Diskussion in repressiven Systemen beflügeln. Besonders deutlich wird dies an der Produktion von Karol Szymanowskis Oper „König Roger“ am Nationaltheater Košice, dem zweitgrößten Theater der Slowakei. Die Premiere fand am 23. November 2022 statt. Ein Gastspiel in Budapest folgte am 22. August 2023, einen Monat vor der slowakischen Nationalratswahl am 30. September mit dem Erstarken der linken und nationalen Parteien. In Jarosław Iwaszkiewicz‘ Textbuch zum „König Roger“ kommt ein Fremder in ein erschlafftes Regierungssystem. Er lockert die verkrusteten Strukturen und motiviert die Massen zu freisinnigen Ritualen. Das Königspaar Roger und Roksana entzweit sich friedlich, der König bleibt allein. Der homosexuelle Karol Szymanowski hat das Textbuch des ebenfalls schwulen Librettisten mit rauschhaften Klängen vertont. Die 1926 in Warschau uraufgeführte Oper spielt eigentlich im 12. Jahrhundert auf Sizilien. In Košice hatten der Regisseur Anton Korenči, Operndirektor Roland Khern Tóth und Musikdramaturg Stanislav Trnovský die Handlung in die Zeit des Jugendstils verlegt. Königin Roksana (stark in ihrer ersten großen Partie die Kroatin Gabriela Hrženjak) kämpft mit erotischen Reizen um ihren Mann. Der phantastische polnische Bariton Michał Partyka als König Roger sang unter Chefdirigent Peter Valentovič die Titelpartie: in dieser Inszenierung einen Mann mit Coming-Out-Bedrängnissen. Der slowakische Tenor Juraj Hollý gab einen wenig berührungsscheuen Hirten. Als erfundene Figur umwirbt ein namenloser junger Mann (André Tatarka) Roger. Mit Chor und Orchester – insgesamt 200 Mitwirkenden – ist die Produktion ein personeller Kraftakt.
„König Roger“ mit Michal Partyka als Roger. Foto: Joseph Marcinsky/Theater Košice
Attila Vidnyánszky, Generaldirektor des Ungarischen Nationaltheaters und Künstlerischer Leiter der Theaterolympiade 2023, hatte die Produktion an eine der wichtigsten Spielstätten des unter der Regierung Orbans generell als queerfeindlich betrachteten Landes Ungarns eingeladen: Miss-verständnisse betreffend die finale Aussage der Inszenierung, an deren Ende sich Roger und sein stummer Freund einander zuwenden, waren ausgeschlossen. Auch beim Gastspiel in den Eiffel Art Studios, der dritten Spielstätte der Ungarischen Nationaloper Budapest, donnerte der Applaus – wie in Košice – in den Schlussakkord. An mitteleuropäischen Opernhäusern ist die Akzeptanz queerer Inhalte fast eine Selbstverständlichkeit. Aber in der Hauptstadt Ungarns besteht eine andere Kultur des Sehens, Bemerkens und Verstehens.
Das Publikum ist an diesem Abend bunt und reagiert begeistert. Die bis September 2023 amtierende slowakische Kulturministerin Silvia Hroncová wurde von Szilveszter Ókovács, Intendant der Oper Budapest, begrüßt. Der gesellschaftliche Glanz passt allerdings nicht zum restriktiven Kurs, unter dem queere Personen in Ungarn massiv leiden.
„König Roger“ mit Michal Partyka als Roger. Foto: Joseph Marcinsky/Theater Košice
Man versteht schweigend und schweigt in der Öffentlichkeit. Denn die Inszenierung aus Košice greift Stationen der Biographie Szymanowskis (1882 bis 1937) auf. Im katholisch-konservativen Klima Polens werden Szymanowskis sexuelle Neigungen bis heute ignoriert. Die Premiere von „König Roger“ wurde überdies durch einen realen Anlass zum Politikum: Nach dem Mord an zwei jungen Schwulen durch den Sohn eines nationalkonservativen Politikers vor einer LGBTQIA+-Bar in der slowakischen Hauptstadt Bratislava meldete die Leitung des Nationaltheaters Košice kurz nach dem Jubiläum seines 75-jährigen Bestehens die „König Roger“-Vorstellungen als Teil der in der ganzen Slowakei durchgeführten Aktion www.slovenskateplaren.sk. In diesem Zusammenschluss von Veranstaltungen zur Solidarisierung mit den Hinterbliebenen der Opfer gab es zahlreiche Bekundungen von slowakischen Einrichtungen, die erstmals mit queeren Initiativen zu tun hatten.
Durch einen geschickten kreativen Schachzug war die Inszenierung von „König Roger“ trotzdem kein Verstoß gegen das 2021 in Ungarn verabschiedete Anti-LGBT-Gesetz. Roger sucht in der Inszenierung mehrfach den vom Berater zum Psychoanalytiker umgedeuteten Edrisi (Maksym Kutsenko) auf. Insofern liefert die Produktion keinen direkten „Zugang zu Inhalten, die ‚Änderungen des Geschlechts sowie Homosexualität‘ popularisieren oder darstellen“ – zumal sich die erotischen Situationen als Traum des Königs, aber nicht als „reale“ Situationen betrachten ließen.
Nach Ende der Vorstellung fielen beim Empfang der ungarischen Gastgeber enthusiastische Worte. Auf Fragen nach dem Wie, Warum und der öffentlichen Ausstrahlung schwieg man allerdings oder antwortete mit einem vollkommen anderen Thema. Geschwiegen wird in den ungarischen und slowakischen Medien fast immer über queere Andeutungen, die es auch in anderen Produktionen am Nationaltheater Košice gibt – zum Beispiel im Ballett „Nurejew“ von Ondrej Šoth und dem Pasolini-Ballett „Teorema“ von Andrej Sukhanov. „König Roger“ sollte unter der neuen slowakischen Regierung im Repertoire bleiben und zwei konzeptionelle Fortsetzungen finden. Die am 1. Dezember 2023 zur Premiere gelangte „Tannhäuser“-Inszenierung von Roland Khern Tóth, Ondrej Šoth und Stanislav Trnovský spielt in der Bayreuther Villa Wahnfried. Die Hauptfiguren der „biographischen Phantasie“ sind anstelle der hochmittelalterlichen Figuren des Sängerkriegs Personen der Familie Wagner und des Bayreuther Kreises: Richard Wagners bisexueller Sohn Siegfried (= Tannhäuser) und Winifred (= Elisabeth), die Anhängerin Hitlers, sowie der homosexuelle Maler Franz Stassen (= Wolfram). Die eingangs erwähnte ukrainische Mezzosopranistin Myroslava Havryliuk trat als androgyne Venus wie Marlene Dietrich im Film „Marokko“ auf.
Durch Film-Material von den Bayreuther Festspielen im Nationalsozialismus erhielt die Inszenierung eine politische Dimension. Am 11. Juni 2024 folgt noch eine halbszenische Produktion von Bedřich Smetanas heroisch-patriotischer Oper „Dalibor“. Auch diese hat ein latent queeres Sujet. Die Trauer Dalibors um den schon zu Beginn des Werks toten Freund Zdenko zeigt eine derart starke und im Schaffen Smetanas kaum begründbare homoerotische Intensität, dass am Prager Nationaltheater in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Zdenko zu Dalibors totem Vater umgedeutet wurde. Während der „Tannhäuser“-Proben und am Beginn der neuen Regierung wurde in der Slowakei die Fotoausstellung „Hidden Love“ abgesagt. Diese hatte man vor den Wahlen eigentlich initiiert, um auf Menschenrechtsverletzungen an der LGBTIQ-Community aufmerksam zu machen und die Toleranz gegenüber Vielfalt in der Slowakei zu fördern. Parallel zur „Tannhäuser“-Premiere hatte sich die von der Slowakischen Nationalpartei nominierte Kulturministerin Martina Šimkovičová auch über ein Kunstwerk in der Galerie des Slowakischen Rundfunks empört. Es handelt sich um die Darstellung zweier Männer des slowakischen Künstlers Andrej Dúbravský. „Es ist besorgniserregend, dass die Regierung solche kulturellen Beiträge, die darauf abzielen, das Bewusstsein für die Menschenrechte der LGBTIQ-Community zu schärfen, untergräbt“, unterstreicht Ewa Ernst-Dziedzic, die Kuratorin der Ausstellung. Das meldete die slowakische Rundfunk- und Fernsehgesellschaft RTV. Während der Proben wurden einige queere Momente der „Tannhäuser“-Inszenierung aus naheliegenden Gründen geglättet, vom Premierenpublikum aber deutlich verstanden. Man versichert, dass diese Deutung „nur“ eine „biographische Phantasie“ sei. Desto wichtiger sind Berichte wie „Cracking the Tannhäuser code“ der Journalistin Alexandra Ivanoff auf Papageno und der Vorbericht „Wie ‚schwul‘ darf eine Wagner-Oper in der Slowakei sein?“ des Musikwissenschaftlers Kevin Clarke im schweizerischen Mannschaft Magazin. Dort kommt deutlich zur Sprache, was in Diskursen Ungarns und der Slowakei allenfalls in Andeutungen Erwähnung finden kann.
Roland H. Dippel |