Berichte
Verheddert im Konjunktiv
Manfred Trojahns »Septembersonate« in Düsseldorf uraufgeführt
Manfred Trojahn hat für die Deutsche Oper am Rhein sein neuntes Bühnenwerk geschrieben und dabei auf eine Kurzgeschichte des amerikanischen Autors Henry James zurückgegriffen: „The Jolly Corner“ (1908). Deren Protagonist verweigert sich dem väterlichen Wirtschaftsimperium zugunsten einer nicht näher bezeichneten Künstlerkarriere in Europa. Als Spencer Brydon (hier: Osbert) nach 33 Jahren nach New York zurückkehrt, um das Haus der verstorbenen Eltern auszuräumen, begegnet ihm seine Jugendfreundin Alice Staverton. Der gefällt sein Tatendrang: „Wenn ich Sie so getroffen hätte, ich hätte mich doch auf der Stelle in Sie verliebt!“ Der Satz wirft ihn aus der Bahn, er verheddert sich im Konjunktiv. Wer wäre ich, wenn ich damals anders entschieden hätte?
Juliane Banse als Ellice Staverton und Roman Hoza als Osbert II. Foto: Wolf Silveri
Trojahn macht im selbst geschriebenen Libretto Brydon zum Schriftsteller und ändert die Vornamen sowie den Titel. „Septembersonate“ ist eine veritable Künstleroper mit Doppelgängermotiv, denn der alternative Brydon wird im leeren Elternhaus – oder auch nur in der Phantasie des Heimkehrers – auf bedrohliche Weise real. Wo Grübelei, Zweifel und Gespenster herrschen, kann der Theaterpraktiker Trojahn aus dem Vollen schöpfen. Seine Musik grundiert die Szenen, anstatt die Worte zu akzentuieren. Das Orchester umfasst nur 15 Instrumente, Violinen fehlen – ein dunkler September-Ton. Das kammermusikalische Ensemble stellt Intimität her, kann aber auch den opernhaften Orchesterklang imitieren. Wenn Bratschen und Celli am Ende das Griffbrett hinaufklettern, spiegelt Trojahn damit den quälenden Versuch, jünger zu scheinen, als man ist.
Anfangs noch linear, gleichsam im Konversationston, wird die Musik zunehmend flächiger, auch sinnlicher. Vom wunderbaren Englischhorn-Solo zu hohen Streicherakkorden in der ersten Szene geht die Reise über einen grotesken Puppenmarsch in der zweiten hin zur kernigen Musik der vierten Szene und mündet in die Pizzicato-Tropfen der fünften, wo die Musik fast zum Stillstand kommt. Bald lauscht man seinen Klängen wie den Erzählungen alter Freunde. Das Düsseldorfer Premierenpublikum lässt sich gerne durch das anderthalbstündige Werk führen, die Zustimmung am Ende ist einmütig.
Die Regie von Johannes Erath setzt zwei Leitmotive: zum einen den unablässigen Pulsschlag, den man erst vernimmt, wenn das Licht verlischt und es ihn zwischen den Szenen an die Oberfläche spült, zum anderen eine auf die Gaze projizierte Collage aus Hochhäusern und mechanischen Schreibmaschinen. Sie charakterisiert den Schriftsteller als Stadtkind. Schwer vorstellbar, dass Brydons Ringen mit sich selbst zwischen Feldern und Wiesen Verständnis weckte. Die Ausstattung von Heike Scheele verknüpft die Welt des jugendlichen Brydon mit der des arrivierten. Die leeren Räume durchkreuzen Treppenlandschaften, für die die verwirrenden Graphiken von Maurits Cornelis Escher Pate standen. Die Schauspielerin Ellice Staverton verwandelt sich bei Erath in ein Revuegirl, das sich müde abschminkt und bald darauf mit dem Schauspielerinnenklischee schlechthin bestraft wird: Marilyn Monroe mit aufwirbelndem Plisseekleid. Männerproblem und Männerphantasie liegen nah beieinander.
Düsseldorf besetzt die Uraufführung prominent. Juliane Banse singt die Jugendfreundin mit tief timbriertem Lyrischem Sopran, Holger Falk den Antihelden mit deutlicher Diktion und vollendeter Phrasierung. Beide kommen zu Beginn kaum über das kleine Ensemble im Graben hinweg. Vitali Alekseenok korrigiert die Balance, musikalisch und sängerisch lässt der Abend keine Wünsche offen – auch nicht bei Susan Maclean als Haushälterin und Roman Hoza als geisterhaftem „Osbert II“.
Während Trojahn den Opernschluss mit einem Rilke-Gedicht beschwert, entscheidet sich das Regieteam leichten Herzens für einen Film, der Ellice Staverton und Osbert Brydon als Besucher der eigenen Vorstellung zeigt und sie beim Verlassen der Oper am Rhein begleitet. Das Paar ist uneins: Ellice scheint mit dem Abend weit weniger einverstanden zu sein als Osbert. Ein Augenzwinkern, das den Konjunktiv erdet.
Christoph Becher
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