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Berichte

Klamauk, Gaudi, Unsinn, Albernheit

»Die Fledermaus« an der Bayerischen Staatsoper

„Früher war…“ – nein, nicht Loriots Lametta, sondern dieses Monument der Carlos-Kleiber/Otto-Schenk-Inszenierung von Johann Strauss‘ vielgespielter Operette. Doch Barrie Koskys offensives Bekenntnis zu „Klamauk, Gaudi, Unsinn, Albernheit usw... gerade in diesen düsteren Zeiten“ führte zu zweieinhalb Stunden amüsanter Federboa-Unterhaltung. Und wenn GMD Vladimir Jurowski und das fein abgestufte Staatsorchester samt Kammerensemble im Bühnenhintergrund des Orlovsky-Balles den süddeutschen Samt-Sound ein bisschen kantiger und trockener servieren, dann hat München eine der Burlesque und dem Vaudeville nahestehende hochklassige Neuinszenierung.

Andrew Watts als Orlofsky. Foto: Wilfried Hösl

Andrew Watts als Orlofsky. Foto: Wilfried Hösl

Viele erfrischend neue Spielzüge: Da schlief Eisenstein in einem üppigen Damast-Bett vor einer Kulisse Alt-Wiener Herrschaftshäuser im 1. Bezirk „Judenplatz“ und wurde gleich zu den ersten Takten der Ouvertüre tänzerisch beängstigend-reizvoll von zwölf Fledermäusen umschwirrt. Diese von Choreograf Otto Pichler wirbelig-fetzig geführte Tanz-Spiel-Umbau-Truppe taucht immer wieder auf – mit der Polka „Unter Donner und Blitz“ als furios sexy-schrägem Höhepunkt des Balles beim Counter-Tenor-Prinzen Orlovsky als Dragqueen (mit herrlich grellen Vorschlag-Tönen: Andrew Watts). Das Sahnehäubchen im Schlussakt: „Frosch I“ Max Pollack machte aus dem Schlüsselholen eine fulminante, im Nationaltheater bislang singuläre Stepp-tanz- und „Body Percussion“-Nummer, nach Zwischenbeifall zum schier rasend automatisierten „Body Entertainment mit Schlüssel-Geklingel“ gesteigert – frenetische Begeisterung und Jubelsturm – München nahe an Londons Westend oder dem Broadway.

Darum herum: verschobene Häuserfronten hin zu wechselnden Schauplätzen, hohes Fledermaus-Tempo bei fliegenden Umbauten von Ehebett zu Kaffeehaus oder opulentem Esstisch – einfach: exzellentes Musizier-Regie-Handwerk, eben Musiktheater. Dass die amüsante Unterhaltung bruchlos blieb, war auch dem Kostümzauber von Klaus Bruns zu danken. Die stilistisch absurd überdrehte Kostüm-Buntheit der Gesellschaft konnte optisch wie vokal als vielfarbiger, fast bedrohlicher Tsunami an den Bühnenrand branden (amüsier-gierige Chorwirkung von Christoph Heil). Aller LSBT*Q-Fluid-XYZ-Genderei unseres Zeitgeistes, bis hin zu Fantasy-Bärten für viele „Ladies“ und „Madln“, war ironisch Genüge getan. Zu Beginn des 2. Akts wirkten die umgedrehten Häuserfronten mit ihren Stahlkonstruktions-Treppen-Rückseiten (Bühne: Rebecca Ringst) zwar befremdlich – aber eine schräge Snobiety-Type wie Orlovsky mietet heutzutage womöglich eine Industriehalle „for fun“. Zum Ballende wurden dann die Häuserfassaden wie Tapeten, die alles „großbürgerliche Elend“ kaschiert hatten, heruntergerissen – ein entlarvender Hinweis darauf, was GMD Jurowski vorab formuliert hatte: dass da alle Personen lügen, betrügen und täuschen und ihm eigentlich nur der Advokat Dr. Blind (unverwüstlich Kevin Conners) halbwegs sympathisch sei. In allem Wirbel trug die verschlankt-verjüngt wirkende Diana Damrau als Rosalinde ein „Zweite-Haut-Ballkleid“, das sie als falsche Csárdás-Gräfin wirklich zum Männertraum machte. Vokal blieben keine Wünsche offen: bei ihr, beim Tenor-Galan mit Model-Figur von Sean Panikkar, dem gezielt pummeligen „Ewig-Zweiten“ Dr. Falke von Markus Brück, dem „Ewig-Dritten“ des Gefängnisdirektors Frank von Martin Winkler; dazu herrlich kontrastierend, die Sopran-kess-kecke Adele von Katharina Konradi und der fesch, sich prompt für „ewig-unwiderstehlich jung“ haltende Eisenstein von Georg Nigl. Seinem mehrfach auftrumpfenden Bariton hörte man die Freude an, nach allen tief tragischen Rollen endlich mal eine hörbar wienerische Spät-Gaudiburschen-Figur zu verkörpern – mit dann doch auch tragischer Oberfläche. Er und die temperamentvoll prompt weiblich überlegene Rosalinde der Damrau bildeten ein „Event-gieriges Society-Paar“. Über alles Spiel hinaus: Wir werden ihnen wohl im Fasching begegnet sein, allen überdreht Gaudi-Gierigen in diesen real düsteren Zeiten.

  • Als Video-on-Demand via Staatsopern.TV abrufbar.

Wolf-Dieter Peter

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