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Kulturpolitik
Kulturbürgerlicher
Narzissmus
Zur Blackfacing-Attacke gegen die Frankfurter Oper
Gerade hat der 83-jährige Doyen deutscher Theater-Dramaturgie Klaus Zehelein in seiner Rede zur „FAUST“-Verleihung die „woke“ Überarbeitung von Klassikern, alle „Säuberungsversuche“ von „Schmutzigem“, von vermeintlich anstößigen Formulierungen in bestehenden Werken entschieden abgelehnt: „Wozu ist Kunst da, wenn nicht, um Wunden zu zeigen“?
Schon immer hat Theater in vielen seiner besten Momente eine Attacke enthalten: Es führt Miss-stände vor; es bildet einen Spiegel für das davorsitzende Publikum und womöglich die ganze Gesellschaft; es entlarvt Fehlverhalten; es reißt Mächtigen wie Verblendeten die Maske herunter – oder setzt ihnen eine Maske bis hin zur Narrenkappe auf. Jede und jeder Theaterfreund*in hat dies hoffentlich erlebt und dann durchdacht.
Zum Jahresende gab es in Frankfurts Opernszene einen eklatanten Missgriff, ausgerechnet von einer jungen farbigen Frau aus dem Aufsichtsrat der Oper, die gleichzeitig Vorsitzende des Kulturausschusses der Stadt ist. Die betreffende Politikerin ist auch Referentin für Diversitätsentwicklung, Autorin, Theatermacherin und politische Aktivistin für Intersektionalen Feminismus – also eine Überzeugungstäterin.
Sie hatte die Premiere von György Ligetis „Le Grand Macabre“ (s. Kritik in Oper & Tanz, Ausgabe 6/2023) nicht besucht, erhob den Vorwurf des „Blackfacing“ und forderte eine Absetzung der Inszenierung. Alles abgeleitet von einer Bühnenfigur in der wüst ausschweifenden Endzeit-Weltuntergangsparty in einem „Casino Royal“. Alle sind in der intellektuell glasklaren Inszenierung von Vasily Barkhatov rausch-süchtig mehr oder minder wild verkleidet – von der bunten Witzfigur über Rokoko bis hin zu Napoleon und zurück zu einem schwarzgeschminkten „ägyptischen“ Partygänger, erhaben-protzig wie ein Pharao – es kann aber auch der altägyptische Totengott Anubis sein, der sich mit schwarzem Hund- oder Schakalkopf dargestellt findet. Das führt ein Mitglied des Ensembles albern und schräg vor: ein Aspekt im grässlich ausartenden Exzess der „Gesellschaft“ auf der Bühne.
Daran kann nur Anstoß nehmen, wer „Theater“ fundamental nicht verstanden hat: Da steigt jemand auf eine Kiste, ein Podium oder eine hochentwickelte Bühne, wirft sich eventuell etwas über und schmiert sich Farbe ins Gesicht – damit verwandelt er sich grundlegend! Das ist dann mitnichten eine reale Person, ein reales Gesellschaftsmitglied oder Angehöriger einer diskreditierten Minderheit – und muss erst recht nicht von einer sich als „Retter“ missverstehenden Politik „in Schutz genommen werden“. Folglich können Mieslinge, Verbrecher und Massenmörder dort oben stehen, von bluttriefenden Herrschern über Hitler, Stalin hin zu Pol Pot oder Pinochet oder Sadam Hussein oder Idi Amin – bühnengerecht geschminkt –, dann auch als goldiges Engelchen oder blutüberströmt-entstellte, aber „Heil versprechende“ Märtyrer*in – und sie dürfen auf der Bühne sonst justiziable Entsetzlichkeiten ungestraft aussprechen und ausführen. Die Bühne enthebt Beleidigendes, Lug, Trug, Diskriminierung, Demütigung, Folter und sogar Mord dem realen Ruf nach Polizei und Richter! Wer immer da eine Anwandlung zum – irregeleiteten – Moralapostel verspürt, sich zum „Sprecher“ einer nicht bestätigten Minderheit aufwirft, praktiziert – nahe an der Kommunikationswissenschaftlerin Zizi Papacharissi – kulturbürgerlichen Narzissmus. Gerade davon muss eine verantwortungsvoll denkende und hoffentlich dann erst handelnde oder sich öffentlich äußernde Politikerin frei sein, sonst paart sich Profilneurose mit Unverständnis. Ihr und allen hektisch-vorschnell postenden „Wichtigen“ ist als Pflichtlektüre Kurt Tucholskys unsterblicher Text von 1919 „Was darf die Satire?“ als Pflichtlektüre aufgegeben: lesen – verstehen – und dann Tucholskys späten Satz beherzigen: „Und daher: Werde ich erst amal das Maul halten.“
Wolf-Dieter Peter |