Berichte
Triumphe in Regensburg
Deutsche Erstaufführungen: »As One« und »Der Prinz von Schiras«
Die Spielzeit 2023/2024 am Theater Regensburg hat in Sachen Musiktheater gehörig an Fahrt aufgenommen. Nachdem die Eröffnung mit Richard Strauss’ „Ariadne auf Naxos“ musikalisch exzellent, szenisch aber eher belanglos ausfiel und mit „Die Rückkehr von Peter Pan“ ein äußerst mittelmäßiges Musical aus der Taufe gehoben wurde, punktete das Haus mit zwei ausgezeichneten deutschen Erstaufführungen.
„As One“ mit Michael Daub (Hannah Younger), Arnold Thelemann (Violoncello), Matthias Rosenfelder (Viola), Yui Iwata-Skweres (Violine), Joana Weyland (Violine) und Patrizia Häusermann (Hannah Older). Foto: Marie Liebig
Laura Kaminskys Kammeroper „As One“ von 2014 über den Weg einer Transfrau zu sich selbst zählt in den USA zu den meistgespielten zeitgenössischen Musiktheaterwerken. Die Regensburger Produktion machte auf fulminante Weise deutlich, warum. In einer lockeren, gut getimten Szenenfolge begleiten wir die Entwicklung der Protagonistin Hannah vom Jugendlichen zur Frau. Unterstützt von einem Streichquartett wird sie entsprechend ihrem Zustand vor und nach der Transition parallel von einem Sänger in Baritonlage und einer Mezzosopranistin verkörpert. Dass das so gut funktioniert, liegt zunächst einmal am einfühlsamen Textbuch, in dem poetische Sprachbilder und unverschwurbelte Bodenhaftung eine seltene Einheit bilden.
Nach der ersten Szene, in der Hannah ihre Weiblichkeit mit heimlicher Freude auslebt, genügt Regisseur Ronny Scholz ein Lichtwechsel und eine Rotation eines zentral postierten Sofas, um die Kehrseite sichtbar zu machen: die Angst vor der Enttarnung. Nach diesem Prinzip wechseln sich in der Folge Licht- und Schattenseiten auf Hannahs Weg ab. Laura Kaminskys Musik zeichnet diese Stimmungswechsel genau nach, ohne sich aufzudrängen. Ihr postminimalistischer Stil nistet sich mit rhythmisch pointierter Flächigkeit und durchaus vertrackten Verflechtungen in den Ritzen zwischen den Wörtern ein. Wie Kaminsky die tiefe und die hohe Stimmlage ganz natürlich zur Entfaltung und phasenweise auch zur Verschmelzung zu bringen vermag, ist von verblüffender Stimmigkeit.
Ronny Scholz setzt mit seiner Inszenierung kluge Akzente, wobei Michael Daub und Patrizia Häusermann, beide sängerisch wie darstellerisch herausragend, in ein immer nachvollziehbares Spannungsverhältnis zueinander gestellt werden. Das grandios aufspielende philharmonische Quartett ist an bisweilen im Bühnendunkel geheimnisvoll leuchtenden Notentablets Teil dieses szenisch stets in natürlicher Bewegung befindlichen Entwicklungsprozesses.
„Der Prinz von Schiras“ mit Mitgliedern der Tanzcompany. Foto: Marie Liebig
Diesem Riesenerfolg im kleinen Theater am Haidplatz folgte eine triumphale Wiederentdeckung im großen Haus. Regensburgs Intendant Sebastian Ritschel fand vor einigen Jahren zusammen mit seinem Dramaturgen Ronny Scholz in einem Antiquariat den Klavierauszug von Joseph Beers „Der Prinz von Schiras“. Der bis dahin als verschollen geltende Operettenerstling des jüdischen, aus Österreich-Ungarn stammenden Komponisten (1908–1987) war 1934 in Zürich uraufgeführt und an vielen europäischen Theatern nachgespielt worden. Die Rekonstruktion der kompletten Partitur war schon in Auftrag gegeben, da fand sich im Ricordi-Verlagsarchiv doch noch das originale Orchestermaterial. Unter Vermittlung Suzanne Beers, einer Tochter des Komponisten, konnte die Operette schließlich bei Doblinger ediert werden und erlebte nun in Regensburg ihre verspätete deutsche Erstaufführung.
Was für ein musikalisches Juwel diese Wiederentdeckung ist, wurde von den ersten Takten an deutlich. Der junge, enorm begabte Joseph-Marx-Schüler Beer erweist sich als versierter Orchestrierer, der seine Farbpalette unter anderem mit Saxophon, Celesta und Xylophon aufmischt. Mit inspirierten Melodien und souveräner Stilvielfalt bringt er den jazzigen Pep eines Paul Abraham und den sentimentalen Überschwang eines Franz Lehár unter einen Hut. Des Prinzen große Arie aus dem zweiten Akt („Du warst der selige Traum“) wäre seinerzeit, hätte ein Richard Tauber sie gesungen, sicher zum Hit geworden.
Die an den Haaren herbeigezogene Handlung sei hier nicht nacherzählt, um so bemerkenswerter ist das, was Sebastian Ritschel und sein Team daraus mit viel Tempo und Esprit auf die Bühne zaubern. Noch spektakulärer als das Bühnenbild, das als Geschenkbox auf das Notenpaket anspielt, das die Entdecker Ritschel und Scholz unverhofft erreichte, sind die vom Intendanten und Regisseur Ritschel höchstselbst entworfenen Kostüme. Allein die Looks der mondänen Violet – eine Art blonde Liza Minnelli – etwa im gelben Überfahrt-Outfit oder im persisch angehauchten Mantelkleid sind umwerfend. Kirsten Labonte fühlt sich darin sichtlich wohl, sie singt und spielt die durchaus anspruchsvolle Partie ebenso überzeugend wie Carlos Moreno Pelizari den Prinz.
Beide profitieren wie das hochklassige Ensemble insgesamt von der dezenten Mikrofonierung, mit Hilfe derer sie relativ locker über das von GMD Stefan Veselka mit Sorgfalt, Opulenz und Verve geleitete Orchester hinwegsingen können. Die von Gabriel Pitoni choreografierte Tanzcompagnie wirbelt mitreißend über die Bühne, der von Harish Shankar präzise einstudierte Chor ist integraler Teil des Geschehens.
Am Ende nahm neben dem Produktionsteam auch Suzanne Beer die stehenden Ovationen des begeisterten Publikums entgegen. Dass dieses wunderbare Vorkriegswerk ihres Vaters, der nach dem „Anschluss“ Österreichs vor den Nationalsozialisten fliehen musste und dessen Eltern und jüngere Schwester in Auschwitz ermordet wurden, nun endlich in Deutschland ankommt, ist das eigentliche Geschenk dieses triumphalen Abends.
Juan Martin Koch |