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Berichte

Alles ist ein Spiel

Igor Strawinskys »The Rake’s Progress« in Freiburg

Hinten der gemalte Höllenschlund mit Teufelsfratze, im Vordergrund ein Gärtchen mit weiß gestrichenem Jägerzaun und laubgesägten Bäumchen. Der Zuschauerraum setzt sich auf der Bühne fort – in den Logen sitzt der Chor und wartet gespannt auf das Spiel. Julia Röslers Bühnenbild zeigt am Freiburger Theater schon vor Beginn von Igor Strawinskys „The Rake’s Progress“ (Die Karriere eines Wüstlings) in der poetischen, bildstarken Inszenierung von Eva-Maria Höckmayr, worum es in der 1951 uraufgeführten Oper geht. Um den Einbruch des Bösen in die heile Welt. Um die Sogkraft der Verführung. Und um Theater im Theater. Alles ist ein Spiel, will Igor Strawinsky in seiner von „Don Giovanni“ inspirierten Nummernoper sagen. Und hat dafür in seinem letzten neoklassizistischen Werk eine tonale, quirlige, feingliedrige Musik für ein Mozartorchester (zweifach besetztes Holz, ohne Posaunen und Tuba) komponiert, die immer wieder Haken schlägt, mit Verfremdungen spielt, Hörerwartungen hintergeht und bewusst Distanz erzeugt zum Geschehen.

Jakob Kunath (Nick Shadow), Maeve Höglund (hier: Anne Trulove), Michael Borth (Nick Shadow). Foto: Laura Nickel

Jakob Kunath (Nick Shadow), Maeve Höglund (hier: Anne Trulove), Michael Borth (Nick Shadow). Foto: Laura Nickel

Der Erste Kapellmeister Ektoras Tartanis zeigt mit dem Philharmonischen Orchester Freiburg eine ganz transparente Interpretation. Die schnellen Wechsel im Ausdruck, Takt und Tempo gelingen auf den Punkt, die Klangbalance zwischen Orchester, Chor und Solisten ist perfekt. Auch die Bläsersoli (makellos: Horn, Trompete!) sind echte Highlights. Nur die Koordination zwischen Bühne und Orchestergraben hat in einigen Passagen noch Luft nach oben.

Die Rolle des teuflischen Nick Shadow hat die Regisseurin Eva-Maria Höckmayr mit Jakob Kunath und Michael Borth auf zwei Personen verteilt – den größeren Teil des Gesangsparts übernimmt dabei Michael Borth. Beide sind mit Smoking, Zylinder, viel Charme und einem runden, sehr beweglichen Bariton ausgestattet. Borths Shadow ist dabei eher der Frivole, der auch mal im kurzen Röckchen mit den Hüften wackelt (Choreografie: Graham Smith). Kunath bleibt cool und beobachtet das Geschehen aus Distanz. Junbum Lee hat es als Tom Rake-
well also gleich mit zwei Verführern zu tun, die seinem spießigen Leben ein bisschen mehr Wumms und vor allem Geld versprechen.
Dafür hat Trulove (mit markantem Bass: Jin Seok Lee), der vermeintliche Schwiegervater in spe, kein Verständnis. Und auch seine Tochter Anne, der Cassandra Wright mit ihrem schlackenlosen Sopran Reinheit und Aufrichtigkeit verleiht, ist machtlos, als ihr Tom in Bann gezogen wird und das Spiel beginnt. Die gesichtslosen Häschen, die noch eben im hautfarbenen Catsuit durch den Vorgarten hoppelten, werden zu Sexy Bunnys im Playboy-Style (Kostüme ebenfalls von Julia Rösler). Hier im Bordell von Mother Goose genießt Tom Rakewell (mit markanter Hornbrille und hellem Tenor: Junbum Lee) die Sinnesfreuden. Auch der spielfreudige Theaterchor (Leitung: Norbert Kleinschmidt) gibt in Unterwäsche alles. Die Ehe mit der bärtigen Baba the Turk wird für Tom allerdings zur Hölle. Anja Jung verkörpert beide Partien mit großer Spielfreude und vokaler Brillanz. Ihr dunkler Alt verstärkt noch ihre Präsenz.

Auf der nach hinten immer wieder offenen, dann wie durch ein Kameraobjektiv betrachteten Bühne gelingen Eva-Maria Höckmayr bildstarke Szenen und elegante Übergänge. Manches bleibt rätselhaft. Warum der Auktionator Sellem (schön komisch: Roberto Gionfriddo) als Katze auftritt oder die Teufelsfigur verdoppelt ist, erschließt sich kaum, aber das schadet dem Abend auch nicht. Durch die Präsenz aller Akteure werden alle Bälle in der Luft gehalten. Beim finalen Kartenspiel um Toms Seele ist das Geschehen gerade durch die Fokussierung verdichtet. Die Auftritte von Anne, die musikalisch nahezu ungebrochen sind, sind in Cassandra Wrights Interpretation Ruhe- und Höhepunkte im turbulenten Spiel. Zum Epilog sitzen die Protagonisten selbst in den Theaterlogen. Und erklären die Moral der Geschichte. Faule sind anfällig für den Teufel. Alle Männer sind Narren. Und nicht jeder Wüstling wird durch Liebe gerettet. Ob sich das Kinderpaar, das im Schlussbild zu sehen ist, davon beeindrucken lässt?

Georg Rudiger

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