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Den Menschen wieder eine Stimme geben

Das Projekt „Zukunft der Erinnerung“ am Staatstheater Augsburg

André Bücker und Nicole Schneiderbauer im Gespräch mit Barbara Haack

Mit „Zukunft der Erinnerung“ ist ein umfassendes Projekt überschrieben, das das Staatstheater Augsburg derzeit auf der Bühne und in der Stadt gestaltet. Mit drei Bühnenwerken wird an die Machtergreifung der Nationalsozialisten vor 90 Jahren erinnert: mit Grigori Frids Oper „Das Tagebuch der Anne Frank“ sowie mit den Schauspiel-Uraufführungen „Unruhe um einen Friedfertigen“ nach dem Roman von Oskar Maria Graf in der Bühnenbearbeitung von Lothar Trolle und „Frauen der Unterwelt. Sieben hysterische Akte“ von Tine Rahel Völcker. Hier werden die Schicksale von sieben Frauen erzählt, die in Pirna-Sonnenstein im Rahmen der T4-Aktion der Nationalsozialisten getötet wurden.

Das Begleitprogramm enthält unter anderem Führungen zu Augsburger Erinnerungsorten, eine Ausstellung in Kooperation mit dem Jüdischen Museum, begleitende Workshops oder „Denk-Raum-Formate“. Barbara Haack sprach für „Oper & Tanz“ mit André Bücker, Intendant des Staatstheaters, und Nicole Schneiderbauer, Leitende Regisseurin und Kuratorin der Begegnungs-Plattform Plan A, gleichzeitig Regisseurin der „Frauen der Unterwelt“, über das Projekt.

Oper & Tanz: Wie sind Sie darauf gekommen, das Thema „Erinnerungskultur“ so prominent auf das Programm zu setzen? Warum gerade jetzt?

Nicole Schneiderbauer. Fotos: Jan-Pieter Fuhr

Nicole Schneiderbauer. Fotos: Jan-Pieter Fuhr

Nicole Schneiderbauer: Das Thema Erinnerungskultur beschäftigt uns schon länger. Es hat jetzt, 90 Jahre nach 1933, einen großen Schwerpunkt bekommen. In Augsburg gibt es viele Erinnerungsinitiativen; das ist ein großer Schwerpunkt in der Stadt und in der Stadthistorie. Wir sind schon in der letzten Spielzeit mit diesen in Kontakt getreten, haben uns ausgetauscht und viele Gespräche geführt. Daraus ist auf der einen Seite der inhaltliche, der ästhetische Schwerpunkt, auf der anderen Seite das Begleitprogramm „Zukunft der Erinnerung“ entstanden.

André Bücker. Fotos: Jan-Pieter Fuhr

André Bücker. Fotos: Jan-Pieter Fuhr

André Bücker: Es war für mich persönlich schon immer wichtig, diese Themen im Theater zu verhandeln. Ich habe auch in der Vergangenheit Projekte dazu gemacht, vor einigen Jahren zum Beispiel zusammen mit Alexander Kluge in Halberstadt zur Bombardierung der Stadt: Wir haben Geschichten von Zeitzeugen gesammelt und aufgeschrieben. Es ist eine wichtige Aufgabe des Theaters, sich nicht nur auf der Bühne mit diesen Themen zu befassen, sondern auch Stimmen einzusammeln, Menschen mit den Erinnerungen von Opfern zu konfrontieren, das Erinnern in verschiedensten Formen lebendig zu halten. Das Theater kann Menschen, die keine Stimme mehr haben, wieder eine Stimme geben. 

O&T: Anlass für das Projekt ist der 90. Jahrestag des Beginns der Nazi-Herrschaft. Bearbeiten Sie das Thema auch gerade jetzt so intensiv, weil heute das, was damals passiert ist, wieder ganz aktuell und bedrohlich ist?

Bücker: Es war ja nie weg. Die deutsche Nachkriegsgeschichte ist teilweise von Akteuren geschrieben worden, die auch im Krieg und vor dem Krieg eine wichtige Rolle gespielt haben. Es ist wichtig für unsere Demokratie, sich mit der Vergangenheit und den Zivilisationsbrüchen der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Das Datum kann da ein konkreter herausgehobener Anlass sein, aber man muss sich grundsätzlich und dauerhaft damit beschäftigen. Antisemitismus ist ein wichtiges Thema. Er verändert seine Ausformungen in der Öffentlichkeit, aber er ist nach wie vor präsent.

Schneiderbauer: Die Frage lautet: Wer erinnert sich an was und wie? Welche Verantwortung haben wir im Umgang mit unserer Geschichte? Und wie verändert sich unsere Form des Erinnerns? Zeitzeugen werden irgendwann nicht mehr hier sein. Wer erinnert dann noch, mit welchen ästhetischen Mitteln? Wie gehen wir zum Beispiel mit Bauten als Zeitzeugendokumenten um? Wer ist sich dessen bewusst, dass unsere Stadt noch heute stark geprägt ist durch NS-Architektur? Im Rahmen des Projekts bieten wir Führungen an, in denen Augsburger Erinnerungsorte besucht und reflektiert werden.

O&T: Das Projekt heißt „Zukunft der Erinnerung“. Da geht es konkret um die Erinnerung an das Nazi-Regime und den Antisemitismus. Bezieht sich der Titel darauf, dass sich in Zukunft anders erinnert werden muss, weil die Zeitzeugen bald nicht mehr da sein werden? Oder geht es auch darum, dass wir zukünftig generell einen anderen Umgang mit Erinnerung finden müssen? Verändert sich die Erinnerung möglicherweise auch durch Ihr Projekt?

„Das Tagebuch der Anne Frank“ mit Olena Sloia als Anne Frank. Foto: Jan-Pieter Fuhr

„Das Tagebuch der Anne Frank“ mit Olena Sloia als Anne Frank. Foto: Jan-Pieter Fuhr

Bücker: Es ist interessant, dass die „Anne Frank“-Inszenierung Sichtweisen und Interpretationen aufnimmt, die anders sind, als es vor zwanzig Jahren der Fall gewesen wäre, weil eine junge Regisseurin virulente heutige Fragen aufwirft. Das ist mit „Zukunft der Erinnerung“ auch gemeint: Wie verändern sich diese Erzählungen über Schicksale, über historische Fakten? Wie mischt sich das mit heutigen Thematiken? Ist das überhaupt zulässig? Diese Fragen stellen sich, wenn wir Stücke heute neu interpretieren und eine zeitgenössische Sicht darauf zeigen. 

Schneiderbauer: Mit Tine Rahel Völcker, der Autorin von „Frauen der Unterwelt“, habe ich darüber gesprochen, wie man künstlerisch erzählen darf. Darf man das Leid, das den Frauen angetan wurde, fiktionalisieren? Wie kann man das auf die Bühne bringen? Sie war nach der Premiere glücklich, weil sie festgestellt hat, dass man genau das tun darf. Man darf sich dem spielerisch, körperlich, emotional, bildhaft nähern und muss eine neue Form der Auseinandersetzung damit finden, den Betroffenen Raum geben. 

Bücker: … und das erlebbar machen für ein heutiges Publikum.

O&T: Dieses heutige Publikum ist teilweise jung und sehr weit weg von dem, was zwischen 1933 und 1945 passiert ist. Denken Sie darüber nach, wie man gerade junge Menschen erinnern lässt, wie man sie einbezieht in die Erinnerung?

Bücker: Das tun wir, indem wir mit einer zeitgenössischen Sicht auf die Themen, die weit in der Vergangenheit liegen, diese auf ihre Bedeutung im Heute befragen. Das auf der Bühne zu verhandeln ist immer gekoppelt mit der Zeitgenossenschaft der Zuschauer*innen und der Akteur*innen. Dieser Transformationsprozess, der durch die Bühne stattfindet, ist nicht nur für junge Menschen faszinierend, sondern auch für ältere, die das dann noch einmal neu, anders sehen als bisher.

Schneiderbauer: Wir ha­b­en uns viele Gedanken darüber gemacht, wie man es schaffen kann, gerade junges Publikum für diese Stoffe zu motivieren. Wir haben zum Beispiel bei „Frauen der Unterwelt“ eine öffentliche Konzeptionsprobe gemacht, in die wir Lehrkräfte eingebunden haben. Wir haben ganz dezidiert versucht, Formate zu finden, mit denen wir uns öffnen.

O&T: Wie haben Sie die Auswahl gerade dieser drei Bühnenstücke getroffen?

Bücker: Die Kombination hat sich gefügt. „Unruhe um einen Friedfertigen“ ist ein faszinierender Roman. Oskar Maria Graf ist ein faszinierender Autor. Und es ist eine unglaublich berührende Geschichte, die hier in der erweiterten Region spielt. Einem Autor wie Lothar Trolle den Auftrag zu geben, dieses Stück für die Bühne zu bearbeiten – in seiner ganz eigenen Art –, erschien uns künstlerisch sehr interessant.
Das „Tagebuch der Anne Frank“ in der Gregori-Frid-Fassung ist ein großartiges musikalisches Werk, extrem berührend und gleichzeitig deutbar, erweiterbar. Die Regisseurin hat mit zusätzlichen Texten gearbeitet, die sie in das Werk implementiert hat.

„Frauen der Unterwelt“ mit Sarah Maria Grünig, Ute Fiedler, Andrej Kaminsky, Christina Jung, Katja Sieder und Florian Gerteis. Foto: Jan-Pieter Fuhr

„Frauen der Unterwelt“ mit Sarah Maria Grünig, Ute Fiedler, Andrej Kaminsky, Christina Jung, Katja Sieder und Florian Gerteis. Foto: Jan-Pieter Fuhr

Schneiderbauer: „Frauen der Unterwelt“ ist ein toller Theatertext, der auf einer intensiven Recherche basiert. Tine Rahel Völcker hat die Schicksale der Frauen jahrelang recherchiert. Daraus ist eine Art „Biografiktion“ entstanden. Sie hat den Frauen ein Leben eingeschrieben, hat versucht herauszulesen: Wie hätten sie leben können? Sie hat versucht, Informationen umzudeuten und eine andere Perspektive auf das Aktenmaterial zu werfen. 

Bücker: Es sind drei exemplarische Werke, die mit einem besonderen ästhetischen Zugang arbeiten und jeweils ganz eigene Perspektiven beschreiben. Oskar Maria Graf beschreibt die Perspektive eines einsamen alten Mannes. Dann gibt es die weibliche Perspektive und schließlich die eines ganz jungen Menschen am Anfang seines Lebens. Das sind drei extrem spannende Pole.

O&T: Das Programm läuft gerade. Wie ist Ihr Zwischenfazit?

Bücker: Ich habe sehr viel positive Resonanz und große Begeisterung beim Publikum erlebt. Viele Menschen haben gesagt: Das ist anstrengend, hart, aber absolut notwendig. Wir hatten bisher ein sehr emotional bewegtes Publikum.

Der Transformationsprozess, der durch die Bühne stattfindet, ist nicht nur für junge Menschen faszinierend, sondern auch für ältere, die das dann noch einmal neu, anders sehen als bisher.

Schneiderbauer: Auch auf das Begleitprogramm gibt es eine immense Resonanz. Wir hatten schon Anmeldungen für die Formate, als diese auf unserer Homepage noch gar nicht mit Terminen hinterlegt waren.

Bücker: Wir haben, seitdem wir hier sind – seit mittlerweile sechs Jahren – Beziehungen geknüpft mit Menschen, die in Augsburg in der Erinnerungskultur tätig sind, Kooperationen angeschoben oder Kooperationsangebote aufgenommen. Das bereichert dann auch wieder das, was man für die Bühne erarbeitet. Das ist die zweite Säule unserer Theaterarbeit. Das eine ist die Bühne, und – gleichwertig daneben – die Arbeit in der Stadtgesellschaft. Das „Beiprogramm“ ist keines, das einfach so mitläuft, sondern es ist ein wichtiger Teil des Gesamtprogramms.

 

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