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Berichte
Mit der Liebe spielt man nicht
„Così fan tutte“ an der Komischen Oper Berlin
Als Kirill Serebrennikow „Così fan tutte“ 2018 am Opernhaus Zürich inszenierte, saß er noch in Russland im Hausarrest und sein Assistent Evgeny Kulagin leitete (über anwaltlich vermittelte Video-Botschaften) die Proben. Für die Berliner Fassung dieser Koproduktion mit der Komischen Oper führte Serebrennikow nun zum ersten Mal in persönlicher Anwesenheit Regie. Es ist der Auftakt einer mit ihm geplanten Da Ponte-Trilogie an der Komischen Oper.
Susan Zarrabi als Dorabella, Caspar Singh als Ferrando, Hubert Zapiór als Guglielmo und Nadja Mchantaf als Fiordiligi. Foto: Monika Rittershaus
„Heute“, so betont der Regisseur im Programmheft, „ist die Realität eine andere. Es herrscht Krieg in Europa.“ Seine Berliner Inszenierung unterscheidet sich denn auch von der Züricher. Der Regisseur unterstellt Mozarts Werk „Widerstand gegen Finsternis und den Tod“. Eine romantische Mozartverehrung, die ebenso fragwürdig ist wie die von ihm angeprangerte romantische Kriegsverherrlichung Mozarts. Er lässt denn auch kurz vor Ende der Oper Ouvertüren-Anklänge aus „Don Giovanni“ spielen, schwarze Teufelchen tummeln sich. Seine „heutige“ Inszenierung will zwar „intime Fragen von Identität und Selbstfindung“ stellen, er will den „frauenfeindlichen“ Titel der Oper in Frage stellen, weshalb der Schriftzug „Così fan tutte“ in „Così fan tutti“ korrigiert wird. Es sind bloße Lippenbekenntnisse. Männlichkeit und Weiblichkeit sind nurmehr Klischees. Man sieht durchtrainierte Kerle und doofe Girlies, die vor allem shoppen gehen und Klamotten anprobieren. Alle subtilen, und ironischen Commedia dell’arte Anleihen Da Pontes, insbesondere diejenigen der Verkleidung und Verwechslung, finden gar nicht statt, womit die Komödiendramaturgie des Stücks ausgehebelt wird. Geradezu absurd ist der Einfall Serebrennikows, Guglielmo und Ferrando den erotischen Erfolgen ihrer bodygebildeten Doppelgänger (Sempronio und Tizio) zusehen zu müssen.
Es gibt in der plakativen Inszenierung Wasserpfeife rauchende Paschas (als Scheichs verkleidet), viel Fußball im TV, Mädels (die schon mal auf der Küchenzeile flachgelegt werden), reichlich Negligés und sexy Reizwäsche, Sexszenen, immer wieder Videos, es wird gechattet und mit dem Handy hantiert. Ein Soldatenbegräbnis wird arrangiert, mit Grabschmuck und Urnen, die kalte Asche darf verstreut werden. Elektrifizierte Kruzifixe, Tiermasken, eine balkanisch folkloristisch aufgedonnerte Doppelhochzeit, alles dick aufgetragen. „Così fan tutte“ ist ein „dramma giocoso“, ein heiteres Drama. Doch zwei sich selbst entfremdete Paare bleiben zurück. Don Alfonso hat ein zerstörerisches Experiment an vier lebenden Herzen eingerührt und damit den Blick in die Abgründe des Eros freigegeben, ein Liebesideal zerstört. Mit der Liebe spielt man eben nicht. Das ist die eindeutige Botschaft des Stücks. Serebrennikow hat dazu nichts Neues zu sagen.
Musikalisch ist „Così fan tutte“ auch nicht gerade ein Leichtgewicht. Allen Äußerungen Serebrennikows zum Trotz handelt es sich um eine der am schwierigsten zu realisierenden Partituren Mozarts. Der Dirigent muss nichts weniger als den Spagat zwischen Opera buffa und fast schon romantischer Ironie, ständige Tempo- und Stimmungswechsel zwischen Psychologie und Typenkomödie bewältigen; das ist kein leichtes Spiel. Es ist übrigens Serebrennikows erste Mozartinszenierung, er findet, „Così fan tutte“ sei die „inszenierungsfreundlichste der drei Da Ponte-Opern“. Auch die Stabführung der jungen Dirigentin Katharina Müllner betritt mit „Così fan tutte“ Neuland (so ihre Webpage), sie weiß aus Mozart keine musikalischen Funken zu schlagen. Die Opera buffa schnurrt ab wie eine Maschine im Zeitlupenmodus. Chorsolisten (Leitung Jean-Christophe Charron) und Orchester der Komischen Oper tun ihr Bestes, dennoch ist der Abend langweilig.
Immerhin wird ordentlich, wenn auch nicht außerordentlich gesungen. Die Fiordiligi der Nadja Mchantaf, die Dorabella der Susan Zarrabi, der Guglielmo von Hubert Zapiór, die Despina der Alma Sadé und der Don Alfonso von Günter Papendell überschreiten gediegenes sängerisches Mittelmaß nicht. Einzig der Tenor Caspar Singh als Ferrando fiel auf, vor allem mit dem außerordentlich kultivierten Vortrag seiner Arie „Un aura amorosa“, die allerdings durch eine groteske Regie konterkariert wurde, die die Botschaft des Werks nicht erfasste. Liebe ist eben nichts für Anfänger*innen, „Così fan tutte“ auch nicht.
Dieter David Scholz |