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Schwerpunkt
Kostüme, mit denen
man spielen kann
Die Arbeit der freien Kostümbildnerin Cornelia Schmidt
Cornelia Schmidt fährt mit der Hand über den blaue Stoff eines Kleids. Es ist ihre Kreation, doch wie es letztlich aussehen wird, wenn die Sängerin Louise Alder in zwei Wochen darin auf die Bühne der Oper Frankfurt tritt, das weiß Schmidt selbst noch nicht. Kostüme für eine Oper zu entwerfen, ist eine Gleichung mit vielen Unbekannten – und Cornelia Schmidts Job. Sie arbeitet als freie Kostümbildnerin. Zurzeit entwirft sie die Garderobe für einen Doppelabend mit Bruno Madernas „Satyricon“ und Gian Carlo Menottis „The Medium“ an der Oper Frankfurt. Für Letzteres ist das blaue Kleid gedacht. Und wie jedes Kostüm entsteht es erst während der Probenzeit. Erst in dieser Phase stellt sich heraus, wie die Sängerin sich bewegen wird oder ob sie Requisiten mit sich tragen muss. Was sich auf der Bühne abspielt, spiegelt sich auch im Kostüm wider.

Figurine zum orangenen Smoking von Cornelia Schmidt
Die Kostümbildnerin ist in dieser Produktion der Oper Frankfurt für alles verantwortlich, was Sänger/-innen oder Schauspieler/-innen am Körper tragen. Sie entwirft das Äußere der Figur und ist der kreative Kopf. Aber die Kostüme zu erschaffen, ist Teamarbeit: Fast 50 Gewandmeister/-innen, Schneider/-innen und Färber/-innen fertigen die Kostüme in der Oper Frankfurt an. Dabei stimmen sie sich ständig mit dem Inszenierungsteam und den Sängern ab. „Jeder gibt seinen Teil, und man setzt das wie ein Puzzle zusammen“, sagt Schmidt. Und dieses Puzzle benötigt Zeit: Etwa ein Jahr vor der Premiere fragte die Frankfurter Oper Schmidt an, kurz danach lernte sie die beiden Regisseure der Inszenierungen (Hans Walter Richter und Nelly Danker) kennen. „Manche Regisseure sagen dir sehr genau, was sie wollen, da geht es dann mehr um „Materialbeschaffung“, sagt Schmidt. Aber hier haben ihr Regisseurin und Regisseur viele Freiheiten gelassen. Früh beginnt sie, die Figurinen zu zeichnen: „Die Figurinen sind nur erste Ideen, am Ende kommt es oft doch ganz anders.“ Sie dienen als Gesprächsgrundlage, sei es mit den Regisseuren, der Kostümabteilung oder auch als Erinnerung für sie selbst.
Inspirationen findet Schmidt vor allem in Modemagazinen oder Bildbänden. Einige Monate vor der Premiere steht die „Abgabe“ ihrer Entwürfe an die Kostümabteilung an, bis dahin muss sie die Ideen entwickelt und das Budget überschlagen haben. Aber nicht alle Kostüme können eigens angefertigt werden – das wäre zu teuer und zeitaufwendig. Deshalb kaufen Kostümbildner Kleidungsstücke zu oder nehmen sie aus dem Theaterfundus und lassen sie umarbeiten. Aber auch das berge Herausforderungen, berichtet Cornelia Schmidt. Weil in „The Medium“ die Kostüme die Entstehungszeit der Oper wieder aufleben lassen sollen, hatte Cornelia Schmidt zunächst nach Original-Kleidern aus den 1940er-Jahren gesucht. „Aber das Material aus der Nachkriegszeit ist oft so porös, dass man es der Kostümabteilung nicht zumuten kann, das zu verarbeiten.“ Die Schneider/-innen müssen die Kostüme oft auseinandernehmen, umarbeiten und neu zusammennähen, da ist gutes Material immens wichtig.
Von den dezenten Farben der „Medium“-Kostüme wechselt Schmidt zu schrill-bunten Kleidern in Madernas „Satyricon“. „Zuerst hatten wir überlegt, uns mit den Kostümen auf die Spielzeit des Stückes zu beziehen, also habe ich mich viel mit den Tuniken des antiken Roms beschäftigt“, erzählt Schmidt. „Aber ‚Satyricon‘ ist ein sehr freies Stück, und diesen Ansatz wollten wir auch in den Kostümen zeigen – jetzt betonen sie die Individualität der Figuren.“ Im Anproberaum der Herrenschneiderei bewundert nun Tenor Peter Marsh, der den Trimalchio singt, seinen neuen Anzug: „Den wird meine Frau unbedingt behalten wollen!“

Mustertext
Im Spiegel sieht er einen eng geschnittenen orangenen Smoking mit goldenem Ornament-Muster. Neben Begeisterung schleichen sich auch Zweifel in seine Stimme: „Sieht man mich da überhaupt?“ Bunte Kostüme würden oft die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen und von den Darstellern ablenken. „Bei solch schrillen Kostümen könnte man auf der Bühne einfach schlafen, und die Leute schauen trotzdem hin.“ Der Anzug für Marsh allein benötigte 50 Arbeitsstunden. Grund dafür ist das Material: „Wir haben hier einen weißen Polsterstoff mit goldener Prägung genommen und dann selbst orange eingefärbt.“ Weil das ziemlich aufwendig ist, stand den Schneidern nur wenig Stoff zur Verfügung – da musste der erste Zuschnitt passen. „Mir ist es wichtig, Kostüme zu schaffen, mit denen man spielen kann und die mehr sind als bloße Kleidung“, erklärt Schmidt. Eine Sängerin etwa darf eine ganz besondere Stola tragen: Ihr liegt ein Hundeskelett um die Schultern. Und dieses Skelett sorgt gerade für Unruhe: Während der Probe ist es kaputt gegangen, jetzt musste das Kunstgewerbe alle Knochen auseinandernehmen und noch einmal neu zusammensetzen. Cornelia Schmidt kommuniziert mit allen beteiligten Werkstätten, den Inszenierungsteams und den Sängerinnen und Sängern. „Die Kostümabteilung ist besonders flexibel, weil sie so nah am Menschen ist“, erklärt sie.
Schmidt ist so oft wie möglich vor Ort. Da macht es sich bezahlt, dass sie das Frankfurter Haus gut kennt; für zwei Spielzeiten war sie hier als Kostümbildassistentin im Schauspiel angestellt. Studiert hat Cornelia Schmidt eigentlich Architektur. Aber schon während des Studiums sammelte sie erste Theatererfahrungen. Danach arbeitete sie als Ausstattungs- und Bühnenbildassistentin an verschiedenen Häusern. Das Nähen habe sie sich autodidaktisch beigebracht. Dass sie keine Schneiderausbildung hat, sieht sie als Vorteil: „Es gehört ja sowieso nicht zu meinen Aufgaben, selber zu schneidern. So kann ich den Gewandmeistern und Schneidern mehr Freiheiten lassen und laufe gar nicht erst Gefahr, zu pingelig zu werden.“ Im Architekturstudium habe sie viel über Farben- und Formenlehre gelernt; alles Weitere sei Erfahrung. „Kostümbild bedeutet auch: ganz viel ausprobieren. Welches Material wirkt wie auf der Bühne? Das muss man einfach gesehen haben.“

Schrill-bunte Kostüme in „Satyricon“. Foto: Barbara Aumüller
Stellen Opernsänger eigentlich besondere Anforderungen an die Kostüme? „Ja, natürlich! Ganz wichtig ist die Halspartie und dass der Kragen nicht zu eng wird. Das behindert das Singen.“ Auch der Rest des Körpers, etwa die Bauchpartie, müsse beweglich sein. Aber das lerne man ziemlich schnell von den Sängern. Auch deshalb ist es Schmidt wichtig, die Kostüme in Absprache mit den Beteiligten offen zu halten.
Kritisch sieht sie Privatisierungen von Theaterwerkstätten, wie sie in manchen deutschen Städten schon vorgenommen wurden. Die Werkstätten sind dann nicht mehr Teil des Theaters, sondern ein eigener Betrieb. Noch vor der ersten Probe muss sie hier jedes Detail ausarbeiten. Die Rechnung für einen Knopf soll eingereicht, jeder einzelne Faden muss abgerechnet werden. Das mache die Arbeit kompliziert und bürokratisch, sagt Schmidt. Vor allem kann sie dann nicht mehr auf Änderungen in der Inszenierung oder auf Wünsche der Sängerinnen und Sänger eingehen. Die so wichtige Flexibilität, das gemeinsame Erarbeiten des perfekten Kostüms, das das Geschehen auf der Bühne widerspiegelt – das alles geht so verloren.
Jelena Rothermel
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