Editorial
Many Happy Returns?
Die VdO feiert in diesem Jahr ihr 60jähriges Bestehen. Keine große Sache, aber natürlich ein Anlass, wieder einmal zurück- und voranzuschauen.
Zweifellos war es 1959 ein Wagnis, für zwei kleine Berufsgruppen, die ja bis dahin auch durchaus schon mit der GDBA eine gewerkschaftliche Vertretung hatten, eine eigene Gewerkschaft zu gründen, auch wenn sie auf der – durch die tatsächliche Entwicklung verifizierten – These aufgebaut ist, Kollektive könnten, wenn sie denn als Kollektiv zusammenhalten, ihre Interessen besser durchsetzen als Einzelkämpfer. Und weil das funktionierte, haben Opernchöre und Tanzgruppen im NV Bühne heute für Bühnenkünstler jedenfalls in Deutschland, mutmaßlich sogar weltweit, einmalig gute tariflich abgesicherte Arbeits- und Sozialbedingungen.
Ein weiterer Erfolgsfaktor war die Möglichkeit, unter das Dach der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) schlüpfen zu können, der damaligen nach Berufsgruppen strukturierten, sehr pluralistisch organisierten Großgewerkschaft, die neben dem DGB zugleich die zweite anerkannte gewerkschaftliche Spitzenorganisation in Deutschland war. Später fanden sich in der „AG Kultur der DAG“ bis zu 30 rechtlich und politisch selbständige Berufsverbände und -gewerkschaften aus dem Kultur- und Medienbereich (darunter übrigens neben der VdO auch die GDBA und die DOV) zusammen, um in den politischen Fragen, in denen Einigkeit bestand, auch gemeinsam aufzutreten und sich so exponentiell mehr Gehör zu verschaffen als es die – in der Regel winzigen – Einzelverbände gekonnt hätten.

Tobias Könemann. Foto: Johannes List
All dies fand ein jähes Ende, als die DAG – gegen den erbitterten Widerstand der in ihr organisierten Kunst- und Medienschaffenden – 2001 in der neuen Einheitsgewerkschaft ver.di aufging. In deren Philosophie hatten derart pluralistische Strukturen schlichtweg keinen Platz. Die VdO musste, wie auch andere, auf eigenen Beinen stehen. Im gewerkschaftlichen Kerngeschäft – Tarifpolitik, Rechtsschutz, Mitgliederberatung sowie Mitwirkung in übergeordneten Organisationen – tut sie dies für ihre sehr spezifischen Zielgruppen beharrlich, profiliert und erfolgreich, trotz der Herausforderungen der letzten Jahre, etwa durch die Flut von Haustarifverträgen, insbesondere in Ostdeutschland.
Dieses Kerngeschäft ist aber nur ein, wenn auch zentrales, Element gewerkschaftlicher Arbeit, insbesondere im Kulturbereich. Um außerhalb des im Rahmen der Tarifautonomie Möglichen Rahmenbedingungen zu sichern und auszubauen, ist zusätzlich immer mehr nachhaltige Lobby-Arbeit in Politik und Gesetzgebung und für diese wiederum eine möglichst breite öffentliche Wahrnehmung gefragt. Dafür aber reichen weder die hauptamtlichen Strukturen von Kleingewerkschaften noch die Begrenzung des Organisationsbereichs auf sehr kleine, für sich gesehen im Alltag der meisten Menschen nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehende Berufsgruppen aus.
Muss man also den Solidaritätsgedanken neu bewerten? An übergreifendere, wenngleich weiterhin berufsorientierte Strukturen denken? Vielleicht doch sich wieder mit der GDBA vereinigen? Ich glaube: im Prinzip ja! Nach mehrfachem Generationenwechsel in den Führungsstrukturen sind die früheren Anfeindungen vergessen – aus den feindlichen Schwestern sind Freundinnen geworden, in und zwischen denen es natürlich auch einmal Meinungsverschiedenheiten gibt. Viel tiefgreifender ist allerdings ein grundlegender Unterschied der internen Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen von GDBA und VdO: Die eine ist geprägt von einer basisdemokratischen Kultur, die andere von der eines konsequenten Repräsentationssystems. Der erste Schritt, die Schaffung eines Tarifverbundes, zeigt diesen Unterschied sehr deutlich, wenn es um das Festlegen gemeinsamer Positionen und Strategien geht. Hier glaube und hoffe ich allerdings, dass der Inhalt der Form folgt: Hat man sich erst einmal auf eine einheitliche Struktur geeinigt, wird dies sehr schnell auch die inhaltliche Diskussion mit bestimmen. Und wenn schon das mit der Struktur nicht klappt, muss man´s halt lassen. Dann wissen aber alle, woran sie sind.
Ich hätte nichts dagegen, wenn die VdO ihren nächsten runden Geburtstag als Teil einer nach autonomen Sparten gegliederten, nicht nur am Theater, sondern auch in Öffentlichkeit und Politik wahrgenommenen Gewerkschaft aller Bühnenkünstler, vielleicht sogar aller darstellenden Künstler, in der Solidarität so funktioniert, dass nicht der schwächste Bereich den Bremser, sondern der stärkste die Zugmaschine darstellt, begehen könnte.
Tobias Könemann
|