Hintergrund
Ausgezeichnete Exzellenz
Der Musiktheatervermittler Rainer O. Brinkmann
Alljährlich prämiert das „netzwerk junge ohren“ Musikvermittlerinnen und Musikvermittler für deren beispielhafte Arbeit. In diesem Jahr wurde der Preis in der Kategorie „Exzellenz“ an Rainer O. Brinkmann verliehen. Mit ihrer Auszeichnung würdigte die Jury einen Theaterbesessenen, der sich in herausragender Weise für die Vermittlung der Kunstform Oper eingesetzt hat. Zusammen mit Fachkollegen hat Rainer O. Brinkmann die Methode der Szenischen Interpretation von Musik und Theater im Musikunterricht sowie an Opernhäusern im deutschsprachigen Raum initiiert. Der Aufbau des Education-Programms an der Staatsoper Unter den Linden seit dem Jahre 2001 ist im Wesentlichen Brinkmanns Werk. Dem Mitbegründer des weltweit ersten Ausbildungsgangs für Musiktheatervermittlung an der Universität Mozarteum in Salzburg überreichte deren Vizerektorin Sarah Wedl-Wilson als „Mitstreiter für moderne Musiktheatervermittlung“ den Exzellenz-Preis.
Rainer O. Brinkmann kommt von der Theaterpädagogik, hat aber „von der Pike auf“ im Theater so ungefähr alles gemacht, was einem Theaterenthusiasten als Ziel vorschweben mag. Das Infragestellen des Werkbegriffs, das Durchforsten der Spielvorlage, um aus den gewonnenen Erkenntnissen anschließend etwas ganz Eigenes, Neuartiges zu konstruieren, ist als Methode nicht neu. Sie wurde von Walter Felsenstein, Wieland Wagner, Joachim Herz, Götz Friedrich und Harry Kupfer erfolgreich praktiziert. Und seit den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wird sie auch für den Schulbereich im Unterricht eingesetzt. Erst jetzt, sehr spät, ziehen Österreich und die Schweiz nach, entwickeln Interesse für die Methoden, Fortbildungen und Veröffentlichungen, die das Institut für Szenische Interpretation von Musik und Theater (ISIM) hierzulande seit den 80er-Jahren verbreitet. Das Forschungsinstitut bietet darüber hinaus Fachtagungen an, gemeinsam etwa mit Anne-Kathrin Ostrop, der Leiterin der Musiktheaterpädagogik an der Komischen Oper Berlin.
Rainer O. Brinkmann an der jungen Staatsoper. Foto: Junge Staatsoper.
Seit 2014 gibt es am Mozarteum einen Weiterbildungs-Lehrgang (geplant ist die Fortentwicklung in einen nicht konsekutiven Master-Studiengang, das heißt ohne einen vorausgehenden Bachelor) – die weltweit erste Einrichtung dieser Art in einem universitären Rahmen. Berufsbegleitend kommen die in Salzburg Studierenden zweimal pro Semester zum Lernen nach Berlin ins ISIM, an die Komische Oper und in die Staatsoper, um später das Erlernte bei der Alltagsarbeit mit Kindern und Jugendlichen umzusetzen. Die Entwicklung der Methoden der Szenischen Interpretation von Musiktheater, basierend auf einer möglichst tiefen Erkenntnis (und in Verbindung mit) der Spielvorlage, war eine Vision Rainer O. Brinkmanns für die jüngsten und jungen potenziellen Theatergänger und -macher.
Ohne den legendären Rezensenten der neuen musikzeitung, Claus-Henning Bachmann, wäre dem Musiktheater-Pädagogen Brinkmann dies nicht so schnell gelungen. Bachmann hatte die Idee, das im Institut Vorgedachte in der Opernpraxis realisieren zu lassen: „Sie müssen an ein Opernhaus und es dort machen!“ Brinkmann willigte ein und durfte sich wenige Tage später an der Berliner Staatsoper vorstellen, wo ihm umgehend ein festes Engagement angeboten wurde.
Neben seiner Dozententätigkeit am Lehrgang Musiktheater-Vermittlung im Mozarteum in Salzburg arbeitete Brinkmann volle 16 Jahre lang an diesem Opernhaus, wenn auch unter häufig wechselnden Vorzeichen und Maßgaben. Nun aber ist ihm vom Co-Intendanten und künftigen Nachfolger Jürgen Flimms, Matthias Schulz, die Nicht-Verlängerung seines Vertrages ausgesprochen worden. (Wohl ein Fall für Juristen, denn die Vertrags-Nichtverlängerung eines an einem Theater Beschäftigten ist nach über 15 Jahren Betriebszugehörigkeit unzulässig.)
Zu lange hatten die Opernhäuser, bevor Brinkmann kam, das junge und jüngste Publikum kaum berücksichtigt und somit selbst Lücken in den Nachfolge-Generationen ihrer Besucher ausgelöst. In seiner Arbeit mit Schulklassen ging und geht es Brinkmann stets primär um den methodologischen Ansatz gegenüber der Spielvorlage, um eine spezifisch individuelle Haltung der Schüler gegenüber der behandelten Partitur und Thematik, um so eine subjektive Bedeutungs-Konstruktion innerhalb des Kunstwerks entstehen zu lassen.
In der außerschulischen Arbeit sucht sich Brinkmann Projektpartner, die sich um Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Zusammenhängen kümmern, um auch sie die Kraft des Musiktheaters spüren zu lassen. So gibt es seit einigen Jahren die Kooperation mit der Dimicare-Anneliese-Langner-Stiftung, die Kinder aus Heimen oder familiären Opfersituationen unterstützt. Einmal im Jahr entsteht eine musikalische Märchenproduktion, unterstützt von Mitarbeitern der Jungen Staatsoper, des Staatsopernchores und der Staatskapelle.
„Der unglaubliche Spotz“ mit Ulf Dirk Mädler als König Astus Bastus von Allyrien und Jennifer Riedel als Prinzessin Asta Basta. Foto: Tatjana Dachsel
Seit 2009 gibt es im Berliner Stadtteil Lichtenberg ein Kinderopernhaus. Als Kooperationsprojekt mit der Staatsoper und dem Caritasverband Berlin erarbeiten im Kinder- und Jugendfreizeitzentrum Steinhaus Acht- bis Zwölfjährige zusammen mit Profis eigene Opernprojekte, die dann in der Staatsoper auf dem Spielplan stehen. Das bislang ambitionierteste Projekt galt im Oktober 2015 Mischa Spolianskys Revue „Es liegt in der Luft“, im Frühjahr 2018 folgt ein selbst entwickeltes Stück über die Komponistin Fanny Hensel.
Am Kinderopernhaus in Lichtenberg können sich Kinder von klein auf bis zum Alter von zwölf Jahren auf der Bühne verwirklichen, Programme entwickeln und spielend lernen, sich für andere Medien zu interessieren. Die danach entstehende Lücke in der Altersklasse bis zu den Fünfzehnjährigen überbrückte Brinkmann durch zwei direkt an die Staatsoper angeschlossene Jugendklubs: Jugendklub 1 in erster Linie für die Grundausbildung und noch ohne öffentliche Aufführungen, Jugendklub 2 für Aufsteiger zur intensiven Begegnung mit den Themen der Oper.
Bis Ende des 20. Jahrhunderts gab es nur wenig spezifische Opernliteratur für Kinder und Jugendliche. Also galt es für Brinkmann, sich auf die Suche zu machen, Werke zu adaptieren oder womöglich selbst von den Kindern und Jugendlichen in partizipativen Projekten entwickeln zu lassen. Er konnte in den Jahren der Staatsoper im Schiller Theater die dortige kleine Studiobühne „Werkstatt“ nutzen, um spezielle Angebote für Kinder und Jugendliche zu entwickeln, die es in der Staatsoper vorher nicht gab.
„Der gestiefelte Kater“ von Cesar Cui und „Eisenhans!“ von Ali N. Askin eröffneten die Reihe der Spielplanproduktionen, gefolgt von Ermanno Wolf-Ferraris „Aschenputtel“ in gekürzter Form. Zwei partizipative Projekte folgten, „Schnittstelle Figaro“ mit den Auszubildenden des Friseurhandwerks aus dem benachbarten Oberstufenzentrum Körperpflege und Schostakowitschs Operette „Moskau Tscherjomuschki“ mit einem spielfreudigen Chor von Jugendlichen mit russischem Migrationshintergrund.
Im Dezember des nachfolgenden Jahres stand „Das tapfere Schneiderlein“ des Osttiroler Komponisten Wolfgang Mitterer auf der Bühne der Werkstatt. Besonders hervorzuheben sind hier die im Programmheft benannten Gemeinsamkeiten von Schneider- und Komponistenhandwerk, Parallelen zwischen Schnittmusterbögen und Mitterers strukturalistischer Partitur. Ein Jahr später erwies sich Georges Aperghis’ sehr frei adaptierte Märchenhandlung des „Rotkäppchen“ als eine rundum gelungene Produktion.
Mit „Moon Calling“ im Mai 2015 konnten Jugendklub und Jugendchor einen klaren Sieg für sich verbuchen. Ging es doch um keine zu adaptierende Spielvorlage, sondern um eine freie Schöpfung der Jugendlichen zum Thema Träumen: vom Mond beschienene Wunsch- und Albträume. Sicherlich war auch bei dieser neunmonatigen Probenarbeit der Weg das Ziel. Doch für Theaterleute (auch für Angehende) bedeutet der Premierenabend die eigentliche Zielgerade, und diese konnten die jungen Enthusiasten, heftig beklatscht und am Ende mit Blumen überladen, erfolgreich überschreiten. Eine weitere Premiere der ausnahmslos Berliner Erstaufführungen galt im April 2016 Stephen Olivers Oper „Mario und der Zauberer“, basierend auf Thomas Manns Novelle.
Die jüngste Produktion der Staatsoper (nun in der „Neuen Werkstatt“ am angestammten Spielort Unter den Linden) jenseits der klassischen Weihnachtsmärchenopern ist „Der unglaubliche Spotz“ – ein modernes Märchen ohne teleologische Ausrichtung. Wenn auch ohne den Einsatz von Jugendlichen in der Aufführung, erfüllt die mit einfachen Mitteln erzeugte Musik von Mike Svoboda in dieser Oper über Oper auch ihren edukatorischen Zweck.
Der neue Intendant Matthias Schulz will die Kinder- und Jugendarbeit weiter pflegen. Nicht neu ist es, dass die „ Junge Staatsoper“ Kinder durch Probenbesuche und Workshops an den Opernbetrieb heranführt. Unter Schulz sollen die Kinder stärker am Leben der Staatsoper Unter den Linden partizipieren und selbst zu einem Teil des Programms werden, indem sie „mit großen Künstlern“ musizieren und „so über das Alltägliche hinaus“ wachsen. In enger Kooperation mit den bezirklichen Musikschulen ist er dabei, ein Opernkinderorchester zu gründen, „das große Engagement der Musikschulen um eine internationale Plattform [zu] ergänzen und sehr jungen Musikern eine frühe Partizipation in einem professionellen Opernbetrieb [zu] ermöglichen“. In einem Vorspiel im Frühjahr 2018 sollen die kindlichen Bewerber ein Stück ihrer Wahl präsentieren; die Arbeit des Orchesters soll im Herbst 2018 starten.
Diese zielstrebig geplante Unterstützung der individuellen Entwicklung musikalisch Begabter hätte eine treffliche Ergänzung zu Rainer O. Brinkmanns theaterpädagogischen Zielen sein können.
Peter P. Pachl |