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Anita Berber – Ein getanztes Leben

Lothar Fischer, Anita Berber. Ein getanztes Leben, 2014, 200 Seiten, 120 Abbildungen, Klappenbroschur, 22,95 Euro, ISBN 978-3-930388-85-1

„Mehr als 85 Jahre nach ihrem Tod erregt diese Frau immer noch viele Gemüter. Anita Berber war mehr als nur eine zeittypische Figur. Sie war eine Rebellin, die den Mut hatte, Tänze nach der Musik von Beethoven, Chopin, Liszt und Brahms mit einer seriösen Choreografie in der Unterwelt des Tanzes aufzuführen“, konstatiert Lothar Fischer einleitend.

Als ausgewiesener Kenner legt der Kunsthistoriker in seiner dritten Publikation zu Anita Berber (1899, Leipzig – 1928, Berlin) in zwölf Kapiteln den Fokus auf das tänzerische Leben der schillernden Berliner Nachtklub-Ikone und schöpft dabei sowohl aus dem exquisiten Material seines eigenen Archivs als auch aus den Dokumenten vielfältiger Partner und Zeitzeugen.

In „Wurzeln und Kindheit“ – gibt der Autor Einblick in die bewegten Lebenswege der Künstler-Eltern und Geschwister und in Anitas enge Beziehung zur Großmutter als Zentrum einer bürgerlichen Familie in Dresden. 1912 zählt sie zu den jungen Teilnehmerinnen der Rhythmusgruppe der Dalcroze Schule Hellerau und ab 1916 erfolgt ihr „Aufstieg in Berlin“. Anita Berber tanzt zunächst in der exotischen Gruppe von Rita Sacchetto und präsentiert sich 1917 in ihrem ersten Solo, Auftritte im Wintergarten, im Apollo-Theater in Wien und in Budapest folgen. Anita posiert für neueste Hut-Kreationen auf Schwarz-Weiß-Postkarten. Nach dem Ende des 1. Weltkriegs schwärmt sie für Leni Riefenstahl. Sie heiratet einen Adligen; nach drei Jahren wird die Ehe 1922 geschieden.

Sebastian Droste, expressionistischer Lyriker, Maler und Tänzer, tritt 1920 erstmals in Berlin auf und beide gehen privat und künstlerisch eine Liaison ein. „Sebastian und der nackte Tanz“ – der drogenabhängige Betrüger inszeniert Berbers Leben und ihre Tanzduette. Als Skandal-Paar erobern beide mit demons-trativer Nacktheit die geheimen Lasterhöhlen und Kleinkunst-Bühnen. Anita Berber, weiß geschminkt mit rotem Kussmund und rotblondem Kurzhaar, inszeniert sich und ihren schlanken Körper auf der Bühne und im Fotostudio. Besonders der „befreite“ Körper von Anita Berber wird als sinnliches Objekt der Begierde in Kunst-Fotografien von Dora Kallmus, von Porzellan-Figuren bis zu Zigaretten-Bildchen begehrtes Sammlerobjekt. Drogen- und Alkoholexzesse, lesbische Affären bringen Anita Berber perfekte Publicity. 1924 heiratet sie den 24-jährigen amerikanischen Tänzer Henri C. Hofmann; beide touren und werden zum verfemten Tanzpaar der High Society in Europa. Aufschlussreich sind Zitate aus der Akte „Nacktkultur und Nackttänze“, Berliner Polizeipräsidium, 1926.

Lothar Fischer lenkt im Kapitel „Filme und Bühne“ den Blick auf Berbers umfängliches Film-Tanzschaffen beginnend mit „Dreimädlerhaus“ (1918), in dem sie die Tänzerin Carlotta Grisi verkörpert, bis zu Fritz Langs „Dr. Mabuse, der Spieler“ (1921/22).
Berbers „Moderne Tänze“ sind „Tänze des Grauens, des Lasters und der Exstase“ – makellos nackt lockt sie als „Salome“, im engen Mieder mit freien Brüsten tanzt sie „Kokain“ (1922) –, deren Intentionen die Tanzkonzeption Sebastian Drostes zusammen mit aussagekräftigen Zitaten aus der Studie „Anita Berberová“ (1930) des tschechischen Choreografen und Autors Joe Jencík auf singuläre Weise zur Anschauung bringt. Anita Berbers künstlerische Präsenz und ihr Spiel mit sexueller Grenzüberschreitung spaltete Publikum wie Kritiker.

Fischers opulente Biographie macht den Zeitgeist hemmungsloser Lebensgier, in dem Anita Berber sich tanzend und spielend auslebte, detailreich sichtbar. Sein Buch, edel in Layout und Druck, ist eine faszinierende Einladung, den Mythos Anita Berber im Kontext der Inflationszeit mit überraschenden Analogien zum Heute zu ergründen.

Karin Schmidt-Feister

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