Der Fussball und die Frauen
»Roxy und ihr Wunderteam« in Dortmund
Kaum hatte Paul Abraham in den 1920er-Jahren seine ersten Operetten geschrieben, war er schon ein gefeierter Komponist, den es dann schnell aus seiner ungarischen Heimat in die Operetten-Metropole Berlin zog. Nach „Viktoria und ihr Husar“ und „Die Blume von Hawaii“ kamen weitere Erfolgsstücke auf die Bühnen, doch Abrahams Karriere endete jäh, als die braunen Berserker die Macht an sich gerissen hatten und derlei Musik verboten wurde.
Das »Wunderteam« von Dortmund. Foto: Thomas M. Jauk
Auch „Roxy und ihr Wunderteam“, 1937 im Theater an der Wien uraufgeführt, wurde Opfer der neuen politischen Lage und konnte nicht lange überleben. Das Theater Dortmund zeigt nun eine von Henning Hagedorn und Matthias Grimminger geschaffene bühnenpraktische Rekonstruktion der Musik in der Regie von Thomas Enzinger.
Hübsche junge Frauen sollen der ungarischen Nationalelf die Köpfe verdrehen und ihre Leistungen auf dem Rasen noch schlechter machen als sie ohnehin schon sind. So jedenfalls stellt Aranka von Tötössy es sich vor – und dies allein aus Rache an ihrem untreuen Verlobten Baron Szatmary, dem Manager der Kicker, die gerade haushoch gegen Schottland verloren haben. Szatmary verordnet seiner heruntergekommenen Mannschaft deshalb ein Trainingslager im heimatlichen Ungarn: keine Frauen, kein Alkohol – nur fit machen für die nächsten Spiele! Während er selbst zu seinem nächsten Techtelmechtel nach Venedig zu reisen gedenkt und den Mannschaftskapitän Gjurka schnell mal zum Cheftrainer macht. Doch Aranka und ihre attraktiven Pensionatsschülerinnen haben ihr Ziel schnell erreicht, an hartes Training ist nicht zu denken.
Hinzu kommt nun noch die titelgebende Roxy: ein Mündel des bis über alle Ohren geizigen Unternehmers Sam Cheswick (halt ein Schotte!), der Roxy partout mit Bobby verkuppeln will. Am Tag der Hochzeit zieht Roxy die Reißleine, flieht vor dem Ja-Wort, versteckt sich im Hotelzimmer des Fußball-Managers. Eine komplizierte Beziehungsgeschichte beginnt sich zu entwickeln, auch die zwischen Roxy und Gjurka, dem Trainer, der aber gar nichts von ihr wissen will. Erzählt wird sie im ersten Teil der Dortmunder Inszenierung etwas behäbig. Da ist ganz viel Text und vergleichsweise wenig Musik. Und da wird viel gewitzelt: mal etwas platt, mal durchaus geistreich. Aber etliche Details ziehen die Handlung denn doch arg in die Länge, etwa die Szene mit einem österreichischen Zollbeamten, der seine Aufgabe sehr genau nimmt.
In der zweiten Halbzeit nimmt Paul Abrahams Operette deutlich an Fahrt auf, der Abstand der Musiknummern verkürzt sich und die Geschichte wird immer quirliger, verrückter, unmöglicher – bis zu dem Punkt, an dem sich alle Protagonisten nach und nach einander begegnen. Das öffnet so manchen die Augen. Vor allem entflammt Gjurkas Liebe zu Roxy, die so lange vergeblich um ihn gekämpft hat. Schade für Bobby, Roxys (immer noch) Verlobten, der sich ein zweites Mal um sie betrogen sehen muss und heult wie ein Schlosshund.
Fritz Steinbacher macht das herrlich übertrieben und legt dabei eine unglaubliche Bühnenpräsenz vor. Frank Voß ist der Mannschafts-Manager Baron Szatmary, ein herrischer Typ mit dicker Zi-garre und kommandierender Schnauze, aber machtlos gegen Johanna Schoppa, die in ihrer Rolle als Aranka von Tötössy voll und ganz überzeugend aufgeht. Emily Newton ist Roxy, um die sich alles dreht und die letztendlich dafür sorgt, dass die soeben noch am Boden liegende ungarische Elf einen echten Motivationsschub bekommt. Hannes Brock, ein Urgestein im Dortmunder Opernensemble, schlüpft in die Rolle des sparsamen Schotten Sam Cheswick – und bekommt ganz zum Schluss noch ein eigenes maßgeschneidertes Couplet: Erst nimmt er die schwarze Haushalts-Null der Merkel-Regierung auf‘s Korn, kommentiert Elbphilharmonie und Berlins neuen Geister-Flughafen, um sich zuletzt über Dortmunder Lokalpolitik und natürlich die Borussen auszulassen, was beim Premierenpublikum natürlich bestens ankommt. Dies sind aber auch die einzigen Anklänge an das Hier und Jetzt.
Regisseur Thomas Enzinger, Ausstatter Toto und Choreograf Ramesh Nair entwickeln immer wieder hinreißende Bilder, zeigen fantastische Kostüme, lassen temporeiche Bewegung entstehen, auch skurrile Situationen, optisch ganz klar angesiedelt in der Entstehungszeit der Operette mit einer Musik, die Paul Abraham als Meister der unterschiedlichsten Stile ausweist. Der konnte ganz offensichtlich so ziemlich alles. Die von Philipp Armbruster dirigierten Dortmunder Philharmoniker aber auch. Und die von Granville Walkers ganz ausgezeichnet einstudierten Chöre singen prächtig und bewegen sich virtuos auf der Bühne.
Christoph Schulte im Walde |