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Lebens-, Tanz- und Zeitgeschichte

Ingeborg Schiffner
Volkmar Draeger: Durch, durch, durch! Ingeborg Schiffner: Tänzerin, Pädagogin, Choreografin, Autumnus Verlag 2014, ISBN 978-3-944382-06-7

Tanzgeschichte tradiert sich im kenntnisreichen Schreiben und Sprechen über Tanz. Tanz-Geschichten, wie sie der angesehene Tanz-Kritiker Volkmar Draeger über die Tänzerin, Pädagogin und Choreografin Ingeborg Schiffner höchst anschaulich und informativ zu erzählen vermag, lassen auf 240 Seiten viele Aspekte der Künstler- und Zeitgeschichte als Tanzgeschichte in vier politischen Systemen lebendig werden. Das Covermotiv zeigt Ingeborg Schiffner 1975 umringt von jungen Mädchen beim Unterricht in der Musikschule Berlin-Mitte in der Gipsstraße. 1963 hat die 38-Jährige ihre Berufung zur Abteilungsleiterin/Tanz erhalten; bis zur Pensionierung 1984 wirkte sie als eine begnadete Pädagogin an der „Kaderschmiede‘“ für die drei Staatlichen Ballettschulen der DDR, „der man achtungsvoll nachsagte, sie bringe jeden zum Tanzen“. Einige Eleven haben den Tanz später selbst zum Beruf gemacht.

Als 16-Jährige geht sie von Zittau an die Eduardowa-Schule nach Berlin-Charlottenburg, bekommt im gleichen Jahr ein Stipendium an der Wigman-Schule in Dresden und absolviert dort 1940 erfolgreich die Tänzerprüfung, schnuppert Theaterpraxis in Reichenberg. Im Juli 1945 tanzt und unterrichtet sie am wiedereröffneten Stadttheater Zittau, wechselt im April 1946 zur von Henn Haas begründeten ersten deutschen Bühne für Tanzdramatik „Theater des Tanzes“ Weimar/Erfurt, tanzt durch Nachkriegs-Thüringen (teils mit eigenen Kammertänzen, an Kurt Jooss und Mary Wigman orientiert), erhält 1949 einen Vertrag für Jean Weidts „Dramatisches Ballett“ der Volksbühne Berlin. Ab 1952 formt sie das Ballett beim „Erich-Weinert-Ensemble“ der Nationalen Volksarmee der DDR, leitet es bis 1959, führt es zu großer Anerkennung und wird mit zahlreichen Staatspreisen geehrt.

Ingeborg Schiffner verfügt von Jugend an über einen „praktischen Lebenssinn“ – der Imperativ des Buchtitels bringt diesen tanz- und lebenstauglichen Grundsatz der Schiffner zum Ausdruck. Volkmar Draeger gelingt es, Lebens-, Tanz- und Zeitgeschichte spannend in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken, so dass aus der Rückschau vor allem ein eindrucksvolles Bild der zahllosen kulturellen Aktivitäten im Kinder- und Jugend-Amateurtanz der DDR (Arbeiterfestspiele, die Tanzfeste in Rudolstadt, Werkstatt Showtanz, Tanzkonferenzen) lebendig ins Heute gerückt werden. Im Fokus auch Ingeborg Schiffners intensive Mitarbeit im allgemeinen System „Spezialschule für Leiter des künstlerischen Volksschaffens“ seit 1964.

Detailreich beschreibt Draeger aus eigener Tänzererfahrung die Entwicklung des „Studio-Ballett Berlin“ (seit 1976 eng verbunden mit den künstlerischen Aktivitäten im „Palast der Republik“) zu einer führenden Amateurgruppe des Landes ab 1968 bis zum Zerfall 1990. Auch hier steht Ingeborg Schiffner für langen Atem und künstlerische Kreativität. Draegers Publikation spricht mit großem Sachverstand und Empathie von Schiffners engagiertem Leben durch vier Gesellschaftssysteme. Das Buch ist ein Lebensbericht im genau kommentierten Kontext des Zeitgeschehens, erhellend für Weggefährten wie für Nachgeborene.

Karin Schmidt-Feister

 

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