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Kontrapunkt,
der Witze reißt
Hans Krása »Verlobung im Traum« in Karlsruhe
Von Isabel Herzfeld
Diese Oper ist ein Kleinod, hinreißend durch ihren Witz, berührend durch die Gefühlstiefe, die die Komödie nie zur Klamotte abgleiten lässt. Hans Krása schrieb „Verlobung im Traum“ in Prag, wo sie 1933 im Deutschen Nationaltheater erfolgreich uraufgeführt wurde. Sie teilte das Schicksal ihres Schöpfers, der 1942 nach Theresienstadt deportiert, zwei Jahre später in Auschwitz ermordet wurde – sie geriet in Vergessenheit. Lediglich 1994 gab es den Versuch einer Wiederbelebung in Prag. So gebührt dem Badischen Staatstheater das Verdienst einer Art „deutschen Erstaufführung“, die zur Spielzeiteröffnung, auf den Tag genau zum 70. Todestag des Komponisten, noch besonders hervortrat – ein nachahmenswerter Umgang mit einem völlig unbekannten Stück, seiner Bedeutung und seiner besonderen Rezeptionsgeschichte angemessen, auf den viele Werke von NS-verfolgten Komponisten noch warten müssen.
Hatice Zeliha Kökcek als Sofia Petrowna und Jaco Venter als Fürst sowie Statisterie. Foto: Markus Kaesler
Auch Ingo Kerkhofs Regie ist hier vom Feinsten: Sie folgt ganz dem quirligen Gestus von Krásas Musik, kann ihrem Montageprinzip immer wieder verblüffend präzise entsprechen. Das Libretto nach Dostojewskis Novelle „Onkelchens Traum“, das der Komponist als „dichterisch und still und doch voll Spannung“ empfand, vertonte er kontrastierend als rasanten Wechsel unterschiedlichster Stile: Scharfe Strawinsky-Rhythmen, der Dreigroschen-Ton Kurt Weills mit dem dazugehörigen Sprechgesang, expressive Kantilenen unter dem Einfluss seines Lehrers Alexander von Zemlinsky, der damit auch quasi ein Gustav-Mahler-Idiom transportiert – dies alles wirkt keineswegs eklektisch, sondern fügt sich organisch zusammen, dient auch immer der genauen Charakteristik von Personen und Situationen. „Ein Kontrapunkt, der Witze reißt“, bemerkte der Schriftstellerfreund Max Brod zur feinen, fantasievollen Satztechnik.
Die Regie hakt hier ein, indem sie das Geschehen aus einer russischen Provinzstadt zur Mitte des 19. Jahrhunderts in die „roaring twenties“ verlegt, es revuehaft auflädt. Das tänzerische Element von Krásas Musik können Revuegirls in der vitalen und gut gelaunten Choreografie von Darie Cardyn nun bruchlos umsetzen. Sie umgarnen einen greisen Fürsten, der in einem gottverlassenen Nest voller Klatschbasen und Möchtegern-Aufsteiger gestrandet ist. Flugs wird er von einer ehrgeizigen Mutter als Heiratskandidat für ihre junge schöne Tochter Sina ausgemacht. Natürlich liebt sie einen anderen, den todkranken revolutionären Denker Fedja, der niemals auftaucht. Intrigen zuhauf sind die Folge, eine Verlobung wird hinterlistig eingefädelt, die der eifersüchtige Fürsten-Neffe Paul seinem „Onkelchen“ als „nur geträumt“ wieder ausredet. Ein Spiel mit Illusionen, hintertriebenen und gescheiterten Hoffnungen, das amüsant vorbeifliegt, zum Lachen reizt, das letztlich doch im Halse stecken bleibt.
Ein Archivar (Armin Kolarczyk), hier zum Theaterdirektor mutiert, lässt die ganze Gesellschaft in einem Leuchtrahmen von 80 Glühbirnen (Bühne: Dirk Becker) als seine Puppen tanzen. Das hat ein wenig von Brechts epischem Theater und hebt doch niemals den Zeigefinger. Die aufgetakelte Mutter (Dana Beth Miller), der tolpatschig-edle Fürst (Jaco Venter), der schmierige, mehr schneidende als schmelzende Tenortöne bietende Paul (Christian Voigt) und seine Komplizin Nastassja (Katharine Tier), sie alle übertreffen sich gegenseitig an Stimmpracht und unbändiger Spiellust. Die Badische Staatskapelle unter Justin Brown trägt die Sänger mit ebenso feingliedrigem wie akzentuiertem Klang. Ein Augen- und Ohrenschmaus auch der klatschsüchtige Opern-Damenchor (Einstudierung: Ulrich Wagner) in den farbenfrohen Kostümen von Inge Medert. Unter ihnen ist Agnieszka Tomaszewska als Sina wie ein Wesen vom anderen Stern: mit leuchtenden Spitzentönen weit schwingender Kantilenen besingt sie ihre Liebe – doch die Revueplakate „Glaube“, „Liebe“ und „Hoffnung“ fallen einfach in sich zusammen.
Ohne seine Akten hätte es Sina nie gegeben, bemerkt der Archivar zum Schluss. Ein Spiel, ein Werk, das mehr als Erinnerung verdient.
Isabel Herzfeld
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