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Berichte

Stimmungsvolle Fernwirkung – Aggressive Volksmeinung

»Peter Grimes« am Münchner Gärtnerplatz-Theater
Von Wolf-Dieter Peter

Münchens „Komische Oper“ – das Staatstheater am Gärtnerplatz bis Ende 2015 wegen grundlegender Renovierung „auf Tour“ durch fast sämtliche Theaterräume der Stadt – wagte sich mit einem schweren und tragischen Werk auf die große Bühne: mit Benjamin Brittens „Peter Grimes“ ins Prinzregententheater. Wert verlieh dem auch durch zwei Pausen lastend langen Abend zunächst der von Jörn Hinnerk Andresen einstudierte Chor. Er war die sensationslüsterne Zuhörerschaft beim Prozess um den Tod von Grimes’ vorherigem Lehrjungen. Als eng zusammengerückte, steife Gemeinde saß der Chor in dem zum Kirchenraum umgebauten Container – eine der wenigen gelungenen Bühnenwirkungen. Singend wurde marschiert, nach der Kirche getrunken und getänzelt, in der Kaschemme dann auch wild gefeiert. Dabei gelangen vokal die stimmungsvollen Fernwirkungen und kontrastierend die geballt aggressive „Volksmeinung“. Da überzeugte Dirigent Marco Comin mit dramatischen Steigerungen, während Brittens herrliche Zwischenspiele oft noch zu laut und vordergründig klangen und die Bläser detonierten.

Ann-Katrin Naidu als Mrs. (Nabob) Sedley. Foto: Thomas Dashuber

Ann-Katrin Naidu als Mrs. (Nabob) Sedley. Foto: Thomas Dashuber

Dazu kamen szenische Missgriffe, denn das Bemühen um eine „Regie-Handschrift“ hat bei Regisseur Balázs Kovalik leider zu Fixierungen geführt: zu wenig Vertrauen in die tragende Kraft von erstklassiger Musik wie der Benjamin Brittens; deshalb szenische Hinzuerfindungen, damit auf der Bühne immer „action“ herrscht. Prompt werden Nebensächlichkeiten zu detailliert inszenierten Wichtigkeiten; ebenso prompt leidet die Personenregie der Hauptfiguren. Wo immer es geht, wird rüder Sex bis hin zu Sado-Maso vorgeführt; um die Modernität „alter“ Opernstoffe zu beweisen, müssen Video-Einblendungen und ein Kamerateam mit Live-Bildern mitspielen… All das verstärkt auch noch die erneute Zusammenarbeit mit Bühnenbildner Csaba Antal: Wie in beider bisherigen Münchner Inszenierungen gab es abermals Metallgerüste, diesmal als schwenk- und hebbare Gitterbrücken links und rechts am Bühnenportal. Dazu kam im weiten Bühnenraum auch noch ein großer, beweglicher Container-Kasten als Hausfront, enger Kirchenraum und Dorfkaschemme. Aus dem Bühnenhimmel hing an einem Metallkreis ein fahr- und ziehbarer Plastikvorhang, dessen langes Ende auf dem Bühnenboden vielfach hin- und hergetragen wurde – von einem hinzu erfundenen Bewegungschor, der sich gerne in Plastikfolie wickelt, aber auch mal Grimes zusammenschlägt, rumlungert, mit Öl beschmiert auf „geile Party“ macht oder als Fascho-Truppe in Schwarz-Weiß und Sturmhauben zu Grimes‘ Hütte losmarschiert… Aus all dem erwuchs dennoch keine dichte, beklemmende Bühnenfassung des Dramas um den zwischenmenschlich unbeholfenen, einsamen, rauen, gewalttätigen und womöglich homosexuellen oder sogar pädophilen Fischer Grimes. Den aufgrund der musikdramatischen Wucht des Werkes am Ende ausbleibenden Buh-Sturm für seine Szenen sollte Kovalik nicht als Erfolg werten.

Ein wenig vokaler Trost: Ein durchweg gutes Ensemble sang die Honoratioren und szenisch etwas grell charakterisierten Typen des Fischerdorfes. Dem Captain Balstrode von Ashley Holland fehlte etwas baritonale Wucht zur souveränen Bühnenerscheinung. Edith Haller gelang eine warmherzige Lehrerin Ellen, der man die Hoffnung auf ein Leben mit Grimes und die halbmütterliche Sorge um den Jungen in den mal besorgt drängenden, mal emotional blühenden Phrasen abnahm. Zwischen ihnen allen agierte teils ruhelos, teils gehetzt Gerhard Siegels Grimes. Schon mit seiner bulligen Erscheinung bringt er viel für diesen Out-sider mit. Er besaß die tenorale Kraft für die rüden Ausbrüche dieses „Kerls“, nur leider bildeten die ja von Britten herrlich auskomponierten Visionen keine ahnungsvollen Gegenpole und Hoffnung weckenden Andeutungen eines „anderen Grimes“. Zwischen ihnen allen wurde der junge Rafael Schütz als „Boy“ bemitleidenswert herumgestoßen. Und durch ihn wurde deutlich, was Regisseur Kovalik mit all seinen grellen Effekthaschereien dem Abend gründlich ausgetrieben hatte: alles Mitleiden an dem von Britten fein gezeichneten Elend der Unterprivilegierten – parallel zu Wozzecks „Wir arme Leut“.

Wolf-Dieter Peter

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