Zur Startseite


 

 
Zur Startseite von Oper & Tanz
Aktuelles Heft
Archiv & Suche
Stellenmarkt
Oper & Tanz abonnieren
Ihr Kontakt zu Oper und Tanz
Kontakt aufnehmen
Impressum
Datenschutzerklärung

Website der VdO


Portrait

Klänge wie Lebewesen

Porträt des Komponisten Georg Friedrich Haas
Von Jelena Rothermel

Georg Friedrich Haas kann Glück erzeugen. Und er kann es teilen, durch Klänge. „Es gibt doch kaum etwas Schöneres im Leben, als wenn man Emotionen hat und dadurch, dass man sie formuliert, sie mit jemandem teilen kann. Und dann wird man auch noch dafür bezahlt“, sagte er in einem Gespräch mit Michael Kunkel. Emotionen sind für die Arbeit des 1953 in Graz geborenen Komponisten unverzichtbar. Denn Haas verlässt sich beim Komponieren auf Glückszustände, nicht auf Kompositionsprinzipien. Fühlt sich ein Klang, eine Passage „richtig“ an, dann bleibt sie. Diese Vorstellung des Komponierens wirkt anachronistisch in Zeiten, in denen Künstler Emotionen eher misstrauen. Sie wurden schließlich oft missbraucht. Doch Haas, der sich der Problematik wohl bewusst ist, geht unvoreingenommen mit dem Gefühl um: „Es macht mich glücklich, es macht andere Leute glücklich, warum soll ich es nicht tun?“

Georg Friedrich Haas. Foto: Substantia Jones, New York, NY, USA

Georg Friedrich Haas. Foto: Substantia Jones, New York, NY, USA

Als Komponist transportiert er Emotionen über Klänge. Klänge sind für Haas wie Lebewesen, sie können sich entfalten und verkümmern, sie können miteinander in Beziehung treten. Wenn es eines gibt, das die Musik des Komponisten prägt, dann ist es sein Denken im Klang. Haas fokussiert sich radikaler als manch anderer auf Reibungen, Verschmelzungen und Schwingungen, die entstehen, wenn mehrere Töne gemeinsam in Beziehung treten. Schon sehr früh überwand er die wohltemperierte Stimmung, in der eine Oktave aus nur zwölf Halbtönen besteht. Viertel-, Achtel- oder Zwölfteltöne bevölkern seine Musik. Mikrotonalität nennt man das, aber Haas verweist immer wieder darauf, dass eigentlich jede Musik, ja jede Lautäußerung, mikrotonal sei: „Wenn Instrumente spielen, ist immer Mikrotonalität da – sie wird immer als Ausdrucksmittel verwendet – oft unbewusst.“ Vieles legten Komponisten fest, Instrumentation, Agogik, Dynamik; doch die Intonation überließen sie immer noch den Interpreten, so Haas. Er ist nicht der Erste, der Einzige und vielleicht auch nicht der Eifrigste, der mit solchen Mikrointervallen komponiert, aber einer der wenigen, dessen musikalisches Denken so stark davon geprägt ist. Für die Zuhörer ist Haas’ Musik deshalb zuweilen ein Abenteuer. Keine tonale Skala gibt ihnen Halt, keine rhythmischen Pattern, keine geschlossene Form: mehr Freiheit, aber weniger Sicherheit.

Sechs Opern hat Georg Friedrich Haas bisher geschrieben, und in jeder begegnet der Hörer einer ganz eigenen Klangwelt. Immer wieder neu lotet er die unendlichen Möglichkeiten des Zusammenklangs aus, erst bei Haas’ Musik wird einem diese Unendlichkeit bewusst.

Librettist und Komponist in Personalunion

Haas‘ Musik erklang lange abseits der großen Bühne. Seine erste Oper – „Adolf Wölfli“ – wurde 1981 in Graz uraufgeführt. Obwohl sicher ein „Jugendwerk“, zeigen sich hier schon einige Themen, die auch in den späteren Opern noch auftreten werden. „Grundgedanke war, die Isolation und das In-Sich-Eingesperrt-Sein der historischen Person Adolf Wölfli auf der Bühne darzustellen“, schrieb Haas zur Werkeinführung. Wölfli wurde 1890 wegen versuchter Vergewaltigung ins Zuchthaus und später in die Nervenheilanstalt Waldau gebracht, wo er zeichnete, malte und komponierte. Haas, Librettist und Komponist in Personalunion, übernahm die für Wölflis Gemälde so bedeutende Collagetechnik und übertrug sie auf seine Textkompilation und Vertonung. Eine Handlung gibt es nicht, die Oper spiegelt die Innenwelt des Gefangenen wider. Besonders interessant ist die Lichtgestaltung, nicht nur als dramatisches Element, sondern auch in ihrer Wirkung auf die Musik: Haas lässt das Licht vollständig erlöschen, die Musiker müssen auswendig spielen. Damit dies gelingt, wird die Musik immer simpler. Die Statik der Dunkelheit und die Statik der musikalischen Faktur gleichen sich an.

Der Künstler als Außenseiter, Kunst und Gesellschaft, Religion und Lichtgestaltung – diese Motive treiben Haas auch in „Nacht“ um, seiner zweiten Oper, die ihn 1998 international bekannt machte. Haas hat die Oper 1996 aus seiner eigenen Betroffenheit über den Bosnienkrieg geschrieben. Er besingt den Utopieverlust mit Texten aus Hölderlins „Hyperion“. Wieder eine Künstleroper, die das Verhältnis des Künstlers – Hölderlins aber auch Haas’ – zur Wirklichkeit und zur Gesellschaft behandelt. Und Haas bringt sich selbst ein, „Egotrips“ nannte er einmal seine Werke. Er stelle sich in seiner Musik bloß, aber er selbst und auch der Anlass der Komposition soll hinter dieser verblassen. Später wird Haas dennoch über „Nacht“ sagen: „Das Stück ist musikalisch richtig, ideologisch ist es gescheitert.“ Utopien, auch deren Verlust, darf man nicht so schön besingen. Mit „Nacht“ vollzieht Haas einen folgenreichen Bruch. Er vermeidet Kompositionsprinzipien wie die der Collage, die „Adolf Wölfli“ kennzeichnen, und geht beim Komponieren nur noch von „rauschhaften Zuständen“ aus, der „Liebe zu den Klängen, die sich wie Lebewesen in Raum und Zeit entfalten“. Tatsächlich klingt die Musik organischer, Klänge blühen auf, verkümmern; sie flirren und flattern.

„Bluthaus“ bei den Wiener Festwochen 2014. Foto: Ruth Walz

„Bluthaus“ bei den Wiener Festwochen 2014. Foto: Ruth Walz

„Die schöne Wunde“ – 2003 uraufgeführt – ist Haas‘ letzte Oper, deren Libretto er selbst schreibt beziehungsweise kompiliert. Er webt ein Netz aus Handlungssträngen: Edgar Allan Poes „The Pit and the Pendulum“ verzahnt er mit Franz Kafkas „Ein Landarzt“. Den seltsam isoliert agierenden Protagonisten der tristen Szenerien setzt Haas „Tableaus vivants“ entgegen: statische Episoden von Liebe, Sexualität und Hoffnung. „Das Ich auf der Suche nach Sinn, auf der Suche nach einer zweiten Person“ sei das Thema der Oper, so Haas. In dem zitierten Duett von „Romeo und Julia“ erscheint diese zweite Person, ein „Du“; doch auch hier – wie in „Nacht“ – ist das „Du“ letztendlich nur ein Fantasma. Beeindruckend ist Haas’ musikalische Darstellung des Pendels. Die Musiker wandern so durch den Raum, dass der Zuschauer den Eindruck hat, ein Pendel schwinge über seinem Kopf hin und her.

Das Individuum in der Gesellschaft

In „Melancholia“ arbeitet Haas zum ersten Mal mit einem Librettisten zusammen: Jon Fosse arbeitete für Haas seinen gleichnamigen Roman über den Maler Lars Hertervig zu einem Libretto um. Wieder begegnet uns ein Künstler am Rande des Nervenzusammenbruchs: Lars ist Student an der Kunstakademie Düsseldorf und in die Tochter seines Vermieters verliebt. Der schmeißt ihn deshalb aus dem Haus, und Lars muss Trost bei seinen Kommilitonen in der Kneipe suchen. Doch die verhöhnen ihn, er gehört nicht dazu. Seine einzige Hoffnung ist Helene, seine Liebe, doch um einer abermaligen Begegnung zuvorzukommen, lässt sein Vermieter Lars von der Polizei abführen. Wie es weitergeht, weiß nur der, der Roman und Biografie der historischen Person kennt: Hertervig landet in der Irrenanstalt, in der er Bilder malt. Zwar war die Arbeit ein Auftragswerk, doch scheint auch hier Haas’ Faszination an der Verbindung des Individuums mit der Gesellschaft durch. Doch was scheinbar hoffnungslos endet, deutet Haas musikalisch als einen Neuanfang: Ganz am Ende, wenn Hertervig abgeführt wird, ertönt ein Vierteltoncluster, ein homogener Klang im Chor, ein offener Klang, eine Tür in eine andere Welt. Hertervig, der nie mit der Außenwelt kommunizierte, wird dies durch seine Bilder tun können.

„Bluthaus“, die erste Oper von Haas und dem Dramatiker Händl Klaus, wurde von der Realität eingeholt. Das Inzest-Drama, das beide anhand einer Hausbesichtigung erzählen, platzt mitten in die Diskussionen um Natascha Kampusch, die nach achtjähriger Geiselhaft ihrem Peiniger entkommen konnte. Haas und Klaus betonten, dass die Oper schon lange vor Bekanntwerden des Falls fertiggestellt wurde, dennoch scheinen Kunstwerk und Realität nun untrennbar verbunden.

Die Sprache von Klaus ist feingliedrig, mehrere Personen müssen sich einen Satz teilen. Metaphern sind seine Sache nicht, er schreibt fast analytisch klar. Das lässt Raum für die Musik, die die Lücken mit Emotionen füllt. Die Zusammenarbeit von Haas und Klaus erscheint perfekt. Cluster, Glissandi, Mikrotöne beherrschen die Partitur, bis erstmals das Grauen angesprochen wird. Nadja will das Haus ihrer Eltern verkaufen, zum Besichtigungstermin kommen Makler und Interessenten, aber auch die Nachbarn. Außerdem ertönen die Stimmen der toten Eltern. „Was hast du beim Vater gemacht?“, fragt die Mutter und dazu erklingt der erste Oberton-Akkord, weich und harmonisch. Danach singen sie und Nadja in Terzen, simpler und tonaler geht es nicht. Je grauenvoller das Drama, desto süffiger die Musik.

Mit ähnlichen Kontrasten arbeitet der Komponist auch in seiner letzten Oper „Thomas“, deren Libretto wieder von Händl Klaus stammt. „Thomas“ thematisiert den Tod eines geliebten Menschen aus der Sicht der Überlebenden. Wieder öffnet die nüchterne Sprache des Textes der Musik Räume. Der Klangapparat besteht hier nur aus perkussiven Instrumenten: Schlagwerk, Cembalo, Harfe, Zither, Mandoline, Gitarre und Akkordeon erfüllen den Raum mit einem seltsam nervösen Flirren. Fragil und durchscheinend erklingen mikrotonale Einsprengsel. Und Haas geht noch einen Schritt weiter: Dem Zittern und Flattern von Harfe und Mandoline entwächst die Melodie der Gluck-Arie „Che farò senza Euridice?“, sie verselbständigt sich, mikrotonale Reibungen reichern sie an, bis sie wieder im zarten Gewebe der Glissandi verschwindet. Eine Erinnerung an die Liebe, die langsam vergeht.

In seinen Opern – gerade in den neuesten Produktionen – schafft Haas eine ganz persönliche Verbindung zwischen Elementen, die lange Zeit unversöhnlich zu sein schienen. Cluster, Mikrotonalität, Geräuschkulissen; das gesamte Klangrepertoire der zeitgenössischen Komponisten erzeugt Gefühle der ganz großen Oper – nur eben im Kleinen, in den kleinen Reibungen der Achteltöne.

Jelena Rothermel

 

 

startseite aktuelle ausgabe archiv/suche abo-service kontakt zurück top

© by Oper & Tanz 2000 ff. webgestaltung: ConBrio Verlagsgesellschaft & Martin Hufner