Nachvollziehbar, instruktiv, berührend

Erwarten Sie Wunder

Kent Nagano und Inge Kloepfer: „Erwarten Sie Wunder! Expect the Unexpected“. Berlin Verlag. 318 Seiten, 22,90 Euro

Kent Nagano schreibt über das Wunder Musik. Wie provokant muss Musik sein, um wirklich groß zu werden? Eine von vielen Fragen, die ganz am Rande amüsant gestellt werden in dieser Autobiographie. Es ist eine der bemerkenswertesten Musikerautobiographien der letzten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Vor allem, weil das Buch gar nicht in erster Linie Biographie sein will. Kent Nagano reflektiert anhand seines eigenen Lebenslaufes die Rolle, die klassische Musik in der Gesellschaft spielen kann und sollte. Dabei wählt der Dirigent, der in seiner amerikanischen Heimat neben Musik auch Soziologie studiert hat, eine faszinierende Erzählform, eine intelligente Verknüpfung von persönlichen Erfahrungen, Verallgemeinerungen, von Geschichten über Musik und solchen über das Leben, die keinen besseren Titel haben könnte als diesen: „Erwarten Sie Wunder“.

Wenn Nagano von seinen eigenen musikalischen Erfahrungen erzählt, von seinen Begegnungen mit bestimmten Werken und Komponisten, so ist das oft berührend, noch häufiger nachvollziehbar, aber noch viel häufiger instruktiver als musikalische Analyse jemals sein kann. Das betrifft die Erfahrungen des Interpreten ebenso wie jene des musiklernenden Kindes. Nagano stilisiert sich nicht in seiner Einzigartigkeit – weder als Wunderkind noch als einsames Genie, auch nicht als Kämpfer, der es den Widernissen der Welt zum Trotz doch noch geschafft hat.

Ein Plädoyer für die Bedeutung von Musik in der Gesellschaft und gleichzeitig eines für eine gesellschaftlich bedeutsame Musik.

Tatjana Böhme-Mehner