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Opernführer hoch im Kurs

Neue Formate bei Bärenreiter, Henschel und C.H. Beck · Von Juan Martin Koch

In vielen häuslichen Bibliotheken dürfte ein Opernführer das einzige musikalische Fachbuch sein. Vor dem Theaterbesuch kurz zurate gezogen, informiert er über mitunter verschlungene Handlungsabläufe, die sich trotz gängiger Übertitelungsanlagen bei einer ersten Begegnung nicht unmittelbar erschließen, oder ruft bereits Bekanntes noch einmal in Erinnerung. Fortgeschrittenen Opernfreunden ist das freilich zu wenig, ihnen steht der Sinn nach eingehenderer Vor- und auch Nachbereitung, zumal viele Programmhefte mit ihren assoziativen, im besten Fall den jeweiligen Regieansatz beleuchtenden Textcollagen diese Funktion nicht so recht ausfüllen.

Vorbildliches leistete auf diesem Terrain bis zu deren bedauernswerter Einstellung die Serie „rororo Opernbücher“. Damit kann und will sich die neue Serie „Opernführer kompakt“, mit deren ersten vier Bänden der Bärenreiter-Verlag eine Kooperation mit dem Henschel Verlag einläutet, schon vom Umfang her nicht messen. Kernstück der jeweils sehr ähnlich angelegten Werkporträts ist die Darstellung der „musikalisch-dramatischen Gestaltung“. Mit einigen Notenbeispielen illustriert, wird die zuvor als Inhaltsangabe beschriebene Handlung in Beziehung zur musikalischen Gestaltung im Einzelnen gesetzt. Dies kann von eher allgemeinen Beschreibungen musikalischer Stimmungen bis hin zu Detailbeobachtungen reichen, ohne freilich in wissenschaftliche Analyse abzudriften.

Dem Anspruch, diesen zentralen Abschnitt mit den biografischen und werkgeschichtlichen Abschnitten zu einer eigenständigen Sicht auf das Stück zu verbinden, stellen sich die vier Autoren auf jeweils unterschiedliche Weise, was natürlich auch mit den Werken selbst zu tun hat. Schwingt bei Detlef Gieses „Aida“-Kommentaren und Olaf Matthias Roths „Bohème“-Betrachtung immer ein Unterton der Ehrenrettung für ein in der künstlerischen Substanz tendenziell unterbewertetes Werk mit, so versuchen Clemens Prokop („Don Giovanni“) und Robert Maschka („Fidelio“) zentrale Thesen zu entwickeln. Prokop – sicher der originellste und unterhaltsamste der vier Autoren – bleibt dabei allerdings trotz manch erfrischender Beobachtung eher vage. Den abschließenden Gang durch die Rezeptions- und Inszenierungsgeschichte kann Maschka hingegen dazu nutzen, seine diskussionswürdige These zu untermauern, der zufolge die transzendierende Kraft der Beethovenschen Musik einer Befreiung aus der „Sackgasse einer überpolitisierten Werkdeutung“ bedarf, um ihre Wirkung entfalten zu können.

Allen vier Bänden gemeinsam ist das textauflockernde Layout mit eingeschobenen Informationskästen (darunter „Steckbriefe“ der handelnden Personen), ohne dass dieses sich allzu sehr aufdrängt, und eine mehrseitige Farbtafel mit gut ausgewählten Abbildungen zu den im Rezeptionsteil diskutierten Aufführungen. Hinweise zur Diskographie und eine Literaturliste runden die einleuchtend konzipierten Bände ab, die nicht zuletzt aufgrund der moderaten Preisgestaltung gute Marktchancen haben dürften. Bei einer Fortsetzung der Reihe mit Werken derselben Komponisten werden jedoch Doppelungen in den recht ausführlichen biografischen Abschnitten schwer zu vermeiden sein.

Das Kunststück, auf etwa gleichem Raum alle Opern Richard Wagners prägnant, kenntnisreich und unterhaltsam vorzustellen, ist Sven Friedrich gelungen. Mit pointierter, mitunter herrlich ironischer Feder führt der Direktor des Bayreuther Wagner-Museums in diesen musikdramatischen Kosmos ein. Der Fokus liegt, ausgehend von der mit einzelnen, gut ausgewählten Brief- und Textzeugnissen gestützten Entstehungs- und Stoffgeschichte, auf einer die Handlung kommentierend ins Zentrum rückenden Darstellung. Die musikalischen Anmerkungen sind eher allgemein gehalten und zielen auf das nicht spezialisierte Publikum.

Der kompakte Zugriff hindert Friedrich nicht daran, zu einigen Themen klar und mit überzeugenden Argumenten Stellung zu beziehen, wenn er beispielsweise Adornos These bezweifelt, der zufolge Beckmesser als Judenkarikatur zu verstehen sei. Treffliche Formulierungen wie etwa zum Vergessenstrank in der „Götterdämmerung“, der „sozusagen die Hydraulik des Unterbewusstseins“ symbolisiere, machen den Band zu einer überaus anregenden Lektüre.

Selbiges lässt sich von Wolfgang Herles’ „Zehn Geschichten von Liebe, Wahnsinn und Tod“ nicht behaupten, auch wenn der Haupttitel mit dem nicht mehr ganz taufrischen Wortspiel vom „Opernverführer“ genau dies zu suggerieren versucht. Der als Moderator der „aspekte“ bekannt gewordene Journalist möchte seinen durchaus sympathischen Enthusiasmus für die zehn ausgewählten Werke mit den Lesern teilen und hofft, so Einsteiger zum Opernbesuch zu animieren. Das dürfte wohl deshalb kaum funktionieren, weil Herles seinen Mischungen aus Inhaltsangaben in bemüht saloppem Tonfall, historischen Einordnungsversuchen und Impressionen von besuchten Aufführungen (Herles outet sich dabei vor allem als Salzburg-Fan) keine Stringenz zu geben vermag. Die glaubhafte Emphase für den Gegenstand wird von einem Plauderton, der versucht, niemanden zu überfordern, konterkariert. Was außerdem Marc-Anthony Turnages harmlose Petitesse „Anna Nicole“ in einer Auswahl von Opern zu suchen hat, die – so Herles – „von enormer Kraft und Tiefe“ seien, bleibt rätselhaft. Verführung liest sich anders.

  • Opernführer kompakt, jeweils 136 Seiten, farbige Abb. und Notenbsp., Henschel/Bärenreiter, Leipzig/Kassel 2012, € 12,95
  • Clemens Prokop: Mozart – Don Giovanni, ISBN 978-3-7618-2246-3
  • Robert Maschka: Beethoven – Fidelio, ISBN 978-3-7618-2204-3
  • Detlef Giese: Verdi – Aida, ISBN 978-3-7618-2226-5
  • Olaf Matthias Roth: Puccini – La Bohème, ISBN 978-3-7618-2247-0
  • Sven Friedrich: Richard Wagners Opern. Ein musikalischer Werkführer, C.H. Beck, München 2012, 128 S., € 8,95, ISBN 978-3-406-63305-8
  • Wolfgang Herles: Opernverführer. Zehn Geschichten von Liebe, Wahnsinn und Tod, Henschel, Leipzig 2012, 160 S., farbige Abb., € 19,90, ISBN 978-3-8948-7719-4

Juan Martin Koch

 

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