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Zwischen Oper und Musiktheater
Die 13. Münchener Biennale · Von Marco Frei
Es ist nicht unproblematisch, goldene Regeln für das Musiktheater aufzustellen. Meistens wird hierzu die europäische Operntradition bemüht, ohne dass andere Kulturen (etwa aus Fernost) berücksichtigt würden – oder die zahlreichen Positionen, die seit dem Zweiten Weltkrieg im Westen kursieren. Jede Oper ist Musiktheater, aber nicht jedes Musiktheater ist eine Oper. Wer beides gleichsetzt, denkt zu kurz und riskiert, die Gattung zu uniformieren und in ein enges Korsett zu pressen. Gegenwärtig überwiegt das betont Nichtnarrative – gerade bei der Münchener Biennale für neues Musiktheater, wie sie seit 1996 durch Peter Ruzicka geprägt wird.
Rebecca Nelsen als Mama Dolorosa im Werk von Eunyoung Kim. Foto: Regine Koerner
Umso erstaunlicher war es, dass diesmal drei zentrale Uraufführungen konträre Positionen einnahmen. Zunächst aber musste man sich durch Sarah Nemtsovs „L’Absence“ mühen, ein typisches Biennale-Werk der vergangenen Jahre: Es passt besser in einen Konzertsaal und basiert auf sperriger Literatur („Das Buch der Fragen“ von Edmond Jabès). Sarah (Tehila Nini Goldstein, Sopran, mit Tänzerin) hat ein KZ der Nazis überlebt. Als Yukel (Assaf Levitin, Bariton) seine einstige Geliebte wiederfindet, trifft er auf eine Traumatisierte: Er hat Sarah verloren. Dieses Handlungsfragment musste man sich selber zusammenreimen. Weder die Inszenierung von Jasmin Solfaghari noch der Erzähler (Bernhard Landauer, Altus) oder der Sprecher (Peter Pruchniewitz) leisteten erste Hilfe. Stattdessen prasselte ein Texthagel um Religion und Identität hernieder. Die Frage, welche Lehre man heute aus der furchtbaren NS-Vergangenheit ziehen muss, blieb unbeantwortet. Monoton changierte die Musik zwischen geräuschafter Klangaktion und Thora-Psalmodieren, was vom Bundesjugendorchester unter Rüdiger Bohn bravourös gestaltet wurde: Das klang wie ein Profi-Ensemble für Neue Musik.
Dagegen präsentierte sich „Mama Dolorosa“ von Eunyoung Kim als kurzweilige Groteske, die schulmeisterhaft linear erzählt wurde. Zu Recht nennt die Koreanerin heute dieses Werk eine Oper und nicht – wie in der Partitur eher vage – Musiktheater. Die Titelfigur (Rebecca Nelsen, Sopran) treibt mehrfach ab, bis sie einen Sohn (stumme Rolle) gebärt – weil Mädchen weniger wert sind, was in der koreanischen Gesellschaft teilweise noch heute so ist. Mit ihrer Schwiegermutter (Daniel Gloger, Altus) zieht sie den Sohn in Seoul auf, er wird inzestuös verhätschelt. Als er von einem Kommissar (Christian Miedl, Bariton) verdächtigt wird, ein Mädchen vergewal-
tigt und umgebracht zu haben, lässt sich die Mutter vom Kommissar vergewaltigen – um ihren Sohn zu schützen. Der besudelt sich unterdessen mit viel Theaterblut.
Immerhin: Weil die Musik auf Fernost-Klänge verzichtet, wurde der koreanische Hintergrund auf eine universellere Ebene gehievt. Hörbar wurde eine Gewalt, die neue Gewalt gebärt: Das Matriarchat, in dem der Sohn aufwächst, übt die gleiche hypersexualisierte Gewalt aus wie das Patriarchat in Gestalt des Kommissars. Soweit dachte Librettistin und Regisseurin Yona Kim nicht: Zu holzschnittartig und simpel bleibt die Handlung. Die Komponistin hat musiktheatralisches Talent, sollte sich künftig aber bessere Stoffe suchen – zumal die Hölszky-Schülerin eine glückliche Hand für das Absurde hat. Das wurde von dem kooperierenden Staatstheater Braunschweig unter Sebastian Beckedorf packend verdeutlicht.
Höhepunkt der diesjährigen Biennale war jedoch „Wasser“ von Arnulf Herrmann, eine Kooperation mit der Oper Frankfurt und dem Ensemble Modern (Leitung: Hartmut Keil, Regie: Florentine Klepper). In dreizehn Szenen bewegt sich das Werk des Heidelbergers zwischen dem Narrativen und Nichtnarrativen: Zwar bleibt die erzählbare Geschichte im Hintergrund, sie bildet aber stringente psychische Konstellationen aus.
Immer tiefer drängt das Geschehen in das Innenleben eines Mannes, der Robert heißt (Boris Grappe, Bariton). Im Hotelzimmer erwacht er aus einem Alptraum. Traumatisiert taumelt er ins Foyer, wo er auf eine Abendveranstaltung trifft. Eine Frau namens Katja (Sarah Maria Sun, Sopran) erinnert ihn an seine verstorbene Geliebte. Was Schein und Sein, Wahn und wahr ist, bleibt offen. Nur die Musik selber lässt ahnen, was unausgesprochen bleibt. Sie macht die Psyche des Mannes hörbar.
Neu ist das nicht: Ähnlich verfährt Salvatore Sciarrino in der Oper „Luci mie traditrici“ von 1998. Bei Herrmann steht der eiernde Klang einer dezentriert abgespielten Schallplatte im Zentrum. Er steht für die „verrückte“, verwackelte Wahrnehmung der Realität durch den Traumatisierten. Dieser Klang wird mikrotonal fortgesetzt, für weitere Verfremdungen sorgen Live-Elektronik und Video.
Für seine letzte Biennale 2014 plant Peter Ruzicka fünf, mindestens aber vier Hauptwerke. Wer ihn beerben wird, bleibt vorerst noch offen. Zwar bestätigt Heiner Goebbels auf Nachfrage, dass er angesprochen worden sei; er habe aber abgelehnt. Das Münchner Kulturreferat sagt nichts, möchte aber noch 2012 eine Lösung präsentieren.
Marco Frei
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