Noch etwas richtig zu stellen
Ioan Holender, Ich bin noch nicht fertig. Zsolnay 2010, ISBN 978-3-552-05493-6,
288 Seiten, 19,90 Euro
Hartnäckig begleitete das augenscheinlich untilgbare Vorurteil,
die Wiener Staatsoper sei ein Hort der Reaktion, auch die 19-jährige
Rekord-Amtszeit von Direktor Ioan Holender. Aber an welchem Ort
auf der Welt hält ein normaler Monatsspielplan neben den diversen
deutschen und italienischen Repertoireklassikern zugleich noch
den gesamten „Ring“, Schönbergs „Moses und
Aron“ sowie Reimanns „Medea“ für das Publikum
bereit? Da wäre also noch etwas richtig zu stellen.
„Ich bin noch nicht fertig“ – unter diesem Ausruf des
Theaterdirektors La Roche, der in der Oper „Capriccio“ von
Richard Strauss in komischer Ausführlichkeit seine Verdienste
als Theaterpraktiker glorifiziert, kredenzt Holender nun auf knapp
300 Seiten seine eigenen „Erinnerungen“. Mit diskretem
Nachdruck schildert Holender, wie sich die Staatsoper unter seiner
Leitung zu einem modernen, zeitgeschichtlich wachen Musiktheater
entwickelt hat und wie die Regiearbeiten von Peter Konwitschny,
Robert Carsen oder Barrie Kosky für beträchtlichen Wirbel
unter den berüchtigten Wiener Oper-eiferern sorgten. Dabei
werden auch die letztlich ja in die Verantwortung des Hausherrn
fallenden Misserfolge mit harschen Worten beim Namen genannt, so
zum Beispiel David Pountneys Schiffbruch mit einer „aufgesetzten,
dümmlich-provokativen Inszenierung“ der „Macht
des Schicksals“. Die Verteidigung der Rechte des Theaters,
der Musik und des Gesangs gegenüber den Vermessenheiten des
Regisseurstheaters ist Holender ganz im Sinne seines Vexierbildes
La Roche auch in seinem Buch eine Herzensangelegenheit. Ebenso selbstverständlich wie Holender die eigenen Fehlgriffe
reflektiert, nimmt er sich das Recht, die Arbeit seiner Vorgänger
kritisch unter die Lupe zu nehmen oder mit dem geschäftigen
Fes-tivalbetrieb in Bregenz, Salzburg oder Mörbisch abzurechnen.
Man muss Holender nicht in jeder Einzelheit folgen, um zu konzedieren,
dass die von ihm beschriebene Aushöhlung der Opernkunst zu
einem eitlen Gesellschaftszirkus erschreckend weit vorangeschritten
ist. An Stéphane Lissner, dem Direktor der Mailänder
Skala, macht Holender das Inbild jener aalglatten Generation von
Opernleitern dingfest, die sich bestens auf politische Netzwerkdiplomatie
verstehen, denen es aber sonst weitgehend an geistig-künstlerischer
Eigenständigkeit mangelt.
Eine ganz andere Facette der Persönlichkeit Holenders offenbaren
die literarisch besonders gelungenen Erinnerungen an die Jugend
des Autors in Rumänien. Mit der ihm eigenen schnörkellosen
Ehrlichkeit gesteht der Autor Ioan Holender über die Zeit
vor seiner Konfrontation mit dem kommunistischen Regime: „Ich
zählte ohne Frage zu denen, die nach dem Zweiten Weltkrieg
an die marxistische Theorie des Sozialismus glaubten.“ Was
Holender in diesem Teil seines Buches an subjektiv durchlebter
historischer Erfahrung artikuliert, ist so spannend, dass man darüber
den Staatsoperndirektor seitenlang ganz vergisst. Christian Tepe |