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Hymnische Feierlichkeit
Johanna Doderers „Der leuchtende Fluss“ in Erfurt · Von
Boris Michael Gruhl
Programmatisch wurde vor elf Jahren das neue Theater in Erfurt
mit einer Uraufführung eröffnet. Seitdem führt Guy
Montavon das Haus erfolgreich – gerade wurde sein Vertrag
verlängert – kann
große Projekte wagen wie „Parsifal“ oder „Tannhäuser“,
setzt vergessene oder überhörte Werke auf den Plan, stellt
immer wieder auch außergewöhnliche Interpretationen
zur Diskussion und hält sein Versprechen, in jeder Saison
eine Uraufführung nach Erfurt zu bringen. Das Publikum dankt
mit Treue, Neugier und Aufgeschlossenheit. Auch am Sonntag, zur
Uraufführung der Oper „Der leuchtende Fluss“ von
der österreichischen Komponistin Johanna Doderer mit dem Text
ihres Landsmannes Wolfgang Hermann, ist das Haus so gut wie ausverkauft,
die Zustimmung ist weitaus größer, als dass man sie
lediglich freundlich nennen müsste.
Dennoch, das Werk hat inhaltlich, textlich und vor allem musikalisch
kaum eine tragfähige Basis. Es gibt keine Spannung, der Text – soweit
man ihn versteht – ist nicht von dramatischem Zugriff und
der beständig melodisch dahinfließenden Musik fehlt
es an Gegensätzen, an Härten, an Verblüffung ebenso
wie an Überraschungen.Das ist alles einfach zu schön,
zu weich, zu einschmeichelnd als gelte es den Kamerafahrten amerikanischer
Filme über die Breite der Leinwand einen gefälligen Sound
beizugeben. Dass die Komponistin dabei in der Lage ist, geschickt
Anklänge an so bekannte wie bewährte Kompositionstechniken
der Alten und der Neuen Welt des 20. Jahrhunderts anzuwenden ohne
einfach zu kopieren, dass sie es versteht klangvolle Arrangements
zu setzen auch Klangfarben geschickt zu mischen, das ist unüberhörbar.
Woran es mangelt ist die Dramatik, dazu gibt allerdings auch die
Vorlage kaum Anlässe. So wird in epischer Breite eine Geschichte
erzählt, wohlklingend, über weite Passagen in oratorisch,
hymnischer Feierlichkeit.
Der Anlass des Werkes ist authentisch, das Leben des Protagonisten
Ira Hayes wurde beschrieben, verfilmt und besungen. Es handelt
sich um jenen Mann aus dem Indianerreservat der sich ein Jahr nach
dem Überfall der Japaner auf Pearl Harbour, 1942 zum Militärdienst
meldet und zu jenen drei überlebenden Männern gehört,
die am 23. Februar 1945 auf der Insel Iwo Jima das Sternenbanner
hissen. Hayes wird zum Nationalhelden indianischer Herkunft aufgebaut
und auf Werbetouren zur Stärkung des Kampfgeistes und zur
Gewinnung von Kriegsanleihen geschickt. Er zerbricht daran, er
sucht Zuflucht in Alkoholexzessen. Er stirbt 1955 dort, wo er her
kam, im Gila-River-Reservat.
Dazu baut das Team Doderer und Hermann für das Erfurter Auftragswerk
einen Rahmen, der allgemein auf das Schicksal amerikanischer Ureinwohner
und der Vernichtung ihres Lebensraumes anspielt und davon berichtet
dass die Umleitung eines Flusses, als Lebensader der Indianer,
diese in die Armut treibt und dazu zwingt, sich zu verkaufen, die
Frauen an Männer, die Männer an das Militär. Für
die Bühnenwirksamkeit bei fast drei Stunden Spieldauer aber
fehlt es an wirklichen Konflikten, an Handlungsfeldern und letztlich
auch an musikalischen Zuspitzungen, Duetten oder mitreißenden
Ensembleszenen, zumal ja in tonaler Melodik die traditionelle Ästhetik
fernab aller Experimente immer wieder gern bedient wird.
Zum Glück stellt das Theater Erfurt ein erstklassiges Ensemble
und dieses sich mit besten Kräften in den Dienst des Werkes.
Walter E. Gugerbauer bringt mit dem Philharmonischen Orchester
Erfurt und dem Opernchor immer wieder die ausgebreiteten Klangflächen
in Fluss, was am ehesten Assoziationen zum im Titel verheißenen
Leuchten zulässt.
Aus dem großen Ensemble sollen die „Gegenspieler“ genannt
sein, John Bellemer als Ira Hayes und Peter Schöne als General
Curtis. Bellemer kann einen gut klingenden und sicher geführten,
vor allem standhaften Tenor für die ausladende Partie einsetzten,
Schöne einen bewundernswert ebenmäßig klingenden
Bariton bei ausgezeichneter Diktion.
Guy Montavon als Regisseur setzt in den Räumen von Peter
Sykora auf klare Akzente und die Stärke wenig bewegter Bilder,
vermeidet jede Zutat etwaiger Erklärungen oder Aktualisierungen
zugunsten einer direkten Optik, die so auch dem musikalischen Anspruch
nicht entgegen steht. So spielt das Werk in einer „weißen“ Oberwelt,
auf deren Säulen Kernaussagen der Unabhängigkeitserklärung
von 1776 geschrieben sind, und einer indianischen Unterwelt, durch
die im gnadenlos mächtigen Stahlrohr die umgeleitete und somit
geraubte Lebensader, eben jener Fluss, führt.
Am Ende wird unter allem noch ein dritter Raum sichtbar, ein Raum, überquellend
von gleißendem Licht. Ob dessen Kraft den tödlichen
Stahl wird schmelzen lassen und den Beton zum Bersten bringt bleibt
unentschieden.
Boris Michael Gruhl
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