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Ernsthaftigkeit ohne Konzessionen
Anmerkungen zur Ära Mielitz am Opernhaus Dortmund · Von
Christian Tepe Christine Mielitz war und ist eine Wagnerianerin – jedenfalls
solange man darunter nicht jene selbsternannten Gralshüter
versteht, die halsstarrig über die so genannte Werktreue der
Wagner-Pflege wachen und damit eigentlich nur ihr eigenes sakrosanktes
Wagner-Bild verteidigen. Wenn von der Wagnerianerin Mielitz die
Rede ist, werden viele an die „Meistersinger“ und den „Ring
des Nibelungen“ der Regisseurin denken, die zu den Marksteinen
ihrer acht Dortmunder Jahre als Operndirektorin und seit 2007 als
Opernintendantin gehören. Vor allem aber ist Mielitz Wagnerianerin
im Sinne eines kompromisslosen Kunstpriestertums. Nichts ist ihr
fremder als die experimentierfreudige Nonchalance des postdramatischen
Theaters. Gleichviel ob sie den „Ring“, Smetanas „Verkaufte
Braut“, Strawinskys „Oedipus Rex“ oder Puccinis „Il
trittico“ inszeniert, charakteristisch für ihre Arbeitsweise
ist eine stets konzessionslose Ernsthaftigkeit, die sie ebenso
vehement und offensiv von allen Mitwirkenden einfordert.
Klagen über den Führungsstil
Geistige Lethargie, seelische Passivität, Bequemlichkeit und
Routine sind ihr verhasst, wo es im Musiktheater doch um nichts
weniger als das „Reinmenschliche“, um eine Zukunft
ohne Herrschaft des Menschen über den Menschen geht. Dem aus
diesem Anspruch resultierenden permanenten energetischen Überdruck
fühlten sich nicht immer alle Mitarbeiter des Hauses in gleicher
gelassener Stärke gewachsen. Während der zweiten Hälfte
der Ära Mielitz in Dortmund mehrten sich insbesondere seitens
der technisch-künstlerischen Gewerke die Klagen über
den Führungsstil der Opernintendantin, was die Lokalpresse
seinerzeit zu der genüsslichen, jedoch völlig ungebührlichen
Kommentierung veranlasste: „Theatermacher sind fast von Natur
aus exzentrisch – aber manche Führungskräfte scheinen
dann doch ein Ego zu haben größer als die Sonne.“ Das
ist nicht allein eine persönlich desavouierende Redeweise,
sondern auch eine rundherum kunstfremde Fehleinschätzung.
Sie verkennt, wie der Theater-Furor von einem Menschen so vollkommen
Besitz ergreifen kann, dass sein Ego bis in die letzten Fasern
in ein Kunst-Medium verwandelt wird. „Kunst kommt nicht von
Können, sondern von Müssen“, stellte Arnold Schönberg
einst klar.
Nach der von Christine Mielitz selbst forcierten vorzeitigen Auflösung
ihres Vertrages zum Ende dieses Jahres ist es müßig,
abermals alle Einzelheiten der kommunikativen Querelen am Dortmunder
Opernhaus Revue passieren zu lassen. Im Kern rührt der Konflikt
an die beinahe unauflösbare Crux aller Theaterberufe, mit
der namentlich eine Künstlergewerkschaft wie die VdO immer
wieder hart konfrontiert wird: Allen Theaterschaffenden – und
nicht allein der Führungsriege – ist letztlich doch
die Liebe zum Theater ins Herz geschrieben, ihnen allen wird die
rückhaltlose Identifikation mit ihrer Arbeit zur unverzichtbaren
Quelle ihrer Motivation und ihrer Freude am Beruf. Doch es sind
für diese Menschen ihre jeweiligen Talente und Befähigungen
auch ein kostbares Mittel zur eigenen Existenzsicherung. Sie sind
schließlich selbst Menschen, die um der humanistischen Mission
der Kunst willen manchmal bis an die Grenze der Selbstentäußerung
und noch darüber hinaus gehen sollen und wollen. Deshalb steht
die Theaterleitung in einer besonderen Schutz- und Sorgepflicht
für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, damit aus deren
aufopferungsvollem Engagement für die Kunst nicht ein andauernder
Raubbau an der eigenen Gesundheit wird. Diese Verantwortung wahrzunehmen,
gehört zu den vornehmsten Aufgaben jeder Intendanz – gerade
auch in ihrer Funktion als Ermöglicherin von großer
Kunst. Hier sind in der Ära Mielitz gewiss Fehler gemacht
worden. Aber anstatt die Gelegenheit zu nutzen, diesen für
die Theaterpraxis beinahe schon konstitutiven Konflikt zwischen
Kunst und Leben einmal sorgsam auszudiskutieren, gingen die Auseinandersetzungen
in Dortmund in persönlichen Invektiven und Feindseligkeiten
unter, wobei die Kunst, wie so oft, zur Marginalie zu werden drohte.
Dabei gibt es durchaus auch künstlerische Gründe, die
nach acht Jahren mit der häufig und gerne regieführenden
Opernintendantin Christine Mielitz für einen Neuanfang am
Dortmunder Opernhaus sprechen. Ein Nachlassen von Präzision,
Konsequenz und geistiger Flexibilität lässt sich den
Arbeiten der leidenschaftlichen Theaterfrau zwar keinesfalls attestieren,
doch Teile des Publikums vermissten manchmal doch so etwas wie
einen außerordentlichen Theatercoup, das Unerwartete, die
große Überraschung. Selbstbewusste Frauenfiguren
Hinzu kommt Mielitz’ Präferenz eines bestimmten Frauentypus,
der in vielerlei Gestalt ihre Werkdeutungen durchzieht. Da sind
immer wieder diese wunderbar selbstbewussten Frauencharaktere zu
sehen gewesen, die in ihrem traumwandlerischen Habitus zugleich
wie Wesen aus einer ganz anderen, fremden Welt wirken. Auch darin
ist Mielitz eine progressive Wagner-Weiterdenkerin. Wem das gefällt,
der findet darin sein vollkommenes Opernglück. Andere Zuschauer
hingegen sehnten sich nach neuen Erfahrungen, nach neuen Sichtweisen
der unerschöpflichen Kunstgattung Oper. Es gibt Theaterbesucher,
die behaupten, fast jede weibliche Protagonistin einer Mielitz-Inszenierung
wirke wie eine artifizielle Doppelgängerin der Operintendantin,
diese aber wiederum agiere in ihrem öffentlichen Auftreten
wie unmittelbar aus einer Oper entsprungen. Doch das gehört
wohl ebenfalls wieder in das Reich der kunstabschätzigen Polemik. Feinnervig bis ins Detail
Auch im Zentrum ihrer Dortmunder Abschiedsinszenierung steht
indes ein Frauenschicksal. Christine Mielitz hatte sich für ihre
Erarbeitung von Puccinis Einakter-Triptychon vorgenommen, das oft
unterschätzte Mittelstück über die Muttertragödie
der „Schwester Angelica“ gleichsam endgültig zu
rehabilitieren. Klug vermeidet sie jene Extreme, mit denen man
bislang versucht hatte, dem Kitsch-Verdikt, der auf dem Stück
lastet, beizukommen, wie zum Beispiel in der Düsseldorfer
Inszenierung von Dietrich Hilsdorf, wo am Ende ein fahler Engel
der um ihr Kind trauernden und um Erlösung flehenden Mutter
eine Totgeburt entgegenstreckt. Mielitz konzentriert sich dagegen
ohne alle Metaphysik oder negative Theologie ganz auf das Psychogramm
der verzweifelten Mutter. Dafür hat sie in der Sängerdarstellerin
Svetlana Ignatovich eine begnadete Mitstreiterin gefunden, der
trotz einer in den exponierten Passagen ihrer Partie etwas angestrengten
Höhe ein Seelendrama von mitreißender Hingabe gelingt.
Lyrischen Stimmungszauber und eine unaufdringliche vokale Süße
verströmt der von Granville Walker ausgezeichnet einstudierte
Damenchor des Theaters Dortmund. Feinnervig bis in das letzte Detail
und mit einem subtilen Gespür für die subkutanen Strukturen
von Puccinis Atmosphärenzaubereien musizieren die Dortmunder
Philharmoniker unter Jac van Steen den „Mantel“ und „Schwester
Angelica“, um dann in „Gianni Schicchi“ mit elektrisierendem
Impetus die scharfen orchestralen Krallen auszufahren. Akribisch
lässt Mielitz im spätveristischen Eingangsstück,
dem düsteren vokalen Ehedrama aus dem Binnenschiffermilieu,
jede Regung zwischen den Menschen körperlich ausdeuten – es
riecht geradezu nach Schweiß, Sperma, Alkohol und Öl.
In Abweichung vom Libretto wirft am Ende Schiffseigner Michele
(Simon Neal – ihm gebührt die Palme des Abends) die
Leiche seines von ihm getöteten Nebenbuhlers ins Hafenbecken,
die Anker werden gelöst und die hoffnungslose Ehehölle
findet ihre infinite Fortsetzung. Dass manchmal auch eine Zurücknahme
an Aktionen auf der Bühne einen Zuwachs an hintergründigem
Spielwitz bedeuten kann, beweist Mielitz erfolgreich mit der Erbschleicher-Komödie „Gianni
Schicchi“, die sonst oft mit einer zu deftigen Portion Klamauk
in Szene gesetzt wird.
Auf ganz legalem Weg wird nach einer Interimszeit von sechs Monaten
im Sommer 2011 Jens-Daniel Herzog das Erbe von Christine Mielitz
in Dortmund antreten. In einem Interview bezeichnete sich der bisher
als Regisseur hervorgetretene Herzog etwas kokett
als Unternehmer seiner eigenen Marke, womit wohl ein ganz neues
Kapitel zum Thema „Beruf und Berufung am Theater“ aufgeschlagen
wäre.
Christian Tepe |